laut.de-Kritik

Manchmal muss einer der Fahrgäste kotzen.

Review von

Zuweilen holt einen die Vergangenheit ein. Gelang es mir im vergangenen Jahr noch, mich um eine Besprechung ihres Debüt-Albums "Unbeschreiblich" zu drücken, liegt nun wieder eine Rapsoul-Platte auf dem Schreibtisch, die angesichts der Verkaufszahlen des Erstlings das Etikett "Pflichtthema" trägt. Ich wappne mich also mit von Funny van Dannens gar trefflicher Beschreibung "Junge Christen" gegen eine gute Stunde gottesfürchtiges Gesülze - und werde überrascht.

Die penetrante Christlichkeit, die die drei Herren auf "Unbeschreiblich" noch in einer Weise vor sich her trugen, die Xavier Naidoo wie einen Heidenknaben erschienen ließ, scheint glücklicherweise irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein. Nur noch angenehm verhalten klingt der Glaube der Protagonisten durch. Man bekommt nicht mehr auf voller Länge das Gefühl vermittelt, versehentlich in einen ambitionierten Jugendgottesdienst geraten zu sein.

Was leider bleibt, ist das Gesülze. An dieser Stelle mögen sich die Geister scheiden: Ich persönlich empfinde als hochgradig erschreckend, wenn junge Menschen mit der gleichen Verklärung auf die "Vergangenheit" zurück blicken, mit der Opa von der Kameradschaft im Schützengraben schwärmt. Da wird die "Erste Liebe" besungen, die Zeiten, "Als Ich 16 War" gefeiert, als lägen diese Ereignisse Dekaden zurück. Mensch, Jungs! Früher war keineswegs alles besser. Dass Euer "früher" quasi vorgestern stattfand, lässt die nostalgischen Wallungen noch ein wenig lächerlicher erscheinen.

Steve, Jan und Sänger C.J. werfen dessen ungeachtet große Worte in die Runde, als gälte es, eine Plattitüden-Quote zu erfüllen. Auf die ewige Liebe ("und das schwör ich bis ans Ende bis der Tod uns scheidet", aus "Sag Ja") folgt der Abschiedsbrief ("Du Siehst Es Doch genauso") und die "Trennung Für Immer", bevor "Zum Letzten Marsch" angetreten wird. "Sterben Für Dich"! Melodramatik regiert, leider zu allem Überfluss gepaart mit gar grauenvoller musikalischer Absehbarkeit.

Für "Erste Liebe" muss Robin Becks bereits in den Werbekampagnen eines Brauseherstellers ausgelutschtes "First Love" herhalten. "Der Letzte Marsch" wird von Piano, Rührtrommel und Engelschören begleitet. "König Der Welt" baut auf Gitarre, ein paar Streicher und ein gepitchtes Voice-Sample. An vielen Stellen beschleicht mich der Eindruck, als habe man Standard-Versatzstücke zu ebenso eingängigen wie harmlosen Liedchen zusammen geklebt, die ohne viel Aufhebens ins Gehör und von da aus direkt in Vergessenheit geraten.

Das Piano aus "Bapbabelubah" bildet zusammen mit dem geradezu klassischen Drumbreak in "Laura" hochwillkommene, weil äußerst dünn gesäte Genussmomente, ebenso (ebenfalls in "Laura") die hübsche Idee, Syl Johnsons "Is It Because I'm Black" zu zitieren. Abgesehen davon langweilt mich die hundertste Liebeserklärung an die Musik ("Meine Musik") dann, wenn sie nichts Neues zu bieten hat, genau so wie das tausendste Was-wäre-wenn-Spielchen ("Bapbabelubah").

Ein nervtötend gerolltes R verleiht Gesang ebenso wenig automatisch Soul, wie simple Endreime Rap ausmachen. "Schmachtpop" hätte zwar sicher nicht den verkaufsfördernderen, wohl aber den treffenderen Crew-Namen abgegeben. Es stimmt schon: "Das Leben ist wie 'ne Achterbahn. Es geht auf und ab und es hält nie an" - und manchmal muss einer der Fahrgäste kotzen.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Laura
  3. 3. Erste Liebe
  4. 4. Bapbabelubah
  5. 5. Sterben Für Dich
  6. 6. FSK 18
  7. 7. König Der Welt
  8. 8. Achterbahn
  9. 9. Du Siehst Es Doch Genauso
  10. 10. Sag Ja
  11. 11. Trennung Für Immer
  12. 12. Als Ich 16 War
  13. 13. Sag Du Liebst
  14. 14. Meine Musik
  15. 15. Der Letzte Marsch

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66 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    meine liebste passage: [...] Dass Euer "früher" quasi vorgestern stattfand, lässt die nostalgischen Wallungen noch ein wenig lächerlicher erscheinen. [...]

    ganz fein geschrieben, großes tennis. könnte ohne die bezüge auf die lieder auch als glosse durchgehen.
    liebe Dani Fromm, es wird zeit dass man Dich mit einer eigenen kolumne ehrt

  • Vor 17 Jahren

    @Torti («
    liebe Dani Fromm, es wird zeit dass man Dich mit einer eigenen kolumne ehrt »):

    Die wird schon genug geehrt hier jeden Tag. :p

    - Warum nur tippte ich allein beim Lesen des Teasers -richtigerweise- auf die sich dahinter verbergende Rezensentin? :D

    "Die penetrante Christlichkeit, die die drei Herren auf "Unbeschreiblich" noch in einer Weise vor sich her trugen, die Xavier Naidoo wie einen Heidenknaben erschienen ließ"

    :D

    Schön, schön, schön. :)