laut.de-Kritik

Konsequentes Leugnen des Deutschrap-Millenniums.

Review von

"Eigentlich ist es Wahnsinn, Lieder wie diese rauszubringen", hieß es vor 15 Jahren auf einem Youngtimer der deutschen Rap-Historie. Da der Retrogott a.k.a. Kurt Hustle seinen Genre-Gunstkreis aber weiterhin so eng wie nachdrücklich zeichnet, bin ich mir nicht sicher, ob es ihm zusagt, die Annäherung an sein Schaffen mit einem Zitat von Samy Deluxe einzuleiten. Ein geeigneter Passus der von ihm gebilligten Stieber Twins wollte mir allerdings partout nicht einfallen.

Aber wieso ist es denn nun eigentlich 'Wahnsinn'? Weil man, um inmitten des Hypes, der Hip Hop hierzulande gerade widerfährt, ein Album wie "Fresh Und Umbenannt" zu veröffentlichen, genau jene Sorte Eier braucht, die sich seit jeher eher die Vertreter härterer Gangarten auf die Fahnen malen. Genau hier trennt sich aber auch schon die Spreu vom Weizen, respektive die große Klappe von der Leistung. Denn der Retrogott und sein DJ Hulk Hodn machen ab Sekunde eins klar: Hier regiert eine staubige, mündige und damit höchst originelle Rap-Essenz.

23 mal mehr, mal weniger lakonisch zusammenprogrammierte Beats, untermauert von Instrumental-Loops, Rap- und Jazz-Samples, abgemischt und eingespielt auf grandios knisterndem und sich anderweitig ins Ergebnis einschreibendem Equipment. Eine konsequent hängeschultrige Kriegserklärung also an die breit gebauten Hochglanz-Produktionen, die sich Hip Hop momentan wieder leisten kann – und es in allerlei Formen (Dreiecke!) und Farben (entsättigt!) auch tut.

Auf "Fresh Und Umbenannt" gibts keine Single, keinen Hit – alles zwischen "Intro" und "Outro" ist eins, hängt organisch zusammen. Wie früher. Freilich lässt sich darin ein Gefälle finden. Dass aber melodisch eingängigere Stücke wie "Quetschkommode" und "Fabrik" von Sperrgut wie "Lachmuskel" oder "Freshundunbenannt" konterkariert werden, ist im Kontext nur konsequent. Man will nicht gefallen, sondern macht, was selbst gefällt. Oder mit den Worten des Künstlers: "Kolossale Stahl- und Zement-MCs hassen mich dafür, dass ich beweglich bin." David gegen Goliath, Kurt gegen die Charts.

Das Dagegenhalten macht selbstverständlich auch vor der Vocalspur nicht Halt. Retrogott findet hier die perfekt-unperfekte Balance zwischen dem impertinenten Debüt "Jetzt Schämst Du Dich!" und dem spürbar geläuterten Zweitling "Der Stoff, Aus Dem Die Regenschirme Sind". Seinem ausdrücklich nicht vorhandenen Konzept bleibt der Battlerapper-Schrägstrich-Geistesarbeiter aber treu.

Von schmucklos eingestreuten Hurensöhnen über formschön verpackte Punchlines bis hin zu kompliziert um die Ecke formulierter Kritik am großen Ganzen: Seiner Unzufriedenheit mit der Deutschrap-Gesamtsituation macht Retrogott-Agent-Provocateur auch auf dieser Veröffentlichung wieder umfassend Luft: "Ein Nebensatz zu viel und Leute denken, du bist deep."

Ebenso findet die kritische Verarbeitung und Reflektion sowohl eigener als auch gesellschaftlicher Missstände ihre Fortsetzung – weniger häufig als auf dem Vorgänger noch, aber weiterhin in mitunter schwer verkopfter Weise: "Manchmal zweifel' ich daran, dass ich ein Mensch bin / Weil ich davon so überzeugt bin."

Eben jenes Konstrukt aus brachial antikommerziellem Battlerap und quasi-philosophischem Überbau macht das Projekt so irritierend wie reizvoll.

Ein besonders gute Figur als Rapper gibt Kurt Hustle allerdings nach wie vor nicht ab – Ambitionen in diese Richtung schließe ich aber auch aus. Sein Vortrag ähnelt oft mehr einem aus den Fugen geratenen Poetry Slam, als dem Versuch, ein technisch möglichst beeindruckendes Ergebnis abzuliefern. Und auch den Vergleich mit dem Flow eines jungen Kool Savas muss er sich stellenweise weiterhin gefallen lassen.

Dem Kollegah'schen Axiom 'Bizepsumfang gleich stimmliche Präsenz' strikt Folge leistend, stolpert der junge Mann dem Stimmbruch nahe und jedem attraktiven Versmaß den Mittelfinger entgegenreckend durch metaphorische Existenzfragen:

"Die Externalisierung des Geistes in der Maschine der Industrialisierung führt in virtuelle Räume, in denen wir Träume leben, doch woher / und wohin / fließen all die Schäume, all die Drogen, all die Leute / all die betäubten / Insekten, die die rosige Realität bestäuben?"

Nur, um an anderer Stelle konkreter zu werden: "Abitur brauchst du nur, wenn du studieren willst. Deswegen heißt es auch 'Hochschulreife' und nicht 'Rapschulreife'. Du Idiot." Wem das immer noch nicht plakativ genug ist, darf und soll, wird sich aber letztlich auch hier nicht adressiert fühlen: "Ich mache Hip Hop falsch / Aber Du machst ihn wack."

Das Duo leugnet also weiterhin konsequent das Deutschrap-Millennium. Obwohl eine Röhrenjeans am Retrogott so falsch wirkte wie ein Eastpack am Rücken von Farid Bang, ist der antiquierte Soundentwurf letztlich wiederum nur der logische Vorgriff auf die zwingend anstehende Überwindung der Soundästhetik der angehenden Zehnerjahre. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die beiden Slacker und ihr radikaler Anti-Style zu Ikonen der nächsten Generation Deutschrap werden. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass das den beiden dann recht unangenehm wäre.

Fest steht: Sehr viel näher kommt man an eine authentische und selbstbewusste Fusion von freigeistiger Kunst und klassischem Rap, der sich selbst nicht zu ernst nimmt, im Moment nicht heran. Harter Idealismus für die Sache, gekonnte Rückbesinnung im Sound und ein so spielerischer wie eigenwilliger Wechsel zwischen Einfachheit und Komplexität machen "Fresh Und Umbenannt" zu einem Kleinod deutschsprachigen Hip Hops.

Samy Deluxe beendete das obige Zitat damals übrigens so: "Weil damit garantiert is' / dass die [Lieder] der anderen bald auch genau so klingen."

Das wiederum scheint mir im vorliegenden Fall ausgeschlossen: Erstens, weil sich das hier nicht so einfach reproduzieren lässt. Und zweitens, weil mit einem derart unangepasstem Produkt kurzfristig keine nennenswerten Margen zu erzielen sein werden.

Daher: Auch wenn der Retrogott und Hulk Hodn für "Noten, Kronen, Sterne, Streifen" nichts übrig haben – vielleicht ja aber für ein 'Vielen Dank'.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Fabrik
  3. 3. Hundeundgeld
  4. 4. Genugvongott
  5. 5. Quetschkommode
  6. 6. Doindamage
  7. 7. Keinwort
  8. 8. Dermotor
  9. 9. Sofunktioniertdiewelt
  10. 10. Freshundunbenannt
  11. 11. Fahrstuhl
  12. 12. Liebemachen
  13. 13. Featurenummer feat. Morlockk Dilemma
  14. 14. Ein$note
  15. 15. Ausliebezudenbeats feat. Brous One
  16. 16. Diefragebleibtgeschlossen
  17. 17. Zuvieldesguten
  18. 18. Interloot
  19. 19. Gucknich
  20. 20. Rapundzigaretten
  21. 21. Freshdopeofcourse
  22. 22. Lachmuskel
  23. 23. Outro

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87 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Word @Kubischi. Album bei mir auf Dauerrotation!
    @b-dreizehn: allah, wie kommt es eigentlich das hier jeder newbie den schlaubie spielt? habe schon damals die dopeness gelobt, whut whut

  • Vor 10 Jahren

    @Lautusär: warum das leute machen fragst du? weil in dem kästchen, in das man potentiell ein kommentar schreiben kann steht: "Trau dich, schreib was!" :D
    - ganz nebenbei noch: dopes album, wie beschrieben ein konsequenter durchzug des vorangegangenen und eine weiterentwicklung zum vermeintlich abstrusen, philosophische verdrehend felxiblen...i like :D

  • Vor 7 Jahren

    "Ein besonders gute Figur als Rapper gibt Kurt Hustle allerdings nach wie vor nicht ab – Ambitionen in diese Richtung schließe ich aber auch aus. Sein Vortrag ähnelt oft mehr einem aus den Fugen geratenen Poetry Slam [...]" heißt es in der Review...und genau das stört und Nervt. Genau wie ein Oli Banjo oder Taktlos auch. Keine Ahnung, aber irgendwie kann ich auf keiner (Hip Hop'chen) Ebene nachvollziehen, warum solche Rapper Gefallen finden. Ich find Retrogott einfach unnormal schlecht und untalentiert. Weder textlich noch technisch überzeugt er. Nicht einmal der Humor oder die Ironie spricht an....das einzig wirklich richtig richtig Gute an dem Album sind die Beats.