laut.de-Kritik
Hobbie-Philosophie mit Fingerpistole statt Revolver.
Review von Irene WinklerRevolverheld - laut Duden: Jemand, der sich leicht in Streitereien verwickelt und dann bedenkenlos um sich schießt.
Die Hamburger demonstrieren mit ihrem fünften Studio-Album "Zimmer Mit Blick" höchst eindrucksvoll, wie man sich in dreizehn Jahren immer weiter an seinem Bandnamen vorbei entwickeln kann.
Die im Vorfeld selbst propagierte neue, modernere Ausrichtung scheinen die Jungs auf einer anderen Platte verwirklichen zu wollen. Hier bekommt man nur den altgewohnten Johannes Strate und ein bisschen trivialen Synthesizer-Pop im Stil der 80er. Innovativ ist das nicht. Und die Idee, diese schillernde Ära zu verwursten und das Konstrukt als Neuerfindung der eigenen Band zu verkaufen, ist auch schon wieder ein gutes Jahrzehnt alt.
Versetzen nicht gerade liebliche Streicher und zärtlich gestreichelte Klaviertasten Strates Schmachtfetzen in romantisch-melancholische Stimmung, dann eben Synthesizer. Typische Klangfolgen in den bekannten Tonfarben des anvisierten Jahrzehnts sollen die Band unterstützen, die hinter der dominanten Singstimme oft nur zum dezent schmückenden Beiwerk verkümmert.
Nach zwei Minuten begegnet uns in "Immer Noch Fühlen" eine alte Revolverheld-Bekannte. Wir haben sie schon fast vermisst! Die atemberaubende Laut-Leise-Laut-Methode. Die Musik verebbt, der Barde singt piano und adagio, nur um dann alles zusammen wieder dramatisch hoch zu fahren. Auf Wiederhören in den nächsten elf Liedern!
"Zimmer Mit Blick" beleuchtet seine primäre Thematik, die Liebe (was sonst?), mit greller Lampe in all ihren Facetten. Also vollkommen überbelichtet. Was da zum Vorschein kommt, glänzt unzweifelhaft schmalzig. Den Track "Das Herz Schlägt Bis Zum Hals" kennt der ein oder andere bereits aus dem Soundtrack zum Film "Dieses Bescheuerte Herz" mit Elyas M'Barek. Das kommt so mainstreamig, flach und banal wie das Stück "Liebe Auf Distanz" daher, bei dem ein unerhört ernervierender Synthi-Effekt das Trommelfell malträtiert.
"Unsere Geschichte Ist Erzählt" lässt uns der gesungenen Lesung eines sterbenslangweiligen Beziehungs-Tagebuches beiwohnen. Da will man schon nach Kapitel zwei höchstens noch zum Ende vorblättern, obwohl man sich auch das sparen kann, nachdem der Titel schon ausreichend spoilert.
Nicht nur vom Synthie-Sound der 80er inspiriert, begeben sich die Nordlichter auch noch auf die Spuren damals großer sozialkritischer Liedermacher. Der titelgebende Song "Zimmer Mit Blick" hätte was werden können. Aber da lädt man den Revolver zu einer gesellschaftskritischen Weltverbesserer-Ballade durch und zeigt dann doch nur mit dem nackten Finger auf den Zuhörer, der sich im Idealfall nicht angesprochen fühlen sollte.
In "Du Kannst Auf Mich Zählen" lautet eine Zeile: "Und jeder wird zum Hobbiephilosophen.". Das scheint der Band bei so viel pseudointellektueller Lyrik wohl selbst widerfahren zu sein. Statt mit dem Revolver sind die Hamburger allenfalls mit der Fingerpistole bewaffnet, die sie vornehmlich als erhobenen oder richtungsweisenden Zeigefinger zum Einsatz bringen. Wenns doch wenigstens mal der mittlere wäre, aber nichts ists mit dem Revolverheld, wie das schlaue gelbe Buch ihn beschreibt.
14 Kommentare mit 8 Antworten
Gute Rezension, wahrscheinlich besser als das Album.
Die sollten mal bisschen Lou Reed hören. Vielleicht hilft das beim Songwriting. Also auf jeden Fall mal bisschen Spannendere Musik hören und analysieren. Die ganzen Platten sind ja bisschen fad bisher. Ich meins gar nicht böse. Ich will doch nur bessere Songs.
Revolverheld im Stil von Lou Reeds "Metal Machine Music" wäre doch mal was.
Zahnlos wie ein Neugeborenes.
Revolverheld ist eine Band, die sich jeglichem Fortschritt, Experiment und Mut verweigert und stattdessen die immer gleiche Radio-Pop-Grütze mit den simpelsten Kitschtexten abliefert. "Scheiß auf Freunde bleiben?" Nee, jetzt wird nur noch gekuschelt, gefühlt und getanzt.
Hat man auch selten das man nur anhand der Tracklist ohne Scham eine 1/5 vergeben an.
Musik ohne Seele,die am Kommerz-Reißbrett entstanden ist.
Warum lassen Revolverheld ihre Songs nicht einfach gleich von Dieter Bohlen komponieren? Das kommt qualitativ aufs gleiche raus und ist im Zweifel kommerziell noch erfolgreicher.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.