laut.de-Kritik

Von der depressiven Episode in die beiläufige Unterhaltung.

Review von

"Warum dreht sich alles nur um mich wie um die Sonne?" Rhymin Simon scheint seine depressive Episode überwunden zu haben. Sein überraschendes Solo-Comeback "Essi Duz It/Letzte Liebe" vor zwei Jahren krankte noch an einer halbherzigen Eintönigkeit. Nun gefällt er sich wieder in der Überlegenheitspose, die keines Beweises bedarf. "Du willst battlen? Dicker, Küsschen", verweigert er sich in "Schwerkraft" dem Wettbewerb des Genres. Es bleibt ein Sport für junge Menschen, für den ihm ebenso die Ambitionen fehlen wie auch der Wille, sich Trends und Innovationen zu unterwerfen.

"Früher hab' ich viel gestritten, heute kaum noch. Ich geb' häufig einfach nach, als wäre ich aus Schaumstoff", offenbart der Berliner seine "Scheissegal"-Haltung zu einem Instrumental, dem jede Angriffslust abgeht. "Meine Energie ist weg", behauptet dann auch die wunderbare She-Raw, obwohl sie nach wie vor voller Hunger auf eine Album-Veröffentlichung drängt: "Ich sitze auf Bomben, doch die Opfer interessiert nicht, was ich mache." Rhymin Simon verkörpert die Antriebslosigkeit da schon deutlich glaubwürdiger: "Ich bin sicher noch nicht tot, aber nah dran."

Seine immer leicht freudlose Attitüde greift selbst auf den obligatorischen Sex-Rap über. Statt wie die Porno Mafia den Miami Bass im Fetischclub aufzudrehen, schlurft der alternde Rhymin Simon den Objekten der Begierde in "Arsch" eher geiernd hinterher: "Verboten wie ich gaffe, wenn du vor mir gehst." Wooshys Instrumental begleitet ihn ebenso träumerisch abwesend wie zu "Six In The Morning", in dem sich der Rapper gegen Kater, Morgenlatte und die frühen Annäherungsversuche der Liebsten wehrt, die ihn auf dem Sprung zur Arbeit lästigerweise ausbremsen.

Mitunter changiert Simon zwischen entspannt und verwahrlost. Das harmoniert weder mit den aggressiven Ekel-Versen eines Finch Asozial noch mit dem Langzeitgefährten King Orgasmus One, der ihn mit einem gewohnt expliziten Part auf "Lass Uns Chillen III" beehrt. Stilvoller kommt da schon die auf "Trinity (Titoli)" beruhende musikalische Untermalung daher. Das ursprünglich dem Film "Die rechte und die linke Hand des Teufels" entnommene Stück dürften die meisten Hörerinnen und Hörer aus dem siegreichen Finale von "Django Unchained" kennen.

Generell fügen sich die Instrumentals angenehm in die Themen und Stimmungen ein. Die nostalgische Beinahe-Sekte-Reunion "Glaubst Du?" mit B-Tight und Vokalmatador überzeugt mit einer schönen Oldschool-Produktion. Zu den Nonsens-Lines von "Trashtalk" tropft der Beat aus den Boxen, während er ohne Nachdruck durch "Schwerkraft" flirrt. Das selbstironische "IRNVDBW" versucht sich wiederum an Trap-Stilistik. Und die Szene-Kritik "Was Gibt Es Neues?" lässt auf ein Gespräch von 50 Cent und Snoop Dogg über die Migos-Monokultur das wohl entschiedenste Instrumental folgen.

Auch "Gottverdammte Welt" überzeugt. Zur musikalischen Flaschenspielerei plädiert Rhymin Simon für einen lockeren Umgang mit den kleinen Krisen des Alltags. Noch tiefer lässt er seine Deckung in "Bullen" sinken. Darin steht er seinem Sohn und seiner Nichte in Lebensfragen zur Seite, spricht sich für Verhütung und einen liberalen Umgang mit Drogen aus: "Nicht mit mir, doch wer bin ich zu erzählen, dass es falsch ist?" Und auch wenn es "natürlich uncool" klingen mag, unterstreicht der hauptberufliche Chemiker die Bedeutung von Bildung: "Sage nie, scheiß' auf Schule."

So kippt das Persönliche nie ins unangenehm Belehrende. Dafür gefällt er sich grundsätzlich zu sehr in seiner Ziellosigkeit, die in der DNA seiner Rap-Persona eingeschrieben ist. Und doch hält das Album, was der poetisch-pornografische Titel "Jizz" an beiläufiger Unterhaltung verspricht. Ob sich der Rapper in "Ich Mag" an persönlichen Vorlieben entlanghangelt oder sich in "IRNVDBW" amüsant mit seinen Ängsten auseinandersetzt: Diese lässige Einstellung lässt sich zukünftig gerne weiter ausbauen. "Alles noch beim Alten. Rap genauso fresh wie früher mit paar Falten."

Trackliste

  1. 1. Schwerkraft
  2. 2. Arsch
  3. 3. Brust (mit Finch)
  4. 4. Trashtalk
  5. 5. Scheissegal (mit She-Raw)
  6. 6. Six In The Morning
  7. 7. Glaubst Du? (mit Vokalmatador und B-Tight)
  8. 8. Was Gibt Es Neues?
  9. 9. Bullen
  10. 10. Gottverdammte Welt
  11. 11. Lass Uns Chillen III (mit King Orgasmus One)
  12. 12. Ich Mag
  13. 13. Loredana
  14. 14. IRNVDBW
  15. 15. Irgendeine (mit Serk)
  16. 16. Lass Uns Chillen III Monte RMX (mit King Orgasmus One) (Bonus)
  17. 17. Frage Mich (Bonus)

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