laut.de-Kritik

Die Polen geben sich so progressiv wie selten zuvor.

Review von

Der Neuanfang ist vollzogen. Nachdem Riverside von einigen Seiten schon vorgeworfen wurde, sich mit der "Rapid Eye Movement"-Trilogie ein wenig übernommen zu haben, war es an der Zeit, einfach mal konzeptlos ein paar starke Songs zu schreiben.

Die gibt es auf "Anno Domini High Definition" nun zu hören und sollten Kritiker recht schnell verstummen lassen. Wobei von konzeptlos eigentlich kaum die Rede sein kann. Immerhin hat auch "Anno Domini High Definition" eine grundlegende Story, die sich mit der Schnelllebigkeit unserer Zeit beschäftigt. Manch Fruchtfliege hat eine längerer Aufmerksamkeitsspanne als große Teile unserer heutigen Gesellschaft.

Da kommt es weiß Gott nicht von ungefähr, dass die Abkürzung des Titels gleich lautet wie die Abkürzung für das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (Attention-deficit/hyperactivity disorder). Bereits der Opener macht richtig Appetit. Ausgeprägter Einsatz von Hammondorgel kennzeichnet den musikalischen Einstieg mit "Hyperactive" und ein gesunder Härtegrad, der nicht selten an Dream Theater erinnert. Dazu ein gerne auch mal leicht schräger Gesang und eine ordentlich verzerrt bratende Gitarre.

Dem folgt das ruhiger beginnende "Driven To Destruction", das aber mehr und mehr an Power gewinnt und auch Sänger und Bassist Mariusz Duda neben einem herrlich an Everon erinnernden Gesang von einer sehr rauen Seite zeigt. Die Keyboards von Michał Łapaj spielen eine gewohnt tragende Rolle und lassen immer mal wieder Bands wie Pink Floyd, Deep Purple oder auch Rush durchschimmern.

Waren die ersten beiden Songs für ihre Verhältnisse noch recht straight und rockig, kehren mit "Egoist Hedonist" die breitflächigen, wabernden Soundflächen zurück. Dabei schrecken die Polen auch vor ein paar jazzigen Bläser nicht zurück. Unter allem liegt ein extrem hypnotischer Basslauf, der irgendwo zwischen Deadsoul Tribe und Tool liegt und ins Gedächtnis ruft, dass Maruisz nicht nur ein erstklassiger Sänger ist. Mit einem konstant steigenden Spannungsbogen zeigen sich Riverside progressiv wie selten zuvor.

Den gern gezogenen Vergleich zu Anathema ruft "Lest Out" wieder in Erinnerung. Traurig, zerbrechlich, fast schüchtern beginnt der Song mit Gitarren-Arpeggien und kommt erst nach vier Minuten so langsam aus seiner Deckung. Der leichte Sieges Even-Flair verfliegt bald wieder, stattdessen jagen einen Riverside durch ein über zehnminütiges Wechselbad der Gefühle.

Die Klaviereinleitung von "Hybrid Time" täuscht nur kurz darüber hinweg, dass es sich dabei um eine für Riverside-Verhältnisse recht harte und vor allem sehr schräge Nummer handelt. Die Tour mit Dream Theater scheint doch bleibenden, positiven Eindruck hinterlassen zu haben. Vor allem bei Drummer Mittloff, der mit dem ein oder anderen Blastbeat schon mal die Luzie durch's Dorf treibt.

Somit lässt sich wohl ohne Übertreibung sagen, dass "Anno Domini High Definition" gleichzeitig das progressivste wie auch das härteste Album von Riverside darstellt. Sollte mich wirklich schwer wundern, wenn es viele Leute gibt, die an der Scheibe ernsthaft was auszusetzen haben.

Trackliste

  1. 1. Hyperactive
  2. 2. Driven To Destruction
  3. 3. Egoist Hedonist
  4. 4. Left Out
  5. 5. Hybrid Times

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9 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Kann der Review nur zustimmen: Grossartiges Album! Obwohl ich schon die "Rapid Eye Movement"-Trilogie mochte, ist ihnen die Neuausrichtung absolut gelungen: Weniger Pink Floyd, mehr Deep Purple/Rush und trotz allem klingen Riverside immer noch wie Riverside. Wer bei Dream Theater mittlerweile genug von Selbstzweck-Gefrickel und unnötig in die Länge gezogenen Songs hat, dürfte mit diesem Album glücklich werden. :)

    Was sind das eigentlich für Vögel, die bei der Wertung "mies" anklickt haben?

  • Vor 15 Jahren

    @blusi (« Wer bei Dream Theater mittlerweile genug von Selbstzweck-Gefrickel und unnötig in die Länge gezogenen Songs hat, dürfte mit diesem Album glücklich werden. :) »):

    WORD.

    die Frickelbrüder von DT gehen einfach nur auf den Keks.

    Lieber Progmusiker die noch an Songstrukturen arbeiten wie RS statt nur auf diese elenden Intrumentalbeherschungs-Schwanzvergleiche aus sind.

  • Vor 15 Jahren

    @blusi («

    Was sind das eigentlich für Vögel, die bei der Wertung "mies" anklickt haben? »):

    Vielleicht solche, die mit Prog nicht mal entfernt was anfangen können und mit falschen Erwartungen
    rangegangen sind?? keine Ahnung..

    kenn das Album zwar noch nicht komplett und hab davor von denen auch noch nie was gehört...aber was
    ich bisher gehört habe, is schlicht großartig!!

  • Vor 15 Jahren

    @Trigger (« Die klingen nach Deep Purple? Das macht mich allerdings auch neugierig ... mal schauen ob es was auf YouTube von diesem Album gibt.

    Ist es einen Kauf wert, wenn man Floyd und Purple mag? »):

    Ich denke schon... Solange man keine straighten Rocksongs à la Smoke On The Water erwartet.

  • Vor 15 Jahren

    Nun für mich das Prog Album der letzten Jahre. Wer DT und Pink Floyd mag, findet hier sicher was.

  • Vor 15 Jahren

    Ein sehr schönes, ungemein abwechslungsreiches Album, dem ich nicht unbedingt die Frickeleien absprechen würde. Sie sind nur einfach anders verpackt. Anstatt 2 Minuten auf der Gitarre rumzulicken, haut man innerhalb von einer Minute einfach mal 10 abwechselnd agierende, selbstständige Instrumentpassagen in den Ring, die miteinander trotzdem wunderbar funktionieren.
    Der musikalische Spagat zwischen altehrwürdigen Moog-/Hammondartigem, jazzigen Bläsern, sphärischen Gitarren und der Härte, die ungefähr auf DT-Ebene liegt, allerdings schneller zum Punkt kommt und auch zart besaitete nicht verstören sollte, gelingt auf erstaunlich hohem Niveau.
    Insgesamt ungemein virtuoses und auch spaßiges Album, dem aber leider, trotz aller Eigenständigkeit und Abwechslungsreichtum, ein wenig das letzte Quäntchen an Wiedererkunngswert und Besonderheiten fehlt, dass das Album zum Klassiker gemacht hätte.
    Man kann es sich vielleicht unzählige Mal am Stück anhören, würde immer wieder etwas neues entdecken und immer bestens unterhalten werden, allerdings glaube ich, wird es einem im Laufe der Zeit dennoch nicht weiter im Kopf bleiben.
    Für den Moment perfekt, als Klassiker zu wenige wahre, einzigartige und vor allem hervorstechende Highlights. Dahingehend überzeugt das subtil fesselnde "Out Of Myself" schon eher.