laut.de-Kritik

Große Klappe und Old School-Raps: Robbie dreht durch.

Review von

Wäre ich Head of EMI/Capitol, wie es in der Fachsprache so schön heißt, also der für den 80 Millionen Pfund schweren Plattenfirmen-Deal mit Robbie Williams verantwortliche Firmenchef, ich würde mir wohl ins Knie schießen. Oder mich selbst feuern, bevor es andere tun. Denn was im Herbst 2002 als wahrhaft geschichtsträchtige Vertragsunterzeichnung über die Bühne ging, entfaltet heute, nach vierjähriger Betrachtung der künstlerischen Gegenleistung, seine ganz spezielle Note: Das Aroma des stetigen Verfalls.

So ganz glauben will man es ja noch nicht. Werden wir hier wirklich Zeuge der größten Geldverbrennungsaktion seit The KLF? Es sieht sehr danach aus, denn seit Robbie damals ein beträchtliches Kontostandsupdate erfuhr, veröffentlicht er Songs, mit denen sein ehemaliger Hit-Lieferant Guy Chambers zu Recht nichts mehr zu tun haben will. Bereits sein erster Alleingang, das letztjährige Album "Intensive Care" strotzte vor Ideenmangel und es dauerte überraschenderweise nur ein knappes Jahr, bis Robbie dies selbst indirekt zugab.

Das dritte von vier vertragspflichtig bei EMI abzuliefernden Studioalben, "Rudebox", beinhalte endlich genau das, was er schon immer habe machen wollen, hörte man den Star in jüngster Zeit referieren. Die gleichnamige Single fühle sich sogar an "wie ein Urlaubstag, an dem man trotzdem arbeiten geht." Fakten, die spätestens nach Genuss des neuen Albums nur einen Schluss zulassen: dass man im Urlaub nämlich gerade nicht arbeiten sollte. Gleichzeitig provozierte der wenig schmeichelhafte Wink an die Adresse des neuen Robbie-Songwriters Stephen Duffy wohl nur deshalb keinen Ärger, weil dieser auch auf dem neuen Werk ein wenig mitschreiben durfte.

Nun ist dieses neue Werk bei aller gegenteiligen Hoffnung im Vorfeld leider ganz großer Mist. Dies kündigte zwar in dicken Lettern bereits die Vorabsingle gleichen Namens an, doch Robbies begeisterndes Bekenntnis zum Synthie-Pop der 80er Jahre sowie die überraschende Rekrutierung der hochheiligen Pet Shop Boys, William Orbit und des Duos Sly & Robbie nährten die Traumvision, ein Team von erfahrenen Songwritern könne den Balladenstar auch auf dem Dancefloor etablieren.

Alles Humbug. Für das viele Geld hat Robbie seinem Label lediglich seinen nach wie vor klingenden Namen verkauft, er selbst setzt sich heute aber lieber in seinen K.I.T.T., drückt auf alle bunt blinkenden Knöpfe gleichzeitig und übernimmt zu allem Übel auch gleich den monotonen Sprechgesang seines Knight Riders. Verkaufen müssen den Quatsch ja eh die anderen, warum also nicht ein bisschen Urlaub im Studio machen, wenn da sogar die Pet Shop Boys vorbei schauen?

Wenigstens konnten Tennant und Lowe ihm seine überflüssigen Rapeinlagen ausreden, doch das gemeinsam produzierte "She's Madonna" klingt leider trotzdem nur wie ein PSB-Remix eines mittelmäßigen Robbie-Songs. Da hatten Madonnas Dancefloor-Confessions nicht nur mehr Wumms, sondern auch mehr Style. In der zweiten Kollaboration "We're The Pet Shop Boys" erkennt man Robbie dann nicht mal mehr an der Stimme, was schade ist, da die Pet Shop Boys diese lustige 80s-Hommage von My Robot Friend bereits vor drei Jahren selbst coverten, und diese selbstreferenzielle Wendung sowieso nicht zu überbieten ist.

Aber dies sind alles noch glanzvolle Songjuwelen im Gegensatz zu dem albernen Hip Hop-Funk von "Keep On" (Background: Lily Allen!) und an "Dear Doctor" ist auch nur der selbstironische Text interessant ("I went to the doctor / to get a prescription / I told him little fact / and lots of fiction ... Robert Williams take one Adderall / with water in the morning / as if i'm going to take one tablet / I'm Keith Moon, dickhead"). Klar, dass sich in der Geschichte über einen tablettensüchtigen Superstar auch die ärztliche Anweisung "Take that" einbinden lässt.

Gute Songs finden sich auf der Platte genau zwei. In "Viva Life On Mars" spielt Robbie seine alte Melodienstärke aus, und auch das musikalische Gewand mit Banjo, schräger Harp und sachten Beats funktioniert gut. Dass die Strophen ein wenig an Springsteens "I'm On Fire" erinnern und Robbie ein "West End Girls"-Zitat einschmuggelt, fördern den Spaßfaktor sogar. Die kommende und schön funky arrangierte Single "Lovelight" mit wuchtigem Bass und leichtem Falsettgesang geht genau in die Dance-Richtung, die man gerne noch weiter ausgeforscht gefunden hätte.

Doch dann covert Robbie Manu Chaos "Bongo Bong". Wie tief muss man sinken, um so einen Song in dieser Art und Weise nachzuspielen? Besser klappt es bei der eher unbekannten Human League-Ballade "Louise" von 1984, auf der Williams eben auch nicht rappen musste. Überhaupt: Wieso er sich nun in Adidas-Montur als Möchtegern-Old School-Rapper ultrahip findet, während er sich nach "Rock DJ" noch über seine Skills lustig machte, weiß allein der Himmel.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die ehemals klare musikalische Vision auf "Rudebox" einer kruden Experimentierfreude weicht, die ihrerseits aber nur funktionieren kann, wenn ihr eine klare Vision zugrunde liegt. So aber ist hier mal ein Beat gut ("The Actor"), dort mal ein Refrain ("The Kiss"), meistens aber gar nichts ("The 80s", "Summertime"). Womit wir wieder bei "Intensive Care" wären, auf dem auch nur "Tripping" glänzte. Entweder meint Robbie also den ganzen Bling Bling-Zauber, den er hier abliefert, wirklich ernst, oder er ist der größte Scharlatan des Musikbetriebs seit Malcolm McLaren.

Ich wage jedenfalls die Prognose, dass die EMI-Oberen den Tag herbeisehnen, an dem Williams sein nächstes und letztes Album für den Konzern veröffentlicht. Mittlerweile nicht einmal mehr live ein Kassengarant, nähert sich der Brite der späten Karriere seines Idols Michael Jackson nämlich in bedenklichem Tempo: der ehemalige King Of Pop unterschrieb 1991 einen ähnlich hoch dotierten Vertrag - mit den bekannten künstlerischen Folgen. Kurioserweise erscheint demnächst auch noch die neue und ziemlich ordentliche Single der ewigen Rivalen von Take That, neues Album inklusive. Die Vorstellung aber, das Schicksal könne noch solch grausame Wege gehen, dass am Ende der Tage die Barlow-Gang vor Robbie auf dem Siegertreppchen steht, ist dem grandiosen Selbstdarsteller selbst nach diesem Album-Tiefschlag nicht zu wünschen.

Trackliste

  1. 1. Rudebox
  2. 2. Viva Life On Mars
  3. 3. Lovelight
  4. 4. King Of The Bongo
  5. 5. She's Madonna (feat. Pet Shop Boys)
  6. 6. Keep On
  7. 7. Good Doctor
  8. 8. The Actor
  9. 9. Never Touch That Switch
  10. 10. Louise
  11. 11. We're The Pet Shop Boys (feat. Pet Shop Boys)
  12. 12. Burslem Normals
  13. 13. Kiss Me
  14. 14. The 80s
  15. 15. The 90s
  16. 16. Summertime

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