laut.de-Kritik
Schwere Themen, große Kunst.
Review von Moritz KleinAlchemist macht keine Alben. Alchemist erschafft Klangreisen. "The Elephant Man's Bones", sein neues Kollabo-Projekt mit Roc Marciano, macht schon mit dem Cover klar, was Sache ist: Ein schlichter Schriftzug und ein Foto eines abstrakten 3D-Kunstwerks des russischstämmigen Künstlers Kitasavi, bunter Kunststoff, Draht, Chrom und Aluminium. Der Albumtitel bezieht sich wohl auf Michael Jacksons Besessenheit von Joseph Merrick, dem furchtbarerweise als "Elefantenmensch" bekannt gewordenen Mann, dessen Knochen der King of Pop angeblich kaufen wollte. Eine schaurige Erzählung, die popkulturell u. a. von The Fall Of Troy mit der Songtitel-Anspielung "Whacko Jacko Steals the Elephant Man's Bones" aufgegriffen wurde. "M.J." wird auf dem Album erwähnt – aber auch David Lynch, der das Leben des Joseph Merrick verfilmt hat und unter Kreativen große Anerkennung genießt, könnte hier eine Rolle gespielt haben. Wer weiß.
Mit "Rubber Hand Grip" beginnt die Fahrt durch die Zahnräder der Maschine. Atmosphärisch und dunkel skizziert Alchemist den Intro-Track, auf dem Roc Marciano zu erzählen beginnt. Mit dem Ausklingen des Beats hören wir ein Sample aus einer BBC-Doku: Die Stimme eines Archivars des Royal London Hospital, der vom Umgang mit Joseph Merricks Fall spricht. "He was eager to show this very unusual case, but some of his colleagues were critical that it was not appropriate to show someone who was essentially, in their terms, 'a freak', rather than someone who was acutely ill." Das muss man erst einmal verdauen.
Weiter geht es mit "Daddy Kane (feat. Action Bronson)". Einige Tracks des Albums sind eine willkommene Abwechslung für alle, denen Alchemist in letzter Zeit ein bisschen zu wenig mit Drums arbeitet: Bass, Snare, Synthie-Melodie, Kopfnicken vorprogrammiert. "I'm 'bout to have a night like Kiss at the Garden", rappt Bronson mit blinder Überlegenheit in der Stimme – ein Feature, das auf keinen Fall fehlen durfte.
Auf "Deja Vu" wird es wieder dekonstruierter. Jazziges Klavier, chaotische Samples, sperriger Rhythmus. Nach "Quantum Leap", einem zurückgelehnt ließenden Track sind wir auch schon beim titelgebenden "The Elephant Man's Bones", einem eher melancholisch-verträumten Lied. Nach "Bubble Bath" und "Liquid Coke" bringt "Trillion Cut (feat. Boldy James)" ein weiteres Feature ins Spiel, das seinerseits über teure Uhren und dubiose Geschäfte rappt. Auf "The Horns of Abraxas (feat. Ice-T)" bekommen wir eine Legende des Gangsta-Rap zu hören: Düster und grausig hält der Rapper und "Law & Order"-Schauspieler einen Monolog über Maden, dass einem echt ein bisschen anders wird.
"JJ Flash" zieht uns mit seinem schwingenden Rhythmus und souligen Samples in seinen Bann – darauf folgt "Zig Zag Zig" als energetischerer Track, "Stigmata" hingegen ist wieder ruhiger und langsamer. "Zip Guns (feat. Knowledge The Pirate)" erstaunt einen angesichts des im Vergleich zu den restlichen Gast-Parts eher unbekannten Features ein bisschen – und auf einmal sind wir beim letzten Track des Albums.
"Think Big" klingt nach Ankunft – nach der Küste von Rocs Heimat Long Island, nach sauberer Luft und einem klaren Kopf. Trotz schwerer Themen im Text hören wir gegen Ende noch Biggies Stimme, die es wie immer schafft, einen mit allem auszusöhnen. Ein gelungener Abschluss.
"The Elephant Man's Bones" ist, wie alles, was Alchemist anfasst, echte Kunst. Er tut das, was Alchimisten eben tun: Gold erschaffen. Roc Marciano und er passen zusammen wie die Faust aufs Auge und haben mit diesem Album vermutlich eines der besten Hip-Hop-Projekte des Jahres veröffentlicht, das Fans und Interessierte gleichermaßen begeistern wird. Absolute Hörempfehlung.
4 Kommentare mit einer Antwort
Weniger Möchtegernkunst und mehr echte Nickerchen statt echter Nickerchen wären mal wieder cool. Dieser Trend hält nun auch schon ewig und schläfert ein.
Verkopfte Kunst.
Der Style nervt einfach nur noch.
Ist halt wieder so ein Zeitgeist Ding. Ich glaube nicht, dass davon irgendwas in 10-20 Jahren noch funktioniert. Schade, Roc auf stimmigen Beats kann schon echt nice sein und zumindest ein paar Playlist Aspiranten versprechen. Alchemist kann es ja eigentlich auch. Wobei ich zb auch von den Kollaborationen mit Ev oft enttäuscht war, gemessen am Potential.
Ich hab mich noch nicht dazu bewegt das anzuhören, weil ich die beiden eigentlich mag, aber diese Beats ohne Drums schon sehr speziell sind und wirklich nur zum bewussten konzentrieren hören taugen.
Um trotzdem schon mal den Klugscheisser Alman zu markieren: mit Kiss sind höchstwahrscheinlich nicht die Rocker gemeint, sondern (Jada)Kiss - der in Madison Square Garden die Dips im Versus recht alt aussehen ließ.