laut.de-Kritik
Wie die Momentaufnahme einer "The Wire"-Staffel aus der Sicht von Stringer Bell.
Review von LAUT-RedaktionFreunde von Roc Marcianos Debütalbum dürfen aufatmen. Der Erfolg von "Marcberg" hat seinen Sound nicht negativ beeinflusst. Gleich in "Flash Gordon" nimmt er darauf Bezug: "Used to have to pitch / Now I print cash with the bic / The pad is a blank check", und später: "The pill of imbecile like Seal / Blood out the pen spill" ("Thugs Prayer Pt. 2").
Schon mit der ersten Line aus "Tek To A Mack" startet er ein Reimmonstrum, das bis zur letzten Line durchhält. Ausgefeilte Lyrics spult Marciano mit einem präzisen, unbeeindruckten, aber nicht monotonen Flow herunter.
Mehrfach verzichtet sein lässig-minimalistischer Boom Bap-Sound auf eine Hook. Tracks wie "76" beeindrucken stattdessen mit eindringlicher Klangfarbe und speziellen Rhythmusstrukturen.
"I'm back for the crown, baby / In the Avi' that's brown like gravy / Style's wavy, lazy eye Tracy McGrady
Deliver like an 80-pound baby." Inhaltlich beschreibt Roc Gangster-Lebensinhalte, düster, emotionslos und dabei sehr bildhaft: "You outta bounds, I'm outta town runnin' with hounds / Dumpin' the cow, kick up a dust cloud / The gun is rust brown, it's a oldie, but goodie / I'm looking like Goldie in the hoodie" (in "Nine Spray").
Atmosphäre schafft Roc Marciano mithilfe der oft eingespielten Skits. So featuret "20 Guns" ein wunderschönes Sample aus dem "Am Rande der Nacht"-Soundtrack. "Reloaded" klingt wie eine tongewordene Momentaufnahme einer New Yorker "The Wire"-Staffel aus der Sicht von Stringer Bell: Kopfkino pur wie ein akustischer Film noir.
Dank der intelligenten Präsentation entgeht die Platte der von vielen Street-Alben und Mixtapes bekannten Gefahr der Überzeichnung. Auch KA reiht sich als Gast perfekt ein und steuert in "Nine Spray" und "Not Told" (mit Knowledge The Pirate) jeweils einen Verse bei. "Deeper" bedient sich bei John Martyns "So Much In Love With You".
Obwohl Roc "nur" zehn Tracks selber produzierte, klingt das Ergebnis wie aus einem Guss. Auch The Alchemist, Ray West, The Arch Druids und Q-Tip erhalten Producer-Credits. Roc Marciano beschreibt das Arbeiten mit diesen Hochkarätern dankbar als Lernprozess. Und tatsächlich klingen auch seine Produktionen auf "Reloaded" professioneller und ausgefuchster als noch auf "Marcberg". So kann das Fazit nur lauten: Diggt man einen, diggt man alle.
Review von Corbinian Pfeiffer.
29 Kommentare
the wire ftw
Nachdem mich das Album die letzten 3 Wochen mehrmals taeglich begleitet hat, teilt es sich nun Platz 1 mit gkmc. Waere er textlich mehr wie sein brother from another mother Ka - 'Grief Pedigree' steht direkt dahinter, fand es aber leider zu kurz und skizzenhaft - und wuerde nicht permanent Markennamen fallen lassen, wuerde mich das ziemlich runterziehen. Auch fehlt mir ein Stueck mit der Vortragsweise wie 'Pop' vom Vorgaenger. Stream-of-consciousness, aber nicht hermetisch wie Ghostface. Hier kennt man wenigstens die grundlegenden Themen, die nur eben trotzdem noch in einer Sprache transportiert werden, die im Vergleich zu anderen seiner (??) Art wirklich fast sophisticated - irgendwo faellt "we sophisticated knuckleheads" - klingt.
Ob Roc denken würde, dass ich seine Hautfarbe haben wollen würde, wenn er mich "yo" sagen hören würde? Oder würde er denken "yo, der Kerl mag wohl HipHop"?
@Baudelaire (« @MeTOOLica (« .. »):
Rezension zum Album ueberhaupt gelesen? Deshalb habe ich hier ja die Serie erst erwaehnt. »):
nope, war eigentlich (wieder mal) nur am sozialen gefüge hier interessiert
Ich wollte hierauf noch antworten, aber mal kurz ( ) was anderes: schaut ihr 'Homeland'? Habe damit erst relativ spaet angefangen, weil nicht fuer essentiell gehalten, aber da habe ich mich wohl geirrt. Beste neue Serie und Sonntag geht TWD weiter.
Ja, schau ich, jedenfalls die erste Staffel, und die war ganz groß. Zur zweiten bin ich noch nicht gekommen, die wird aber bestimmt auch rocken. Walking Dead finde ich hingegen seit der 2. Staffel nicht mehr so toll, die Charaktere sind bis auf zwei, drei einfach für'n Arsch. Zu Homeland hab ich vor einem Jahr, als die Serie gerade rauskam, mal was auf einer Filmseite zu geschrieben. Falls es dich interessiert:
Was hab ich mir beim Titel "Homeland" und dem Plot nur im Vorfeld gedacht, ich, der sich aus Prinzip keine "24"-Folge ansieht, bei Schauspielern vor US-Flaggen am liebsten abschalten würde und sich bei jedem "Ich würde für mein Land sterben" an den Kopf fässt.
Was zuerst nach Ami-Propaganda erster Güte klingt, entwickelt sich mit ungeheurer Geschwindigkeit zu einem Katz-und-Maus-Spiel, das mit einfachen Mitteln für richtig gute Spannung sorgt. Die Differenziertheit, eigentlich beide Seiten schon fast verteufelnd, andererseits aber auch nie klar Stellung beziehend ist für mich, neben der Hauptdarstellerin, das faszinierendste an der Serie. Denn Claire Danes spielt die kurz vor dem Wahnsinn stehende, für ihr Land alles geben würdende CIA-Agentin mit einer so fesselnden Glaubwürdigkeit, dass der Golden Globe sicherlich nicht unverdient ist. Aber auch der Rest des Casts besteht aus teilweise sympathischen Leuten (toll, David Marciano aus "The Shield" mal wieder zu sehen), die im Endeffekt aber auch jeder was zu vergeben haben könnten - soweit greift die Paranoia, in das sich das Land selbst gestürzt hat, auf den Zuschauer über. Jeder könnte ein Spion sein oder Dreck am Stecken haben, sodass man sich aufgrund einiger starken Wendungen nie ganz sicher sein kann, wohin man gerade steuert. Und dann kommt der nächste Flashback, der die eigene Theorie völlig über den Haufen wirft. Man fiebert mit, man möchte unbedingt, dass die Wahrheit raus kommt, viel zu oft läuft man mit Carrie ins Leere und Spuren erweisen sich als falsch.
Eine intensive, glaubwürdige neue Serie, von der man sich bloß nicht wegen Titel oder Plot abschrecken lassen sollte. Ich fühlte mich nie, wie andere User hier, an die Grenzen der Glaubwürdigkeit geführt, dafür konnte man sich teilweise einfach zu sehr in Carries Lage hineinversetzen. Es ist kein Ami-Werbefilm, aber auch keine Terrorismus-Schönmalerei. Ein Spiegelbild der US-Gesellschaft, zudem mit einem richtig guten Cast, einem Tempo, das sich gewaschen hat und einigen tollen Wendungen. Wer mal so richtig mitfiebern (und mitzweifeln) will, sollte sich "Homeland" auf keinen Fall entgehen lassen.
Wir müssen hier eh viel mehr über Serien und Filme reden.