laut.de-Kritik

Ein Album wie eine Schlafdecke.

Review von

Meine Freundin bat mich inständig, zu betonen, dass Roger Taylor eigentlich ein hervorragender Schlagzeuger und Gitarrist sei. Ich gehe sogar noch weiter: Als Komponist war er mit verantwortlich für einige der erfolgreichsten und ikonischsten Songs überhaupt. Früher war aber eben alles besser, und dazu zählt auch der OBE aus der Grafschaft Norfolk. Die Erfahrung lehrt: Altherrenwerke sind selten gut. Mag es am weniger lodernden inneren Feuer oder dem nicht mehr altersangemessenen Kokain liegen, die Sündenfälle im Spätwerk von Cohen über DiMucci bis Nelson sind viel häufiger als die selbst als Greise souveränen Pops und Osbournes dieser Welt.

"Outsider" bestätigt diese Regel leider in einer dramatischen Art und Weise. Dramatisch nicht im Sinne von Hochs und Tiefs, auf diesem Album gibt es nur Tiefs mit zwei weniger schluchtentiefen Tiefs: Der Titelsong und "We're All Just Trying To Get By" mit KT Tunstall, die sich aber auf Taylors Niveau ziehen lässt. Dramatik entsteht dadurch, dass Taylor im Verlauf der Jahre offenkundig jegliches Gefühl für Musik und seine Muttersprache abhandengekommen ist. Anders sind Pseudo-New-Age-Songs wie "Tides", "I Know, I Know, I Know" und vor allen Dingen das abartig langweilige "Foreign Sand (English Mix)" einfach nicht zu erklären, mit ihrer völligen Ereignislosigkeit und billigen, immer im falschen Moment auftauchenden Keyboard-Streichern; ganz zu schweigen von den schauderhaften, kindlich-debil wirkenden Texten. Würde man einen Demenzkranken in einem Altersheim nach nächtlichem Einbruch mit vorgehaltener Waffe zwingen, ein Album zu schreiben, das Ergebnis käme "Outsider" wohl erschreckend nahe. Hier passiert einfach nichts. Kein Song hat irgendeine Art von Hook oder musikalischer Idee, kein einziges Instrument ist von Taylor auch nur mit irgendeiner spürbaren Begeisterung zum Klingen gebracht worden.

"Isolation" ist die Vergegenwärtigung aller miesen Corona-Songs, die jemals geschrieben wurden. In Wikipedia wird er in 30 Jahren als Prototyp des 2020 entstandenen Genres Wohnzimmer-Ska vorgestellt - hoffentlich mit einem trigger warning. "Strange times, indeed" singt Taylor im Refrain. Das ganze Album ist das, was der nervige Nachbar euch, unangenehm weit über den Zaun lehnend, über Corona, sein Leben, von der Freude, Erfahrungen zu sammeln, und über die blöden Politiker zu sagen hat. "Gangsters Are Running This World" ist noch nerviger in der "Purple Version", die sich anhört, als käme sie durch ein Wurmloch direkt aus dem Proberaum einer Teenie-Glamrock-Band aus den 80ern. Altherrenrock trifft "Outsider" nicht wirklich, denn der hat eine gewisse und oft abschreckende Larmoyanz, einen Gestus, der vom eigenen Schaffen unrichtigerweise sehr überzeugt ist. Das Ergebnis von Altherrenrock ist oft nicht gut, aber wenigstens kann man sich an ihm reiben. Dieses Album ist Calciumfolinat direkt in die Gehörgänge, es ist einfach kommerzorientierter Schlager. Selbst der mit weitem Abstand beste (Titel)-Track deutet nur in homöopathischen Dosen an, wo die Reise hätte hingehen können, wenn Taylor durchaus altersgerecht den Glamrock, der auch seinen Solooutput lange kennzeichnete, ablegen will: In "Outsider" singt Roger, statt nur zu säuseln, und die Instrumentierung gerät dank des markanten Pianos offen, statt den Song einzuigeln. Eine vernünftige Song-Idee fehlt aber auch hier.

Über "The Clapping Song" kann man gar nicht mehr ironisch lachen, man verspürt lediglich ein stumpfes, unangenehmes Mitleid. Es handelt sich zwar nur um ein Cover eines Shirley-Ellis-Singalongs, der im Original schon kaum auszuhalten ist, das sich aber passgenau in den Rest des Albums einfügt. Ohne das Original zufällig zu kennen, würde man Roger diesen Pflegeheim-Animateur-Song durchaus zutrauen. Der Song hat den Charme des besoffenen Großonkels, der den verängstigten Kindern auf der Familienfeier die Hände zum Mitklatschen zusammenschlägt. Im Herbst überzieht der tourende Taylor das Vereinigte Königreich mit dieser Schlafdecke eines Albums. Nächstes Jahr melkt er mit Mittäter Adam Lambert die Cashcow Queen wieder, bis auch von der nur noch das Skelett dasteht. "And then again if you should leave me/ I'd stand aside and let you free". Danke zumindest dafür, Roger!

Trackliste

  1. 1. Tides
  2. 2. I Know, I Know, I Know
  3. 3. More Kicks (Long Day’s Journey Into Night… Life)
  4. 4. Absolutely Anything
  5. 5. Gangsters Are Running This World
  6. 6. We're All Just Trying To Get By feat. KT Tunstall
  7. 7. Gangsters Are Running This World (Purple Version)
  8. 8. Isolation
  9. 9. The Clapping Song
  10. 10. Outsider
  11. 11. Foreign Sand (English Mix)
  12. 12. Journey's End

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LAUT.DE-PORTRÄT Roger Taylor

"Die letzten 20 Jahre oder so habe ich nur für mich geschrieben, weil Queen nichts Neues veröffentlicht hat. Wenn mir eine Idee in den Kopf kam, dachte …

13 Kommentare mit 55 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Die Kritik will ich gar nicht kritisieren. Am Ende ist Musik Geschmackssache. Dieser beleidigende und respektlose Ton geht aber gar nicht. Das geht leider genau in die Richtung der enthemmten Sprache, mit der wir täglich auf Social Media zu kämpfen haben. Ja, ihr wollt auf Laut witzig sein, ihr wollt polarisieren. Aber einen verdienten Musiker auf einer persönlichen Ebene so dermaßen in den Dreck zu ziehen - das ist billig und feige, auch weil ihr dann am Ende doch zu unbedeutend seid, um von Leuten wie Roger Taylor selbst gelesen zu werden.

    • Vor 3 Jahren

      "Das geht leider genau in die Richtung der enthemmten Sprache..."

      "Aber einen verdienten Musiker auf einer persönlichen Ebene so dermaßen in den Dreck zu ziehen..."

      Zitiere doch bitte einmal ein paar Textstellen, wo das deiner Meinung nach stattfindet. Die Rezi ist stark negativ keine Frage, bezieht sich dabei aber fast ausschließlich auf die Musik und Allgemeinaussagen und kaum auf den Künstler persönlich. Und enthemmte Sprache ist ja jetzt mal ein ziemlicher Witz.

    • Vor 3 Jahren

      Die Sprache, die mich stört ist z.B. "Über "The Clapping Song" kann man gar nicht mehr ironisch lachen, man verspürt lediglich ein stumpfes, unangenehmes Mitleid." oder ""Isolation" ist die Vergegenwärtigung aller miesen Corona-Songs, die jemals geschrieben wurden." Oder "Würde man einen Demenzkranken in einem Altersheim nach nächtlichem Einbruch mit vorgehaltener Waffe zwingen, ein Album zu schreiben, ..."
      Das kann man in die Kommentare eines Musik Magazins schreiben. Journalistisch finde ich es ungenügend. Da fehlt die professionelle Distanz.
      Nur zum Vergleich die englisch-sprachige Presse: Auf Metacritics sammelt das Album (bislang 3x60% Zustimmung, 1x80%). Da lässt sich kein Musikjournalist zu einem Pamphlet herab. Man bleibt bei der Sache, zeigt aber trotzdem die Schwächen auf.

    • Vor 3 Jahren

      Kann dich ja gerne stören, fällt aber alles nicht in die Kategorie des im OP Angeprangerten. So wie du das ausdrückst/kritisierst, finde ich das auch recht legitim, auch wenn ich damit nicht d'accord gehe, bzw. wir wahrscheinlich nicht das gleiche Verständnis einer Rezension teilen.

      Und dass Rezis die 3/5 oder mehr geben weniger Negatives zu sagen haben, ist jetzt ja auch keine Offenbarung.

    • Vor 3 Jahren

      Ach, der Author folgt ja nur der alten Musikkritiker-Tradition (die es schon seit den 70ern gibt) alles was irgendwie aus Richtung Queen kommt mit untergriffigen Rezensionen niederzumachen. Da gabs ja noch viel heftigere Kritiken von Rolling Stone & Co. ^^

    • Vor 3 Jahren

      "Die Kritik will ich gar nicht kritisieren. Am Ende ist Musik Geschmackssache."

      Wäre auch im Hinblick auf die Subjektivität von Rezensionen ein schwieriges Unterfangen ;)

    • Vor 3 Jahren

      Ich denke zur korrekten Einordnung dieser Rezension muss man auch wissen, dass in der Ancientcave ja schon seit über einer Woche eine ziemlich positive Besprechung zum vorliegenden Werk zu finden ist. Da ist es natürlich ungleich schwerer noch irgendwelche Klickzahlen einzufahren und als Redakteur muss man sich schon so einiges einfallen lassen, um sich noch profilieren zu können. Ich denke ein heftiger Verriss ist da tatsächlich eines der einzigen Mittel.

    • Vor 3 Jahren

      Danke für den Tip! Ich denke, mit Speedis Rezession und diesem unrühmlichen Geschreibsel eines verbitterten Musik"journalisten", der es selbst eh nicht besser kann, kann man sich ein ziemlich realistisches Bild dieser Platte machen.

    • Vor 3 Jahren

      Der Duktus des Verfassers der Rezension lässt ihn wenig sympathisch erscheinen. Man wundert sich, dass er eine Freundin hat.

    • Vor 3 Jahren

      Ja, man wundert sich sehr. Ob es gar möglich ist, dass der reißerische Duktus lediglich auf seine journalistische Tätigkeit zu beziehen ist und keinerlei Rückschlüsse auf seinen Charakter noch auf seine Beziehungsfähigkeit zulässt...? :rolleyes:

    • Vor 3 Jahren

      Ich wundere mich auch immer wieder, wenn Frauen sich keine netten, sympathischen Kerle aussuchen. Das ist das letzte, ungelöste Rätsel der Menschheit.

    • Vor 3 Jahren

      Kann nur so viel sagen: Ich hasse sehr viele Arten von Musik und teile das gern mit. Deshalb bade ich quasi in Fluor Vaginalis.

    • Vor 3 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 3 Jahren

      "Ich hasse sehr viele Arten von Musik und teile das gern mit. Deshalb bade ich quasi in Fluor Vaginalis."
      was hat denn das mit deiner tätigkeit als reinigungskraft in einer gynäkologiepraxis zu tun? :P

  • Vor 3 Jahren

    Eigentlich ist nur das Mitte-Werk von Cohen scheußlich, als er sich eklige Synthies dazumischen ließ. Sein Spätwerk ist das beste seiner gesamten Karriere.

  • Vor 3 Jahren

    Dieses Sätze ergeben absolut keinen Sinn und widersprechen sich auch. Liest das denn keiner gegen? "Altherrenwerke sind selten gut. Mag es am weniger lodernden inneren Feuer oder dem nicht mehr altersangemessenen Kokain liegen, die Sündenfälle im Spätwerk von Cohen über DiMucci bis Nelson sind viel häufiger als die selbst als Greise souveränen Pops und Osbournes dieser Welt."
    Ein Stern ist m.E. auch zu hart und nicht angemessen. Auch ich nehme Taylor (und May) das Melken der Queen-Cashcow übel. Auch ich nenne das Leichenfledderei. Auch mich nervt das Schlagzeugspiel Taylors ungemein. Innovativ geht anders. Dennoch kann ich entspannter auf diesen Output reagieren.

    • Vor 3 Jahren

      @Meypelnek:
      Keine Ahnung, ob jemand Roger Taylor als Schlagzeuger wirklich "innovativ" nennen würde. Ringo Starr war auch nicht innovativ an seinen Schüsseln, aber sowohl Taylor als auch Starr waren banddienlich wie die Sau, ziemlich flexibel im Einsatz ihrer Mittel, und darüber hinaus rhythmisch extrem stabil. Würde ich jedenfalls nicht unterschätzen, zumal Taylor ja auch wenigstens auf "Queen II" beweisen konnte, daß er auch krumme Takte und nahtlose Übergänge hinkriegt, wenn's denn sein muß.
      Gruß
      Skywise

    • Vor 3 Jahren

      Der Satz bräuchte mindestens zwei Korrekturen. Kritik ist aber völlig okay.

    • Vor 3 Jahren

      Hi Skywise. Ich gebe Dir absolut recht, solide und songdienlich war Taylor immer. Ich persönlich fand es aber häufig schade, dass er mit seinen Beats recht engspurig und offensichtlich weit hinter seinen Möglichkeiten blieb.

    • Vor 3 Jahren

      @Meypelnek:
      Ich weiß nicht, wie weit seine Möglichkeiten am Schlagzeug reichen, wenn ich ehrlich bin. Seine Live-Interpretation von Sandy Nelsons "Let There Be Drums" (war's "Return Of The Champions"?) zähle ich mit zu den schwächsten Schlagzeug-Soli eines namhaften Drummers, die ich jemals gehört habe. Ich denke, daß das Tüfteln im Studio am richtigen Beat, am richtigen Sound und an den kleinen Akzenten im Hintergrund ihm eher in die Hände spielt als die spontane Schlagzeugarbeit im Scheinwerferlicht, denn das im Studio Ausgefeilte findet man bei ihm meistens 1:1 auch auf der Bühne, da sind May, Deacon und vor allem Mercury deutlich experimentierfreudiger gewesen.

      Gruß
      Skywise