laut.de-Kritik
Intelligent Jazz Disco. Weniger Grenzen kennt nur Frusciante.
Review von Michael SchuhAngenommen, man würde auf die Frage nach den besten Songs, an denen Roisin Murphy je beteiligt war, spontan "The Time Is Now", "Sing It Back" und "Fun For Me" antworten, wäre dies nicht nur höchst diskutabel, sondern auch ungerecht. Stammen diese Titel doch von ihrer früheren Band Moloko, die seit zwölf Jahren nicht mehr existiert. Dennoch klingen sie immer noch so frisch wie am ersten Tag, was viel über den Anspruch aussagt, den Murphy an ihre Musik hegt.
Erinnerungscharakter ist allerdings kein Attribut, das zuletzt sonderlich viele ihrer Songs auszeichnete, was vielleicht erklärt, warum sich sogar die L.A. Times zu der Behauptung vorwagt, Murphys alter Moloko-Partner und Ex-Freund Mark Brydon hätte ihr viertes Soloalbum "Take Me Up To Monto" koproduziert. Reines Wunschdenken, natürlich. Mit dem Briten Eddie Stevens hat die Irin längst ihren neuen Studiopartner gefunden, der zwar auch schon bei Moloko zur Liveband gehörte, ihren Drang nach stilistischer Veränderung im Songwriting aber erst seit 2015 tatkräftig unterstützt. Irish Blood, English Heart - ein schlagkräftiges Doppel.
Als wolle sie die acht Jahre Pause zwischen "Overpowered" und "Hairless Toys" schnellstens aufholen, folgt nur ein Jahr später nun "Take Her Up To Monto" und führt den eingeschlagenen Weg konsequent fort: Kühle Electronica bildet das Fundament für neun irrgartenartig angelegte Song-Gebilde, in deren Innerstes vorzudringen zunächst nur Bauleiterin Murphy vorbehalten zu sein scheint. Dass sie auf dem Cover mit Schutzhelm abgebildet ist, muss einen nicht mehr ängstigen: Ihre pluckernden Ungetüme sind jetzt einsturzsicher.
Im Vergleich zu "Hairless Toys" setzt "Take Her Up To Monto" zum Glück nicht auf eine oftmals zu ausufernde Track-Ästhetik, die einem vorkam, als würde man ausschließlich Extended Versions vorgesetzt bekommen. Geht ein Song wie die stilvolle Moroder-Verbeugung "Mastermind" mal sechseinhalb Minuten, dann folgt das alles einer stringenten Idee. Im Opener spielt Roisin Murphy (mehr noch als auf der ähnlich strukturierten Single "Ten Miles High") alle Facetten ihres Könnens aus, führt zwei scheinbar komplett verschiedene Songs auf einem House-Beat zusammen, kombiniert Sprechgesang mit ihrer nach wie vor bezaubernden Stimme und erschafft einen Instant-Classic-Ausrutscher ihres eigentlich neuen Stils Intelligent Jazz Disco. Jede Sekunde ist durchdacht. Beeindruckend.
Das schwermütige "Pretty Gardens" fährt das Adrenalin zurück, dafür kommt die erwähnte Stevens'sche Jazz-Vorliebe voll zur Geltung. Der Song erinnert leicht an ihr tolles "Ruby Blue"-Debüt mit Knisterfachmann Herbert als Producer (2005). "Thoughts Wasted" beginnt mit luftigen Pianoklängen, danach übernehmen wieder die Beats, doch spätestens im hypnotischen Mittelteil, in dem sie mit Stevens im Duett singt, fühlt man sich an Yann Tiersens bewegende "Amelie"-Melodien erinnert.
Der federnde Bossanova "Lip Service" ist vielleicht der fröhlichste Murphy-Song seit Moloko-Zeiten, kurz darauf zieht einen das waidwunde "Whatever" tief runter in den Schlund der Tristesse. Herum experimentiert wird vor allem in "Nervous Sleep", einer zähen Minimal-Ballade, mehr Entwurf als Resultat, aber mittlerweile hat man ja kapiert, dass Murphy als weibliche Frusciante-Wiedergängerin nach neuen Kicks sucht. Ihre Stimmfarbe erscheint hier bereits so vielseitig wie die einer Marianne Faithfull, obwohl da noch fast 30 Jahre dazwischen liegen.
Das Wiegenlied "Sitting And Counting" beendet die Platte nicht ganz so atemberaubend wie zuletzt "Unputdownable", doch nach wie vor gilt: Wer es gern unkomplizierter mag, muss Tame Impala hören. Oder Moloko.
4 Kommentare
"Weniger Grenzen kennt nur Frusciante."
Aber klar doch.
Die Dame is aber ordentlich am produzieren zurzeit
Finde das Album zu sperrig, zu experimentell nicht griffig genug. Da wünscht mich sich Moloko zurück.
Was fürn unsagbar Hässliches Cover.