laut.de-Kritik
Stadionrefrains verderben die kleinen Sounddiamanten.
Review von Hannes WesselkämperDas ist so eine Sache mit dem Genie, gerade erst vor zweihundert Jahren erfunden, wurde es spätestens 1968 von Roland Barthes getötet. Doch es scheint, als würde es besonders in Indie-Kreisen die Zeiten überdauern.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Genialität mit Depression und Außenseitertum einhergeht, so scheint es jedenfalls aus Sicht der Plattenfirmen. Mark Everett, Conor Oberst oder auch das Biberacher Wunderkind Konstantin Gropper - die Leute wollen Melancholie!
Roman Fischer tauchte wie Gropper aus der süddeutschen Provinz auf dem Radar der Hipster auf. Mit ein wenig Eigenbrötlertum und melancholischer Musik wurde er gar zu Rock am Ring oder ins Vorprogramm der Arctic Monkeys gehyped. Über genügend Talent sowie musikalische Wandelbarkeit verfügt der Sänger jedenfalls. Das stellte er schon mit den Vorgängeralben "Bigger Than Now" und "Personare" unter Beweis, zwei Alben voller klaviergetränkter Balladen und hymnischem Indie-Pop.
Die Stadion-Credibility dieser Hymnen wirkt jedoch aufgepfropft und artifiziell in Fischers dritten Album. "Roman Fischer" überfüttert den Hörer bald mit Hall-Effekten, Lieder bekommen einen obligatorischen Feuerzeug-Part, und Mitsingen kann nach einem Refrain jeder.
Bestes Negativbeispiel ist "Not For Everyone": vor einem Smiths-artigen Gitarrenriff wird Fischers Stimme ideal in Szene gesetzt, bevor der Stadionrefrain alles verdirbt und zum Ende hin gar ein Feuerwerk (!) einsetzt. Kleine Sounddiamanten werden gnadenlos aufgeblasen und fallen so bald in sich zusammen.
"Let It Go" wünscht man ihm oft genug. Weg mit den Killers, weg mit dem standardisierten Hi-Hat-Gezappel und vor allem raus aus dem Stadion. Und wirklich, die zweite Hälfte der Platte weist ein paar Schmuckstückchen auf.
"Beware" ist dynamischer und geht mit seinem dunklen Touch nicht mehr so schnell aus dem Kopf. Hier erweist sich der Hall in Fischers Stimme gar als wichtiges Stilmittel. Gesang und tiefes Piano liefern sich ein furioses Duell, das mitsamt der rückkoppelnden Gitarre mehr beeindruckt, als der ganze Rest des Albums bis dahin.
Der zweite Hochpunkt der Platte ist definitiv der retropoppige NDW-Track "All Night All Day". Synthiefrickelei und deutsch-englischer Gesang simpelster Textzeilen und das Aufbrechen der vorgegebenen Indie-Pop-Muster lassen einen regelrecht aufatmen. Auch "Sooner Or Later" punktet mit einer offeneren Struktur, Fischers Stimmorgan bekommt einen Schubs in Richtung Thom Yorke, während sich der Song dazu passend in psychedelische Höhen schaukelt.
Man sollte von The XX gelernt haben, dass Indie-Pop in seiner minimalistischsten Form beim Publikum mehr als gut ankommt – von Kritikern ganz zu schweigen. Auf traurige Art und Weise verliert sich Roman Fischer im Pomp, allerdings nicht ohne auf sein weitreichendes musikalisches Talent hinzuweisen.
Der einsame kreative Held auf den großen Bühnen: was Promo-Leuten und Teeniemädels (Roman Fischer war jüngst auf dem Soundtrack zu Til Schweigers Zweiohrküken zu hören) ein Leuchten in die Augen ruft, lässt die musikalische Erfindungsgabe stagnieren. Vielleicht könnte das Konstrukt Indie-Genie eine Überarbeitung gebrauchen.
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