laut.de-Kritik

Überschwängliche Kunstlieder des "Gay Messiah".

Review von

Wenn die einen auf "Release The Stars" die schwelgerische Prasssucht vermissen und die anderen der Meinung sind, die Opulenz des Werkes schade der Intimität der Songs, dann hat Rufus Wainwright auch dieses Mal alles richtig gemacht.

Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich das aktuelle Album des 33-jährigen Troubadours, der es wie kein anderer versteht, seinen Popsongs klassische Kompositionsstrukturen, Theatralik und einen Hauch von Cabaret einzuverleiben, ohne dabei manieristisch zu klingen. Der wunderbare, vielseitige Gesang Wainwrights steht stets im Zentrum der Inszenierungen, bei deren Produktion Pet Shop Boy Neil Tennant beratend zur Seite stand. Schwelgerische, intensive Kunstlieder sind das, deren Verführungskraft der geneigte Hörer leicht erliegt.

"Why does it always have to be fire/ Why does it always have to be brimstone?" fragt Rufus im bombastischen Opener "Do I Disappoint You?", dessen Melodiebogen sich mit orchestraler Wucht und Kinderchor verstörend und erhaben in Wagnerianische Höhen empor schraubt. Wer diesen waghalsigen Einstieg überstanden hat, trifft im weiteren Verlauf auf zugänglichere, weniger komplex arrangierte Kompositionen.

Vehemente Amerika-Kritik trägt er im betörenden "Going To A Town" vor, begleitet von Klavier und Schlagzeug; ein Background-Chor und sanfte Streicherarrangements untermalen die traurige Bitterkeit dieses hitverdächtigen Songs. Der positive Eindruck, den Berlin während der Aufnahmen zu "Release The Stars" auf ihn gemacht hat, offenbart sich in besinnlich-heiteren Liedern wie "Tiergarten", der als Ort der vermeintlich romantischen Zusammenkunft besungen wird und dem lustvolle "Sanssouci", das für die sexuelle Ausschweifung steht.

Ruhigere Nummern wie das wunderbare "Nobody's Off The Hook" und das vertrackte "Tulsa" bestechen mit verschlungenen Melodielinien und feinsinniger Instrumentierung, wobei die melodramatische Tendenz immer präsent ist, aber nie die Überhand gewinnt. Gefühlvolle Balladen wie "Not Ready To Love" mit weicher Steel-Gitarren-Begleitung und "Leaving For Paris N° 2", dessen Basis ein fein perlender Klavierlauf bildet, fügen sich harmonisch in die Songauswahl.

Weniger zurückhaltend geht Rufus musikalisch und lyrisch in der tanzbaren Stomp-Nummer "Between My Legs" zur Sache, die flächig instrumentiert ist, mit einem euphorischen Refrain aufwartet und mit dem Motiv aus Webbers "The Phantom Of The Opera" ausklingt. Hier kommt die überschwängliche, hedonistische und energetische Seite des Ausnahmekünstlers zum Tragen, ebenso wie in dem epischen "Slideshow", das langsam beginnt, sich dann zu einem enervierenden Refrain ("I better be prominently featured in your next slideshow/I paid a lot of money to get you here, you know") aufschwingt, um in ein deplaziert anmutendes folk-rockiges Gitarrensolo überzugleiten. Muss nicht sein, aber gut.

Der finale Track "Release The Stars" kommt einem Abgesang auf Hollywood gleich, swingend und in bester Entertainer-Manier vorgetragen. Der Vorhang fällt nach einem furiosen und pompösen Abgang. Applaus!

1998 war das gleichnamige Debüt dieses extraordinären Künstlers das, was die Welt brauchte, 2004 hat er mit "Want Two" sein bisher kreativstes Werk veröffentlicht. Nun mag "Release The Stars" nicht die gewaltigste Platte des Rufus Wainwright sein, aber sie ist der äußerst gelungene Versuch, sich dem Mainstream anzunähern, ohne dabei an Individualität, Kreativität und Wahrhaftigkeit einzubüßen.

Trackliste

  1. 1. Do I Disappoint You
  2. 2. Going To A Town
  3. 3. Tiergarten
  4. 4. Nobody's Off The Hook
  5. 5. Between My Legs
  6. 6. Rules And Regulations
  7. 7. Not Ready To Love
  8. 8. Slideshow
  9. 9. Tulsa
  10. 10. Leaving For Paris N° 2
  11. 11. Sanssouci
  12. 12. Release The Stars

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