laut.de-Kritik

Where Rolf Kasparek and Steve Harris collide.

Review von

Die Wellen brechen, der Wind singt Lieder von Freiheit und die Gischt wischt die Angst aus dem wettergegerbten Gesicht. "Breaking The Waves, a ride on the wild raging sea". Der blanke Hans lacht - und Rolf Kasparek, Bassist Jens Becker, Drummer Iain Finley und Gitarrist Majk Moti lachen zurück. "Playing with fortune, what a lust to be free". Niemals zuvor und niemals danach gelang Rock'n'Rolf, dem Kapitän der hanseatischen Freibeuter-Kogge Running Wild, ein mitreißenderer Track als "Riding The Storm". "Flashlights and thunder, the pattering rain on the hull". Angefangen vom bombastisch-instrumentellen Intro, das die ängstliche und zugleich überschwängliche Aufbruchsstimmung perfekt einfängt, bis hin zum fast speed-metalischen Wirbelsturm, der nach zwei Minuten auf offener See losbricht. "From a stormy horizon we get our course / The cry of freedom."

"Face in the wind, we're riding the storm": Im Auge des Wahnsinns fegt der Refrain wie die Flying Dutchman aus den Boxen. In den Tauen hängend und nass bis auf die Knochen zeigt die Mannschaft dem Klabautermann den Stinkefinger. "We'll stay our course whatever will come / Wandering souls in the sea of the damned / Death or glory, oh, oh we're riding the storm." Der Opener des fünften Studioalbums "Death Of Glory" ist ein Jahrhundert-Song. Ein Song, der sich mit jedem anderen Stück der Heavy Metal-Geschichte auf Ohrenhöhe duellieren könnte – so wie die gesamte Scheibe.

Nach den dämonenbeschwörenden Mitgröl-Rockern der ersten beiden Werke "Gates Of Purgatory" und "Branded And Exiled", die zwar Mitte der 80er sehnsüchtig machten, aber nur eindimensionalen NWOBHM boten, adaptiert Rolf musikalisch seine Liebe zu Piratengeschichten. Dümpelt "Under Jolly Roger" 1987 trotz legendärem Titeltrack noch etwas uninspiriert durch bekannte Gewässer, warten Running Wild bei "Port Royal" ein Jahr später bereits mit virtuosen Breaks, Spannungsbögen, Tempiwechsel, besseren Gesangslinien und klarerer Produktion auf. Einzig die eingängigen Refrains bilden den Ankerpunkt zu den Anfängen.

Wiederum nur ein Jahr darauf steht Kapitän Kasparek erneut an der Reling der standesgemäß nach einem Judas Priest-Lied benannten Running Wild und steuert das Schiff mit "Death Or Glory" 1989 in Klassikergefilde. Noch zwingender, druckvoller und ausgefeilter stampfen und sausen seine Kompositionen auf der von Starkarikaturist Sebastian Krüger kongenial bebilderten Platte über die Meere. Nach dem unerreichten "Riding The Storm" kontert "Renegade" den schnellen Opener perfekt. Hart und kompromisslos wie Störtebeker, als dieser einst die Handelsschiffe der Hanse kaperte, drücken Running Wild den Midtempo-Track nach vorne und spiegeln so die Lyrics über das Gefängnis der Drogenabhängigkeit perfekt. "Restless night, you want to watch the dragon burn / Lives for knives, are you ever gonna learn / You really want to know if the needle ever lies / But you just don't believe - it's the devil in disguise."

Running Wild emanzipieren sich von Priest und Co. und finden auf "Death Or Glory" ähnlich wie Maiden ihre eigene Nische zwischen kraftvollen Headbangern alter Tage und vertrackteren Power Metal-Anleihen. Das nach dem furiosen Auftakt auf etwas ruhigerer See segelnde Trio aus "Evilution", "Running Blood" und "Highland Glory (The Eternal Flight)" beweist dies eindrucksvoll. Auf dem schleppenden "Evilution" zwängt Rolf die vormals limitierte Stimme beinahe in Ozzy-Harmonien, während seine Leadgitarre im kurzen Intro das Thema von "Riding The Storm" wieder aufnimmt. "Running Blood" setzt noch einen drauf und wirbelt mit einem Riff-Feuerwerk durch das groovende Midtempo-Gerüst - where Rolf Kasparek and Steve Harris collide. Bei der "Highland Glory" wagen sich Running Wild an ein Instrumental, dass zwar keine Kinnläden nach unten zieht, aber sich doch stimmig in den Albumkontext einfügt.

Die zweite Hälfte jedoch ist purer Murder on the Seafloor. "Marooned" zieht sofort das Tempo an und ist klassischer Running Wild-Stoff. "Eternal curse / I feel the fires of madness / Burning holes into my wounds / This hell on earth / I feel the power of sadness / No way out - I'm marooned". "Bad To The Bone" rockt dagegen so schmissig und catchy durch die Charts, als hätten die Hamburger auch mal Hannover geplündert. Lyrisch zeigt Rock'n'Rolf Flagge gegen alle Neonazis und warnt eindringlich: "Fifty years ago with the world at war / Lands bloodied – devastated / Better believe they're back for more / Pounding the world with a fist of steel / Jack booted, heavy handed / Careless of the pain we feel."

Das folgende "Tortuga Bay" kehrt wieder in den Heimathafen zurück und kann sich mit allen Running Wild-Stücken zu allen Zeiten messen (exklusive "Riding The Storm", versteht sich). Doch wer dachte, dass dem Metal-Sturm irgendwann die Puste oder die Ideen ausgehen, wird von Majk Moti eines Besseren belehrt. Der damalige zweite Gitarrist schreibt sich mit dem traurigerweise niemals live gespielten Titeltrack ins ewige, meistens vom Kapitän randvoll gefüllte Logbuch der Running Wild ein. Schon die Riffs unterscheiden sich vom typischen Running Wild-Sound, und auch die progressiven Strukturen verwirren die Synapsen angenehm. Mit der Zeit fräsen sich jedoch Rolfs bewährte Stimme und der kraftvoll-galoppierende Rhythmus immer weiter in die Sinne, bis die Kritik an der blutigen Fuchsjagd im mächtigen Chorus endet: "Death or glory - pride or pain / Breaking down the rules of greed and gain / Hunter's hounds in the hands of the hunted / Death or glory."

Das epische, knapp achtminütige "Battle Of Waterloo" und der brutale Stampfer "March On" runden das grandiose Metal-Feuerwerk gebührend ab. Bildete "Port Royal" den Anfang der großen Fahrt, ist "Death Or Glory" der stildefinierende Höhepunkt und das Mitte der 90er folgende "Black Hand Inn" das Grande Finale. Fünf Alben innerhalb von sechs Jahren – die ebenfalls großartigen "Blazen Stone" und "Pile Of Skulls" nicht zu vergessen – hievten Running Wild an die Spitze des German Metals, in eine Kategorie mit Blind Guardian und Accept. Nach Accepts "Restless And Wild" gibt es kein wichtigeres und besseres Heavy Metal-Album aus dem deutschsprachigen Raum.

"Face in the wind, we're riding the storm
We'll stay our course whatever will come
Wandering souls in the sea of the damned
Death or glory, oh, oh we're riding the storm.
"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Riding The Storm
  2. 2. Renegade
  3. 3. Evilution
  4. 4. Running Blood
  5. 5. Highland Glory (The Eternal Flight)
  6. 6. Marooned
  7. 7. Bad To The Bone
  8. 8. Tortuga Bay
  9. 9. Death Or Glory
  10. 10. Battle Of Waterloo
  11. 11. March On

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