laut.de-Kritik

Lovecraft und Jogginghose.

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"Cultural Appropriation? Nee, Cultural Appreciation", nehmen Saitün sicherheitshalber gleich selbst vorweg, damit niemand ihren schnoddrigen Umgang mit verschiedensten Einflüssen in den falschen Hals bekommt. Gewandet in Jogginghosen, Wifebeater und Silberkettchen klüngeln die Schweizer orientalische Melodien mit Alternative-Verständnis und Lovecraftsche Mystik mit Slackerhumor.

Den Titel "Al' Azif" kennen Horrorfans als Namensursprung des Dämonenschmökers "Necronomicon". Saitün bestücken ihr Debütalbum zwar dem angemessen mit reichlich düster-erhabenen Passagen (zweimal sogar als eigenständige Atmosphäre-Interludes), wackeln aber eigentlich noch viel lieber mit den Pobacken. Schon im ersten Track "Sanatorium" bringen sie beides wunderbar unter einen Hut.

Über "Street Credibility" hängt die ganze Zeit eine dräuende Wolke, den geschickt aufgebauten Spannungsbogen lösen Saitün am Ende mit epischen Gitarrenharmonien. Sänger Philipp Diaz konterkariert die bedeutungsschwangere Stimmung mit spröder Lässigkeit und rotzt Zeilen wie "If you wanna buy a house, get yourself a job / If you want some fancy clothes, get yourself a job / If you want to feel fabulous, fuck your job". Gerade in dieser Kombination aus hörbarem Spaß an Opulenz bei gleichzeitig überzeugend inszenierter IDGAF-Attitüde liegt der Charme Saitüns.

"ADHD (Take 27)" krempeln sie innerhalb von vier Minuten von beschwingten Balkanrhythmen und De Staat-Vibes um zu wuchtigem Heavy Psych. Dazu lässt sich tanzen und headbangen. Bedrohlich lauernde Riffs durchziehen "Show Me What You Got" und entladen sich immer wieder in einem an System Of A Down erinnernden Refrain. Als dadaistisches Element pingpongen später noch ansteckende Kuckuck-Vocals durch den Song. Das wird ein Live-Hit, versprochen.

Ihre Licks spielen die vier Baseler auch mal auf der Saz. Handtrommeln und Schellen ergänzen das Schlagzeug. Gelegentliche New-Wave-Beats und Synthscapes gehören ebenso zum Sound wie knorrige Basslines und Fuzzgitarre. Würden All Them Witches Altın Gün covern, klänge das vielleicht ähnlich. Der orientalische Aspekt mag hier eher touristisch verklärt denn authentisch aufleben, doch Saitün machen daraus keinen Hehl. Sie tragen es ungeniert als USP vor sich her und basteln daraus ein unwiderstehliches Mashup. "Al' Azif" ist schon jetzt eins der besten Debütwerke des Jahres.

Trackliste

  1. 1. Al' Azif
  2. 2. Sanatorium
  3. 3. Stomach Is A Graveyard
  4. 4. Coban
  5. 5. ADHD (Take 27)
  6. 6. Al' Asri
  7. 7. Street Credibility
  8. 8. Show Me What You Got
  9. 9. Kitab
  10. 10. Usta

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LAUT.DE-PORTRÄT Saitün

Lovecraft und Jogginghosen. Die allermeisten würden wohl nicht einmal im Traum darauf kommen, diese beiden eigentlich grundverschiedenen Dinge zu kombinieren.

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