12. August 2015

"Bei uns regiert wieder die Angst"

Interview geführt von

Die vergangenen drei Saltatio Mortis-Alben "Wer Wind Sät", "Sturm Aufs Paradies" und "Das Schwarze Einmaleins" landeten allesamt in den Top Ten der deutschen Album-Charts. Letzteres schaffte es sogar auf die Spitzenposition. Mit dem neuen Album "Zirkus Zeitgeist" wollen die Mittelalter-Rocker ihre Studio-Erfolgsserie weiter ausbauen.

Ich muss mich im obersten Stockwerk des Berliner Universal-Hauptquartiers ein bisschen gedulden, ehe mich die beiden Saltatio Mortis-Sprachrohre Alea und Lasterbalk mit grinsenden Gesichtern und jeder Menge leckerer Häppchen auf dem Tische empfangen. Kein Wunder, steht die Band doch spätestens seit der Veröffentlichung ihres Nummer-Eins-Albums "Das Schwarze Einmaleins" ganz oben auf den Interview-Wunschlisten von nahezu allen großen Musikredaktionen dieses Landes. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung ihres bis dato erfolgreichsten Albums steht mit "Zirkus Zeitgeist" nun ein neues Studiowerk in den Startlöchern. Es gibt also einiges zu bereden mit den beiden Herren.

Hi Ihr Zwei. Ich habe oftmals das Gefühl, dass Bands, die sich zu Beginn ihrer Karriere inhaltlich fernab des Mainstreams bewegen, mit zunehmendem Erfolg immer handzahmer werden. Bei euch scheint das irgendwie genau andersrum zu laufen. Sprich: Je erfolgreicher ihr werdet, desto mehr Tacheles wird geredet. Eine bewusste Entwicklung?

Lasterbalk: Da steckt jetzt kein Konzept dahinter. Wir sind einfach älter geworden. Ich werde jetzt demnächst 43; ein Alter, in dem man die Dinge um einen herum anders wahrnimmt. Vor zehn oder fünfzehn Jahren haben wir ein raues Leben gelebt. Da waren wir unbekümmert, haben die Feste gefeiert, wie sie fielen, und nach den Konzerten auf oder unter der Bühne geschlafen. Da ging es primär um das Erlebnis Musik. Mittlerweile hat sich um uns herum viel verändert. Auch wir haben uns verändert. Und all das bringen wir jetzt ungefiltert auf den Tisch.

Alea: Inhaltlich macht man sich jetzt viel mehr Gedanken. Die Musik hingegen kommt immer noch aus dem Bauch heraus. Das ist vor allem beim Lasterbalk und mir besonders ausgeprägt. Und das war auch schon immer so. Alles entsteht bei uns aus einem Gefühl heraus. Die Akkordabfolgen, die Harmonien, das Tempo: Das passiert einfach alles. Da machen wir kein Gewese rum. Entweder es knallt, oder eben nicht.

Hat sich bei euch mit den Jahren auch eine Art Verantwortungsgefühl euren Fans gegenüber entwickelt?

Lasterbalk: Ich denke, dass man, sobald man etwas veröffentlicht, generell in der Verantwortung steht. Je dicker man natürlich aufträgt, desto größer ist das Echo. Als Künstler, insbesondere als Musiker, hat man die Möglichkeit, das, was woanders irgendwo am Stammtisch unter vorgehaltener Hand angeprangert wird, auf die große Bühne zu tragen. Man kann seine Ansichten und seine Meinung über Dinge, die einen beschäftigen, innerhalb eines einzigen Momentes mit der großen Masse teilen. Das ist ein Geschenk, wenn du mich fragst.

Alea: Ein Künstler möchte immer, dass seine Kunst am Ende des Tages bewegt. Wir haben uns ja selber mal das Prädikat 'Stört beim Bügeln' verliehen. Genau darum geht es nämlich. Wir wollen den Leuten nicht diktieren, wie sie zu leben haben, oder was sie toll oder scheiße finden sollen. Darum geht es gar nicht. Uns ist nur wichtig, dass durch unsere Musik eine Diskussionsbasis geschaffen wird. Die Leute sollen sich nicht nur unterhalten fühlen, sondern auch zum Nachdenken angeregt werden. Wenn wir es also schaffen, dass unsere neue Platte nicht nur ins Ohr sondern auch ins Herz und ins Gehirn geht, dann haben wir alles richtig gemacht.

"Haben die Leute ihre Köpfe nur um Mützen zu tragen?"

Je mehr man sich nach vorne drängt und seine Meinung kundtut, desto mehr läuft man natürlich auch Gefahr anders denkenden Menschen vor den Kopf zu stoßen. Stichwort: "Wachstum Über Alles". Da wurdet ihr ja ziemlich schnell in die rechte Ecke gestellt. Mal abgesehen vom Bild der Band, wie seid ihr mit der Situation damals persönlich umgegangen?

Lasterbalk: Das einzige, was mich damals ohnmächtig werden ließ, war die Dummheit. Wer mich als Nazi betiteln will, der kann das ruhig tun. Ich weiß, dass ich keiner bin. Und ich denke, dass ich mich persönlich und die Band sich auch als Einheit schon des Öfteren klar und deutlich von jeglichem braunen Gedankengut distanziert haben. Das ist also absoluter Schwachsinn. Mich hätte der eine oder andere Einzelfall damals auch sicherlich nicht aus der Bahn geworfen. Es wurde dann aber irgendwann so massiv, dass ich mir nur noch dachte: Sagt mal, habt ihr eure Köpfe eigentlich nur um Mützen zu tragen? Liest auch irgendwer mal den Text? Diese Zeilen kann man doch nicht missverstehen. Das war für mich das Schlimmste.

Mit eurem neuen Album dürftet ihr weitere Wellen lostreten. In dem Song "Augen Zu" lasst ihr das berüchtigte "Horst-Wessels-Lied" anklingen.

Lasterbalk: In diesem Song ist der Titel Programm. Es geht ja nicht explizit um das "Horst-Wessels-Lied", sondern um die Tatsache, dass hierzulande einfach viel zu viel totgeschwiegen wird. Und ein schlichtweg verbotenes Lied gehört da dazu. Genauso wie das Faktum, dass in Deutschland jedes Jahr Menschen auf der Straße erfrieren. Das muss man sich mal reinziehen. Hier bei uns im reichen Deutschland erfrieren jedes Jahr zahlreiche Menschen auf der Straße. Das ist doch einfach unfassbar. Und wie das werden auch viele andere dunkle Seiten unserer Gesellschaft einfach nur weggewischt – als wären sie nicht vorhanden. Aber es gibt sie.

Es gibt Banker und Politiker, die das Bild vom Führer im Spint hängen haben. Es sind nicht die Knallköppe, die auf die Straße gehen und dumme Parolen grölen, die mir Angst machen. Mir machen die Typen im Nadelstreifenanzug Angst, die ihr schäbiges Gedankengut durch in die Hintertür ins Spiel bringen. Und genau darum geht es in diesem Song. Wir leben in einer Zeit, in der man einfach weggucken kann, ohne dass es Folgen für den eigenen Alltag hat. Wenn rechts Scheiße passiert, guckt man einfach nach links. So einfach ist das. So löst man heutzutage Probleme. Man deckelt sie einfach, schaut weg und tut so, als würde das alles gar nicht passieren. Das macht mich fassungslos. Weggucken, wahllos verbieten und boykottieren ist natürlich auch viel einfacher, als sich mit den Problemen auseinanderzusetzen.

Apropos Boykott: Da fällt mir doch glatt die Story mit Frei.Wild ein. Ihr habt damals ordentlich Feuer bekommen, als ihr euch dazu entschieden habt, mit der Band auf ein und demselben Festival zu spielen. Kurz vor dem Festival habt ihr euch via Facebook wie folgt dazu geäußert: "Wir kennen Frei.Wild nicht persönlich. Weder waren wir je auf nem Konzert, noch haben wir mit einem der Musiker auch nur ein Wort gewechselt. Und weil wir so furchtbar altmodische Leute sind, wollen wir uns ganz gerne erst selbst ein Bild von den Menschen machen, bevor wir uns an irgendeiner Hexenjagd beteiligen, wenn wir das dann überhaupt tun!" Und? Bild gemacht?

Lasterbalk: Ja, das haben wir. Wir haben uns sowohl musikalisch als auch menschlich ein Bild von der Band machen können. Wie das genau aussieht, werde ich dir aber nicht verraten. Gut möglich, dass ich mich da in einem anderen Rahmen noch einmal konkreter zu äußern werde. Hier und heute geht's aber um meine Band und unsere neue Platte. Da ist mir die Zeit einfach zu kostbar für. Ist das ok für dich?

Naja, interessieren würde es mich und die Leser bestimmt schon. Aber ich kann dich ja auch nicht zwingen.

Lasterbalk: Richtig.

"Ich wünsche mir Reflektion"

Dann lass uns das Thema "Brennpunkte" doch für einen kurzen Augenblick mal in die Fantasie-Welt transportieren. Ich bin mir sicher, dass ihr dahingehend nicht so sehr hinter dem Berg haltet. Hypothetisches Fragespiel: Ihr habt einen Wunsch frei. Was würdet ihr von heute auf morgen als erstes gerne ändern wollen?

Alea: Ich würde die Gesellschaft wieder mit mehr Menschlichkeit konfrontieren. Das wäre mir eine Herzensangelegenheit. Ich komme nämlich gerade von einem Trainingscamp in China. Da sind morgens um fünf Menschen aus Russland, Amerika, Lettland, Dänemark, Indien, Deutschland und Frankreich zusammengekommen, um gemeinsam zu trainieren. Abends sind dann alle mit einem Lächeln im Gesicht ins Bett gefallen. Da spielten Nationalitäten, Religionen und Hautfarben überhaupt keine Rolle. Der Mensch kann also, wenn er will.

Lasterbalk?

Lasterbalk: Ich wünsche mir, dass Menschen wieder anfangen zu denken. Ich wünsche mir Reflektion. Es würde mich freuen, wenn die Menschen sich wieder mehr Zeit für sich selbst nehmen würden. Dabei geht es mir um Hinterfragung, Bildung und Selbstreflektion. Das wäre ein guter Anfang.

Ihr seid ja nun schon lange unterwegs. Habt ihr das Gefühl, dass Musik derartigen Prozessen auf die Sprünge helfen kann?

Alea: Definitiv. Musik bringt die Menschen an einen gemeinsamen Tisch. Das ist auf jeden Fall schon mal ein Anfang. Es geht dann nur noch um das miteinander reden. Da muss dann der Wille vorhanden sein.

Lasterbalk: Ich sehe das ähnlich, wenngleich ich grundsätzlich eher Rückschritte beobachte. Die Gesellschaft befindet sich in einer Sackgasse. Und keiner kümmert sich um einen Ausweg. Guck dir nur all die Politiker an, die gerade die Europäische Union in den Sand setzen. Statt sich für ein gemeinsames Europa einzusetzen, in dem es keine Rolle mehr spielt, ob man Deutscher oder Franzose ist, werden Kleinigkeiten durchgekaut, die den ganzen Prozess unnötig in die Länge ziehen. Das kotzt mich an. Ich bin Weltbürger. Das heißt nicht, dass mir die deutsche Kultur am Arsch vorbei geht. Ich will aber keine Grenzen mehr. Und Grenzen werden momentan wieder verstärkt gezogen. Und zwar mit Stacheldraht und funkelnden Augen dahinter, die alles vermeintlich Fremde argwöhnisch betrachten.

Es regiert wieder die Angst. Und das ist fatal. Denn wie wird letztlich auf Angst reagiert? Mit Truppen und Panzerfahrzeugen. Wir sind schon wieder so weit, dass wir Kriegsgeräte in den Osten schicken. Das hatten wir doch alles schon einmal. Da merke ich, dass sich der Zeitgeist verändert hat. Und das bereitet mir große Sorgen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich in den Achtzigern während eines UNESCO-Projekts vor den Toren Moskaus mit wildfremden Amerikanern, Russen und Deutschen Basketball spielte. Da war ein gemeinschaftliches Grundgefühl vorhanden. Da ging es um Freiheit, um den Wunsch, nicht mehr Zaun an Zaun mit dem "Feind" leben zu wollen. Man hatte vom Wettrüsten die Nase voll. Alle wollten den Kalten Krieg zu Grabe tragen. Und zwar gemeinsam. Und was passiert heute? Genau das Gegenteil. Und genau deswegen liegt mir unser neues Album besonders am Herzen. Nicht, weil ich denke, dass es die Welt von allen Sorgen befreien wird. Aber es gibt reichlich Denkanstöße. Man muss sich halt nur damit beschäftigen, die Texte aufmerksam lesen und sich danach mal vor den Spiegel stellen. Ich bin mir sicher, dass der eine oder andere dann ins Grübeln kommt.

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