laut.de-Kritik

Die legitimen Erben von Tangerine Dream trumpfen auf.

Review von

Nach der hervorragenden Trilogie "Gottes Synthesizer", "Sequencer Liebe" und "Messias Maschine" verlassen Sankt Otten das Terrain der Metaphysik. "Engtanz Depression" entwickelt ihre Musik konsequent weiter. Jeder, der auf atmosphärische Instrumentalmusik, Krautrock oder warme Elektronik steht, sollte hier unbedingt zugreifen.

Schon die letzte Platte war ein großer Wurf und verband nahezu aufzreizend lässig die Berliner Schule (Klaus Schulze, Tangerine Dream, Can) mit dem Düsseldorfer Modell (Kraftwerk, Harmonia etc). Freilich erkennt das clevere Duo: So etwa kann man nur einmal machen. Jede Wiederholung wäre ein Rückschritt.

Deshalb verändern sie sich auf der neuen Platte ebenso schleichend wie konsequent. Aufbauend auf tradierten Zutaten zerren Otten und Klemm das uralte Ehepaar Krautrock und Elektro mit Macht in die Gegenwart. Eine Vitalspritze, die dem mittlerweile all zu rückwärts gewandten Genre frisches Leben einhaucht.

Eben diese Mischung macht Sankt Otten mit Fug und Recht zu legitimen Erben von Tangerine Dream und Co. Dies allerdings nur strukturell. Denn ihre Zutaten haben nichts Epigonales an sich. Wohl aber teilen sie deren Hang, die Elektronik mit organischen Klängen zu verknüpfen. Erstmals tauchen - neben Klemms charismatischer Gitarre - weitere markante Nebenrollen auf. Hie etwas Piano, dort ein wenig Harmonium und zur Abrundung ein sinnlicher Bass, der jedem Dub-Freund gefallen wird.

Doch wäre dies alles nur wenig wert, hätten sie nicht diesen ganz besonderen Instikt für Melodien, Harmonien und Stimmungen. Dabei schweißen sie scheinbare Gegensätze zusammen, und kreieren eine wahrhaft fesselnde Sogwirkung. Einerseits verfügt das Album nämlich über einen den Ohren zutiefst schmeichelnden Flow, dessen Cocktail aus Ambient, dezentestem Club ("Im Lichtorgelparadies") und Rock jederzeit die Stimmung erhellt.

Andererseits zieht sich eine sehr präsente Form anmutiger Schwermut durch die gesamte CD. Sie steht den Lieder sehr gut zu Gesicht und vereint sich vollkommen mühelos mit den fröhlicheren Zutaten. Währed der Hörer mithin noch im romantischen Engtanz dahinschwebt, greift ihn bereits die Klaue fieser Depression. Besser kann man den eigenen Albumtitel nicht umsetzen.

"Engtanz Depression" klingt mitunter als würde man mit der betörenden Ausgelassenheit eines Tangerine Dream-Juwels starten, um sich auf einmal inmitten der Trostlosigkeit von Bowie/Enos "Low" oder Riechmanns "Wunderbar" wieder zu finden ("Wo Es Immer Regnet", "Der Himmel Ist Voll"). Klemms Gitarre bringt sich dabei stets pointiert und dramaturgisch ausgeklügelt ein. Viel besser als jene fast rockistischen TD-Beispiele der mittleren 80er.

Namen wie "Urlaub Unter Psalmen" bieten Raum für Doppelbödigkeit. Die musikalische Qualität der Stücke ist dabei absolut homogen. Es ist schwer, einzelne Tracks hervor zu heben. Man liebt jeden einzelnen augenblicklich. Einzelne Passagen stechen jedoch heraus. So erinnert das pluckernde "Karfreitagskarpfen Und Dolce Vita" im Grundton gelegentlich etwas an Cluster/Roedelius, ohne sich im Geist öder Nostalgie zu verlieren.

Mein persönlicher Liebling ist das zutiefst hypnotische "Sing Die Apokalypse". Obwohl der Song ein typischer Sankt Otten Diamant ist, spielt er geschickt mit einem absolut filmtauglichen Thema, für das ihnen Synthie-Mammut John Carpenter ("Lost Themes") sicherlich anerkennend auf die Schulter klopfen würde. So hieven sich die Ottis mit ihrer emotionalisierenden "Engtanz Depression" endgültig auf den Gipfel zeitgenössischer Elektromucke.

Trackliste

  1. 1. Urlaub Unter Psalmen
  2. 2. Beten Tanzen Küssen
  3. 3. Wo Es Immer Regnet
  4. 4. Im Lichtorgelparadies
  5. 5. Der Himmel Ist Voll
  6. 6. Karfreitagskarpfen Und Dolce Vita
  7. 7. Sing Die Apokalypse
  8. 8. Die Tragische Nummer
  9. 9. Ich Bau Dir Ein Museum

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