laut.de-Kritik
Die (braven) Bravo-Hits des AOR.
Review von Philipp KauseBiff Byford hat ein wirklich schönes, gemütliches Wohnzimmer mit Kamin. Wie er dort im Lockdown die Platten seiner Jugend heraus gekramt haben mag, kann man sich richtig gut vorstellen, wenn man es sieht, was mir in einer wackligen Zoom-Verbindung beim Auftakt der "Inspirations" 2021 zuteil wurde. Schon zuvor hatte der Saxon-Frontmann sich auf ganz süße Weise seiner eigenen Schulzeit in den Sechzigern besonnen und davor energisch die eigenen Greatest Hits auf Tour zelebriert. Leider gerät im großen Rückblicks-Reigen allmählich die Inspiration unter die Räder, "Less Inspirations" wäre ein passender CD-Titel.
"More Inspirations" ist das zweite Album mit Coverversionen der Spät-'60er und '70er, aber die Sorte Cover-Album, die öde nachspielt. Oder sogar noch schlimmer: Die manchmal rein technisch nachzuspielen versucht, ohne es mit anderen, bereits bestehenden Coverversionen aufnehmen zu können. Wer aber beispielweise für Autofahrten eine gute Auswahl wichtiger Rock-Klassiker als stringente Playlist braucht und möglichst Unauffälliges für nebenbei, ohne große Emotionen, bekommt hier den perfekten Sampler: die Bravo-Hits des AOR. Hoffentlich im letzten Volume.
Denn in etlichen Fällen drängt sich die Frage auf, warum Byford sich dieser Nummern überhaupt annehmen muss. Er singt sie nicht lebendig, seine Band spielt nicht gut, und unterm Strich klingen hier eh alle Songs irgendwie gleich, was bei der Palette der Originale von ZZ Tops "Chevrolet" bis Creams "Tales Of Brave Ulysses" gelernt sein will und feige und faul wirkt. Uriah Heeps "Gypsy"? Rainbows "Man On The Silver Mountain"? Auf "More Inspirations" kochen Saxon das alles zu einer allzu durchsichtigen Suppe. Sie wird lauwarm, salzarm, ohne Würze und Einlagen serviert.
Schon bei "Substitute" in der Tracklist dürfte sich selbst in Fan-Kreisen keine überschäumende Freude breit machen. Spätestens seit Limp Bizkits "Behind Blue Eyes" ist Skepsis angesagt, wenn sich andere mit The Who-Federn schmücken. Diese Version hier kann das Schroffe und die Twentysomethings-Rawness der jungen The Who nicht nachempfinden und nicht wiedergeben. Wenn man bei den hunderten Songs von Daltrey solo, Townshend solo und The Who schon einen der Top-Hits raus greift, sollte der Neuaufguss wenigstens irgendeine eigene Idee enthalten. Aber Fehlanzeige.
Auch für die blutarme Version von "Detroit Rock City" muss es Punktabzüge hageln. Auf Gitarrenebene reißen Saxon nur eine dürftige Rhythmus-Grundierung auf. Eine Rhythm Section ist ein bisschen wenig für eine mitreißende Hymne. Eine wirkliche Melodie-Führung existiert leider nicht. Den Bezug zur ereignisreichen Motor City Detroit mit ihren musikalischen Revolutionen (Motown, MC5, Ted Nugents Hardrock) stellt Byford nicht her. Er fühlt die Stimmung der Nummer nicht. Der Bass dröhnt plump, als könnte man den Song düster und laut deuten. Dabei ist er leichte Kost, gut gelaunt, total euphorisch. Kiss waren fasziniert von der Lebendigkeit der Clubszene in Michigans Hauptstadt. Das Lied ist eine simple und effektive Kurzreportage übers Nachtleben aus Sicht eines Ich-Erzählers.
Das expressive "Razamanaz" von Nazareth zu covern ist zu schwierig, außer man bringt selbst eine unglaublich charismatische und einzigartige Stimmfarbe und -intensität ein, wie die Hardcore-Truppe The Meatmen in den '80ern. Oder man macht was völlig Neues draus, zum Beispiel Thrash Metal und gurgelt die Nummer ganz respektlos wie der Schwede Charles Rytkönen mit seinen Morgana Lefay anno '93. Oder man ist jung, rotzig und extrem spielfreudig und arrangiert explosive Riffs wie der Däne Michael Stützer Hansen mit seiner Artillery, ebenfalls Anfang der Neunziger. Saxon sind in diesem Kanon überflüssig.
Besonders peinlich wird's dann bei Creams
"Tales Of Brave Ulysses", Prototyp des psychedelischen Bluesrocks. Diese Nummer als Routine herunter zu rattern, beweist weder wirklich Sinn noch Respekt für Musikgeschichte. Selten klang ein Lied so stoned, so zugedröhnt mit LSD und doch so woke und innovativ wie das Original, wahrscheinlich das Beste, was Clapton je geschrieben und aufgenommen hat. Saxons Version dagegen mäandert einfach gähnlangweilig, entbehrt jeglichen Interesses für die Geschichte des Songs und seinen Text. Von Alice Coopers "From The Inside" überzeugt derweil nur der rhythmische Drive der Neuauflage: Nette Gebrauchsmusik, die nichts verkehrt macht. Etwas engagierter, schwingt "The Faith Healer" zwischen Konfusion, Veitstanz und letztem Aufbäumen vor der Zerstörung allen Vertrauens.
"We've Gotta Get Out Of This Place" aus der Feder des Autor*in-Duos Cynthia Weil und Barry Mann hat als Anti-Kriegslied Kultstatus. In den Sechzigern konnten G.I.s der US-Armee damit ihren Unwillen ausdrücken, ohne explizit Bezug zu nehmen, und somit scheinbar loyal ihre Mission infrage stellen. Diesen Klassiker, erstmals vertont, als Byford 14 war, trimmt er nun auf glam-rockig und überrascht mit Falsett-Ausflügen - das Beste am Album. Aber auch da gingen andere schon viel weiter. Udo Lindenberg wollte das Stück auf Deutsch interpretieren und textete ihn so fundamental bildstark um, dass er - trotz Burdon auf der Bühne - Erics Referenz- und Hit-Version des Liedes in den Schatten stellt.
Eine LP über Inspirationen sollte mindestens nachzeichnen, was eine Ideen-Quelle genau bedeutsam macht, in welcher Relation sie zum eigenen Schaffen steht. Sie sollte lodern, flackern und glühen. Byford beweist nur eines: Dass er einen guten Musikgeschmack in seiner Jugend hatte. Zugute zu halten ist ihm, dass er unterdessen ein schönes Debüt seines Vater-Sohn-Projekts Heavy Water ("Red Brick City", 2021), veröffentlicht hat. Darauf probiert er sich auch auf der Spielwiese 'Ballade' aus, und das ist im Zweifel besser als halbherzig die Hard'n'Heavy-Dröhnung zu geben.
3 Kommentare
Dachte bei den Singles erst, die schlagen neue Wege ein. Das mit den Coverversionen, und mein Vergleich mit den Originalen wirft ein ganz anderes Licht auf die Sache. Schade.
Eine Frechheit, sich zu trauen, einen solchen Kernschrott unter die Leute zu bringen. Immerhin hält man einen halben Song länger aus als beim Elvis-Album von Danzig.
Vielleicht hatte die Band ja Spaß beim Aufnehmen im Lockdown, deswegen muss ich ja noch lange nicht mehr als einen Stern vergeben. Gähn.
der Saxon Sound und die Wall sind ja für ihr Genre stilbildend und passend, aber dort schon stereotyp. Dies dann gecoverten Songs überzustülpen kann man machen; ist dann im Ergebnis aber langweilig.