laut.de-Kritik
Vier süße Jungs mit schlecht sitzendem C&A-Rock.
Review von Christoph DornerEs ist ein schönes Motiv, das so mancher Songwriter in seinen Texten immer wieder anklingen lässt: Die schwierige Beziehung zwischen Heimat und Großstadt-Identität. Zu Hause in der Provinz war man als Musiker der King, ein Jemand, nach dem Umzug nach München, Hamburg und Berlin ist man plötzlich ein Niemand - und bleibt es auch in den allermeisten Fällen. Und trotzdem gibt es keinen Weg zurück.
Das klingt im ersten Moment stets etwas traurig, dabei erwächst gerade aus der urbanen Anonymität oft die Dringlichkeit einer kreativen Existenz. Was das mit Scheinfrei? zu tun hat? Nun, die vier jungen Männer sind nicht dem "Geh doch nach Berlin"-Schlachtruf der digitalen Bohème gefolgt und als Band im Raum Heilbronn verwurzelt geblieben, einem popkulturellen Brachland zwischen Stuttgart und Frankfurt.
Es gibt dort Rocknächte mit Coverbands, Onkelz-Treffen, den trinkfesten Kult um das Taubertal Festival, in den 90er Jahren hängen gebliebenes Rockradio und einmal im Jahr kommen Silbermond und die Scorpions vorbei, die dann eine lokale Vorband gut gebrauchen können. Ein solches Umfeld muss auf eine Band beim Musizieren abfärben, das weiß nicht nur der Soziologe.
Musikalische Innovation ist also nicht die Sache von Scheinfrei?, die einen auf "Alles klar" stattdessen mit schlecht sitzendem C&A-Rock foltern. Wo soll man da anfangen, wenn einen von den simplen Songstrukturen über die eiernde Produktion, den hohlen Grinse-Pathos der Singalong-Refrains von Sänger Alex bis hin zu kleingeistigen, grammatikalisch teils fragwürdigen Texten jedes Detail dieser 15 öde-beliebigen Songs nervt?
Zum Beispiel, wahrlos herausgegriffen, eine Strophe aus "Streifen der Ewigkeit": "Den Weg, den ich einschlage / Das bin ich, für den ich steh / Nun sind Gedanken auch schon Taten / und ich fühle voll O.K. / das Wir scheint mir so weit / doch wissen tun wirs nie / was es morgen bringen wird / Liebe bewegt so viel."
Nun sollte man man zumindest Fans von Revolverheld und Nickelback darauf verweisen, doch mal bei Scheinfrei? ein Ohr zu riskieren. Sind ja auch noch vier ganz süße Boys, auch wenn sie ihr Selbstbewusstsein in ihren Songs und Videos im Netz allzu demonstrativ zur Schau stellen.
Die deutschen Majors wissen schon, warum sie sich "Alles klar" nicht gesichert haben, wenn eine kluge Referenzband wie Tocotronic mittlerweile die Nummer Eins der Charts stellt. Scheinfrei? mögen zu Hause bei einem U18-Publikum vielleicht eine Hausnummer sein, für die große weite Pop-Welt fehlt ihnen aber jede Perspektive am Horizont.
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