laut.de-Kritik

Mit den Schwestern im Moshpit zwischen den Beinen.

Review von

Das Phänomen Scissor Sisters! Seltsam, dass die Rezeption der Amis so unterschiedlich ausfällt. In ihrer Heimat sind sie eine Art Kult-Combo der Homosexuellen-Szene. In Deutschland haben sie sich seit "I Don't Feel Like Dancin'" fest im Mainstream etabliert, samt exzessivem Airplay im Formatradio. In England hingegen gelingt ihnen noch mehr, nämlich die Verschmelzung der oben genannten Fangruppen im großen Stil. Wo sie in Teutonien und Amiland vor einer recht überschaubaren Kulisse spielen, machen sie in England die richtig dicken Dinger voll.

Zum Beispiel den Millenium Dome zu London, jetzt unter dem schlichten Namen des Sponsors O2 bekannt. Der fasst immerhin 20.000 Leute, den bringt nicht jede 08/15-Band zum Bersten. Auf der Insel ist der Rummel um die Schwestern kaum zu fassen. Logisch also, dass diese für eine DVD-Aufzeichnung die ganz große Nummer fahren. Der Auftritt, der hier den Weg auf DVD gefunden hat, ist mit den Deutschland-Gigs kaum vergleichbar, denn die Scissor Sisters pimpen ihre Performance ganz gehörig auf. Dazu gehört eine Riesenbühne - verteilt auf mehreren Ebenen - eine stylishe Videoleinwand, eine dreiköpfige Bläsersektion, ein Catwalk im Beinscherenformat (Moshpit zwischen den Beinen), Lasershow etc. pp. Beste Voraussetzungen also, um mit dem ganz großen Hammer auf den Amboss zu knallen.

Here we go! Bevor die Band um Ana und Jake die Bühne entert, heizen sie der Masse erst noch einmal ein, indem sie den Bandnamen aus 20.000 Kehlen buchstabieren lassen. Von den ersten Takten des Opener "She's My Man" an frisst ihnen ihr Publikum dank dieser perfekten Inszenierung aus der Hand. Wenn es eines Beweises bedurfte, wer derzeit die Definitionsmacht für "Glamour" inne hat, hier habt ihr ihn. Das Rampensau-Paar Matronic/Shear spielt in funkelnden Klamotten die Rolle der Gastgeber des Abends in schon beängstigend perfekter Art.

Kritikpunkte? Eventuell der etwas arg nivellierte Sound, der eher etwas in die Breite geht, statt an einigen Stellen mal richtig mit Schmackes auf den Punkt zu kommen. Will heißen, "Laura" klingt etwas schwachbrüstig, obwohl gerade dieser Track mit seinem strampfenden Rhythmus prädestiniert dafür wäre, es mal richtig krachen zu lassen. Seltsamerweise funktioniert ebendies bei "Comfortably Numb" mit zusätzlichen Konservenbeats im Hintergrund ganz prächtig, um kurz darauf bei "Kiss You Off" wieder abzuflachen.

Und Apropos Klamotten. Jake versteht es ja meisterlich, die Fantasien seiner männlichen wie weiblichen Anhänger zu befeuern, keine Frage. Was er da zur Schau trägt, passt hervorragend zur Hollywood-Performance. Aber was sich Ana immer dabei denkt, in Fummeln über die Bühne zu huschen, die wie verkappte Umstandskleidung daher kommt, bleibt wohl ewig ihr Geheimnis. Damit sieht sie wuchtbrummiger aus als sie eigentlich ist. Dennoch: Ganz starke Darbietung der Schwestern.

Neben diesem Konzert hält die Disc noch eine äußerst launige Dokumentation bereit, die die vergangenen Monate im Schnelldurchlauf beleuchtet. Schon der Anfang macht den augenzwinkernden Charakter deutlich, wenn die Band den Aufzug besteigt, um auf die Bühne zu kommen, dieser dann aber den Dienst quittiert und sie somit zwischen den Stockwerken im Muff der eigenen Körper-Ausdünstungen gefangen sind. Das Filmchen beleuchtet scheinbar alle Stationen, die die Amis im Zuge der Veröffentlichung von "Ta-Dah!" abgeklappert haben.

Skurilitäten sind dabei nicht ausgeklammert, ganz im Gegenteil. So ist ein spanischer Moderator zu sehen, der Jake, Paddy und Del interviewt. Mit 70er-Pornobrille, Playboyshirt, zurück gegelten Haaren gesteht er ihnen, dass er sich selbst befingern musste, als er zum ersten Mal "I Don't Feel Like Dancin'" lauscht. Nun gut ...

Die Sisters sind aber ohnehin für so ziemlich jeden Spökes zu haben. Nicht nur, dass sie auch in Halloween-Kostümen auf der Bühne stehen, nein, sogar der Wetten Dass..?-Auftritt beim (einmal mehr) eher peinlichen Goldlöckchen Thomas Gottschalk fand Eingang in die Doku. Dort gaben sie zusammen mit dem Dampfplauderer "Super Trouper" zum Besten. Der Knüller aber: Der dazugehörige Ton ist auf der Disc nicht zu hören, da Abba die Verwendung des Songs für die DVD untersagten. Albern? In der Tat. Sehenswert hier: Der Videodreh zu "She's My Man". Der fertige Clip ist in der separaten Video-Sektion zu bewundern und in abgewandelter Form noch einmal beim Auftritt bei den Brit Awards.

Wer den Kanal also noch nicht voll hat, darf sich also mit "Hurrah" im Scheren-Universum suhlen bis er schwarz wird. Und das beste: es macht sogar einen Heidenspaß.

Trackliste

DVD

Live At The 02 London

  1. 1. She’s My Man
  2. 2. I Can’t Decide
  3. 3. Tits On The Radio
  4. 4. Laura
  5. 5. Lights
  6. 6. Skins
  7. 7. Contact High
  8. 8. Take Your Mama
  9. 9. Music Is The Victim
  10. 10. Might Tell You Tonight
  11. 11. The Other Side
  12. 12. Comfortably Numb
  13. 13. Kiss You Off
  14. 14. Paul McCartney
  15. 15. Land Of A Thousand Words
  16. 16. Flithy/Gorgeous
  17. 17. Mary
  18. 18. Return To Oz
  19. 19. I Don’t Feel Like Dancin’

Dokumentarfilm "A Year Of Ta-Dah"

Videos

  1. 20. I Don't Feel Like Dancin'
  2. 21. Land Of A Thousand Words
  3. 22. She's My Man
  4. 23. Kiss You Off

Extras

  1. 24. Acoustic Gig
  2. 25. Bonus Track "Transistor"

Live At Wembley Bonus-CD

  1. 1. She's My Man
  2. 2. I Can't Decide
  3. 3. Lights
  4. 4. Might Tell You Tonight
  5. 5. The Other Side
  6. 6. Kiss You Off
  7. 7. Paul McCartney
  8. 8. Land Of A Thousand Words
  9. 9. I Don't Feel Like Dancin'

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2 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Also, selbst wenn ich die Kollegen gut fände, für eine DVD mit ca. 0 Minuten Laufzeit würde ich keinen Cent bezahlen! :D

  • Vor 17 Jahren

    grandiose DVD, jeden cent wert!
    Auch ihre erste DVD "We are Scissor Sisters and so are you" ist sehr empfehlenswert - auf dieser gefällt mir auch die Dokumentation besser. Auf Hurrah ist die Doku ohne wirklichen roten Faden, im Gegensatz zur WASSASAY Doku...trotzdem sehr gut geworden :)
    Naja, jetzt heißt es erstmal 1,5 Jahre warten bis aufs neue Album...