laut.de-Kritik

Endstation Sehnsucht?

Review von

Fast scheint es, als hätte sich da was aufgestaut. Erst ließen Selig jahrelang nichts von sich hören, und nun mit "Von Ewigkeit Zu Ewigkeit" bereits der zweite Longplayer innerhalb von noch nicht mal 24 Monaten.

Auf 13 Tracks zelebriert die Band ihren Rock-Cocktail, der neben den bewährten Zutaten mitunter so bei ihnen noch nicht gehörte Sounds hineinmixt.

Auf "Freier Fall" erobert der Bass sofort den Bauch: Die Orgel schwillt, der Gitarren-Derwisch pickt sich orientalisch anmutende Akzente heraus. Die "Wirklich Gute Zeit" startet als relaxtes Teil, inklusive prägnanter Bob Dylan-Mundharmonika. "Wir sind der Wind, der uns trägt / nichts was uns hält / was uns bewegt" liest sich nicht nur eingängig, sondern geht auch ins Ohr.

"Lass Sie Reden" jammt als ausgekochter Hinterhof-Blues mit Frauenchor und einem versteckten, aber effektiven herumtaumelnden Honky Tonk-Piano. "Halte diesen Traum am Leben", bittet Plewka, und bringt damit Seligs aktuelle Befindlichkeit auf den Punkt.

Das Hinterfragen der Dinge, die da draußen vor sich gehen - darum geht es in ihren Songs. Doch um alles zum Guten zu wenden, darf man sich nicht auf fremde Hilfe verlassen. Eigenes Anpacken ist angesagt. Erst, wenn du dich aufrichtig bemühst, dann tauchen auch hilfreiche Feen.

Doch zuvor geht es bei Selig oft durch die Nacht. In den Texten wandern Geister im Licht eines rubinroten Monds, und manchmal taucht sogar ein Engel auf, wandernd in den Scherben der Zeit.

Die Lyrics lassen Raum für persönliche Assoziationen und erschöpfen sich nicht in plakativen Lautmalereien. Selig haben längst einen ganz eigenen Wortkosmos entwickelt, der auch bei mehrmaligem Hören Raum für neue Entdeckungen lässt.

Der Titeltrack "Von Ewigkeit Zu Ewigkeit" präsentiert die Band mit all ihren musikalischen Fingerfertigkeiten auf hohem Level. Mit Seventies-Soul-Licks garnierte Beats gehen in einen packenden Clinch mit selig'schem Rock-Verständnis. Der Kampf um die wahren Werte, das Aufflackern der Energie in einem deprimierenden Umfeld stehen im Vordergrund: "Der Zug ist abgefahrn' / und mein letztes Hemd brennt."

Dann taucht sie wieder auf, die stets hoffnungsvolle Suche nach Erlösung, das ewige Selig-Thema. Doch das Licht lässt noch auf sich warten, so etwa in der einfühlsamen Betrachtung über die Gedanken einer verlassenen Lady in "Hol Mich Hier Raus".

"Der Himmel von Sternen vernebelt / das Jenseits kehrt zurück in die Zeit" lässt keine fröhliche Stimmungslage zu. Energische Gitarren-Soli drängen zum Kampf, zum Weitermachen. "Tausend Türen" fungiert als klassischer Rocker zum Thema des Hochmuts, der bekanntlich vor dem Fall kommt.

Der "Doppelgänger" besticht mit seiner hypnotisch wummernden, twangigen Gitarren-Arbeit. Auf "Du Fährst Zu Schnell" jagt dann noch mal der Rock-Express hochtourig durch die Nacht, bevor "Ich Hoffe Es Hat Noch Zeit" einen Stopp in Richtung Endstation Sehnsucht einlegt.

Selig gerieren sich oft dunkel, aber nie ausweglos düster. Genau beobachten sie, was so abgeht hinter den verschlossenen Türen von Herz und Seele - oft sind es auch die eigenen. Und in solchen Augenblicken der Erkenntnis gibt es kaum einen tröstlicheren Helfer als diese Band.

Trackliste

  1. 1. Eingang / 5.000 Meilen
  2. 2. Freier Fall
  3. 3. Wirklich Gute Zeit
  4. 4. Lass Sie Reden
  5. 5. Von Ewigkeit Zu Ewigkeit
  6. 6. Dramaqueen
  7. 7. Hol Mich Hier Raus
  8. 8. Hey Ho
  9. 9. Tausend Türen
  10. 10. Ich Bin Kein Gott Mehr
  11. 11. Doppelgänger
  12. 12. Du fährst Zu Schnell
  13. 13. Ich Hoffe Es Hat Noch Zeit / Ausgang

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6 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    Irgendwie wünsch ich mir die alten Selig zurück, die waren wesentlich experimentierfreudiger und progressiver. Ewigkeit knüpft an Unendlich an und ist ein solides Rockalbum, die ersten 9 Songs laufen allerdings nur souverän vorbei, anstatt aufzuglänzen. Erst die Songs 10-13 entschädigen für das lauwarme Dahingeplänkel...

    Naja zumindest live sind sie immer noch überzeugend!

  • Vor 14 Jahren

    Kein einziges negatives Wort in der ganzen Rezi und trotzdem nur 3 Punkte? Seltsam.

  • Vor 14 Jahren

    Schöner verweis auf "A Streetcar Named desire" von Tenessee Wiliams in der Überschrift.

  • Vor 14 Jahren

    Laut Band soll das ja eine Trilogie werden. Also muss ich nur noch ein Album überstehen, denn ich brauch nicht noch 2 Alben die wie Und endlich unendlich klingen. Ich war mit ersterem vollkommen ausreichend befriedigt. Neue Wege hätten von mir aus ruhig jetzt schon eingeschlagen werden dürfen.
    Für mich ist das eine gute Zugabe, die ich mit einem Schulterzucken hinnehme und wieder ein Grund ein Selig-Konzert zu besuchen.
    Auf ein wirklich neues Album zu warten, ist man ja gewohnt von daher ...

  • Vor 14 Jahren

    Thumps up, if you think this album ist langweilig.

  • Vor 14 Jahren

    "Selig haben längst einen ganz eigenen Wortkosmos entwickelt", absolute Zustimmung und auch sonst eine gelunge Albumkritik, auch wenn ich vielleicht einen Punkt mehr geben würde.