laut.de-Kritik
Die The Corrs-Sängerin als Dr. Jekyll und Mrs. Hyde.
Review von Ulf KubankeDie erfolgreiche irische Geschwisterband The Corrs liegt noch immer im Dornröschenschlaf. Das erste Soloalbum von Leadsängerin Andrea Corr ging 2007 komplett den Bach runter. Was liegt da näher für Bandviolinistin und Backing-Vocals-Queen Sharon, einfach eine eigene Solokarriere zu starten?
Gesagt, getan! Mit einer Hand voll erlesener Gäste wie zB Jeff Beck schraubt die Irin ein Potpourri aus Coverversionen und eigens verfasstem Liedgut zusammen. Ein großer Wurf - so viel sei vorweg genommen - ist es leider nicht geworden.
Jeder Corrs-Fan wird mir an den Hals springen, aber es muss gesagt werden: Sharon Corr verpasst über weite Strecken die Chance, ihren Songs und ihrem Instrument endlich eine eigene Stimme zu geben. Stattdessen sucht sie sich auf der Mehrzahl der Lieder ein allzu bequemes Plätzchen im übergroßen Schatten der Mutterband. Das nimmt den oft guten Ansätzen leider den notwendigen Raum zum Atmen.
Immerhin, wenn die Dublinerin ihre Violine das Ruder übernehmen lässt, gerät das Ergebnis emotional und im besten Tiefsinne irisch. "Our Wedding Day" ist als Intro fast schon eine Verschwendung, weil zu kurz angespielt und in seiner melancholischen Natur sicherlich einer der atmosphärischen Höhepunkte. Das ursprünglich großartige "Mna Na h'Eireann" (Die Frauen Irlands) von Folk Ikone Sean O'Riada ist ebenso eine sichere Bank. Dezent angerockt mit warmen Gitarrenklängen von Faces Legende Jeff Beck. Den irischen Dancedevil lässt Frau Corr dann endlich im populären Traditional "Cooley's Reel" frei. Der leicht frankophil mediterrane Touch im zweiten Teil des Songs macht Laune und zeigt Sharons eigentlich vorhandenes Talent zur Eigenständigkeit.
"Love Me Better" überrascht mit zumindest angedeuteter Laszivität und Weiblichkeit, die im klinisch reinen, asexuellen Universum der Corrs keinen Platz findet. Auch die ebenso eigens komponierten Balladen "Butterflies" und "Real World" glänzen mit Sensibilität und verzichten auf die große Kelle Zuckerguss.
So richtig erlesen rührend wird es aber erst mit dem Tränenzieher "Smalltown Boy" von Bronski Beat. Corr entzieht der 80er Synthiepop-Hymne jegliches Tempo und allen Frohsinn. Jimmy Somervilles tragischer Text tritt erstmals richtig in den Vordergrund. Das berühmte Thema deutet sie hier lediglich mit einem Piano an und gibt gesanglich eine Art irische Tori Amos.
Doch die guten Ideen retten die CD am Ende nicht vor dem Mittelmaß. Hätte die es doch bei höchstens acht Songs für das Debüt belassen. "Everybody's Got to Learn Sometime", die weltweite Hitsingle von The Korgis anno 1980 wurde gefühlt mindestens 100 mal gecovert. Die Wahldublinerin degradiert sich und den Song komplett zur Madonna für ganz Arme und stülpt einen eklig klebrigen Lounge-Pop-Mantel darüber, der an Seichtheit nicht überbietbar ist. Wer das mehr als einmal hört, wird mutmaßlich zum Diabetiker.
"It's Not A Dream", "So Long Ago" und "Dream Of You" sind fast schon eine Frechheit. Solche Kompositionen von der denkbar uninspiriertesten Stange des Songwriting lassen mit ihren Nullrefrains und abgeschmackt kalkulierten Arrangements fast jeden Schlagerheini wie einen Bob Dylan erscheinen. Musik für H&M-Filialen und nervtötende Seifenopern wäre fast noch geprahlt.
Sharon Helga Corr ist auf ihrem Erstling mithin Dr Jekyll und Mrs Hyde gleichermaßen. Man muss wirklich zwei mal hinhören, um zu glauben, hier dieselbe Künstlerin zu vernehmen. Gleichwohl geben die gelungenen Tracks Anlass zur Hoffnung, dass sie sich beim zweiten Album endgültig von der Corrs-Schublade emanzipiert.
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