laut.de-Kritik
Die personifizierte Jeansjacken-Lässigkeit geht ins Risiko.
Review von Philipp Kause"Threads" firmierte als 'finale' Platte von Sheryl Crow. Außer einem Abschied bot das Album ein Programm auf, das man schwer übertreffen kann: Eine Enzyklopädie all dessen, was in 'Americana' steckt. "Ich sagte, ich würde nie wieder eine Platte machen, weil ich dachte, es hätte keinen Sinn", schlägt Sheryl den Bogen zu diesem Moment, in dem sie den Aufnahmestudios abschwor. Die Rückkehr mit "Evolution" erinnert an Sean Connery, der nach dem 'Nie-wieder-die-Bond-Rolle'-Mantra zwölf Jahre später wieder den Agenten 007 verkörperte. Oder an Gottschalks mehrere finale Ausstiege bei "Wetten, dass...?"
"Where?" ergibt definitiv Sinn. "To be free means learning not to care": Frau Krähe, die personifizierte Jeansjacken-Lässigkeit, geht große philosophische Fragen an, lässt sich vom Cello umrahmen, von fein ziseliertem Electro-Geblubber. Das hier ist so gar nicht die "Tuesday Night Music Club"-Rockröhre. Sondern ein P.S. zu einem abgeschlossenen Kapitel, mit unvorstellbar schönen Momenten. Das tolle Lied schlummerte zwei Jahrzehnte lang in Notizbüchern, ohne dass es je eine Demo-Aufnahme gab.
"Don't Walk Away", ebenfalls einer der auffälligen Tunes, platzte aus dem Nichts. "Eine der verrückten Situationen, in denen du nicht weißt, wo ein Lied überhaupt herkam", analysiert Sheryl ihre mächtige schöne Klavierballade. "Ich weiß nicht, für wen ich es geschrieben habe, oder worüber konkret. Jedenfalls nahm ich eine ganze Reihe Personen um mich rum wahr, deren Beziehungen durch die Covid-Zeit hindurch nicht hielten. Und das ist eine Geschichte, zu der wohl viele Menschen einen Bezug haben."
Die 62-Jährige füllt einerseits die Rolle, die ihr immer schon lag: Stories vortragen, die so gut auf Gitarre und Keyboards klingen, dass sie als Instrumentals schon funktionieren würden, veredelt mit Stories voller Vertraulichkeit in der Stimme, wie sie dir die beste Freundin angetrunken an der Bar ins Ohr hauchen würde. Andererseits greift die Heldin der vier bis sechs Saiten auf dieser Platte erstmals nicht in allen Tracks zur Lead- oder Bassgitarre. Ein Verzicht als Teil ihrer persönlichen "Evolution". Dafür spielt sie hier selbst am Klavier, wo ihr die Inspiration für dieses Edel-Unplugged mit Kammermusik-Touch kam.
Sie singt in wundervoller Klarheit. Sie taumelt mit einem Timbre voller Mitgefühl und Melancholie und Staunen durch diese grausame Welt der Erwachsenen, ungefähr so wie "Der Kleine Prinz" von Sainte-Exupéry das Treiben der Erdlinge betrachtet. "Scheint, als bliebe keiner mehr zusammen / viel zu einfach, durch eine offene Tür raus zu gehen."
Crow bricht ihre berührende Balladen-Intimität ziemlich forsch mit der bounzenden Collegepop-Hymne "Broken Record". Auf einem gewaltigen Kickdrum-Beat stolpert sie daher. Mündet in die Power-Riff-Schiene von The Shazam, Smash Mouth und Avril Lavigne ein, abgemischt nach heutigen Standards. Ein College ist in diesem Fall kein zufälliger Kontext. Das Lied handelt von der Schießerei an einer Schule ein Jahr vorm Album-Release, als in Nashville sechs Todesopfer durch einen Amoklauf an einer Lehranstalt zu betrauern waren. Die Polizei erschoss den Täter.
"Auch ein Vorteil meines Alters: Ich kann sagen, was ich verdammt noch mal will (...) für Menschen, die die Welt so wie ich sehen", legte Sheryl vor einigen Jahren dem 'Stern' dar. Ihre Priorität liegt heute bei Themen, für die sie sich interessiert: In diesem Fall die Schießerei an der Covenant School, einem Institut für Kindergartenkinder und Schüler*innen bis zur sechsten Klasse. "Mit solchen Themen begibt man sich ins Risiko", urteilt die Texterin. "Etliche Leute in meinem Umfeld reagierten auf den Track in einer sehr positiven Art, etliche auf eine sehr negative Weise." - Sheryl sagt, sie tröste sich alleine mit ihrer Gitarre für den Umstand, dass ein Teil ihrer eigenen Fanbase einen kritischen, politischen Blick auf den Waffenerwerb in den USA nicht mittrage und Crow die Sympathie entziehe.
Das heikle Lied gehört zu den untypischen Stücken der berühmten Roots-Sängerin, auf einer insgesamt untypischen Platte. Gestalterisch hat nämlich auch eine "Evolution" stattgefunden. Ein Flash-and-the-Pan-artiges E-Orgel-Intro rückt unerwartet heran. Sheryl shoutet die ein oder andere Zeile mehr, als dass sie sie singen würde.
"You Can't Change The Weather" zeigt ihre Soul-Kompetenz in Arrangements, die Hall & Oates nachempfunden sind. Es geht einmal ganz weit zurück an den Anfang in der Entwicklung der blonden jung Gebliebenen, damals in den Eighties, als sie für Stevie Wonder und Michael Jackson Background trällerte. Das Lied verhandelt die Faktoren im Leben, die man eh nicht beeinflussen kann, versus die, die man eben doch in der Hand hat - übersetzt: "Es ist eine Geschichte, die im Kosmos geschrieben steht (...) nur du kannst die Geschichte deines Lebens schreiben / nur du kannst das Wetter ändern / du-u-hu-u-u kannst den Regen aufhalten." Dazu gesellt sich in "Love Life" eine Bootsy Collins-mäßige Basslinie. Sheryl sprudelt vor Ausprobierfreude über.
Im Gegensatz zu "Threads" ereignet sich dieses Mal kein Schaulaufen von Promi-Gästen. Dank mehr Teilnehmenden als Tracks ballte "Threads" Folk, Hip Hop, Southern Rock, Electropop, Stax-Rhythms aus Memphis, Electric Blues und Country zu einem groß angelegten Culture Crash. Live funktionierten viele der Nummern super. Gleichwohl die neugierige Künstlerin einräumt, dass auf jenes Konzeptalbum "mit Anfang, Steigerung und Ende" nun eine eher gewürfelte Song-Kollektion folge, führt weniger Personal nicht zu einer einfarbigen Platte.
"Der einzige, den die Leute vom Namen her kennen werden, ist Tom Morello. Und er spielte auf 'Evolution' so, dass es sich wie von einem anderen Planeten anfühlte. Sein Solo führt dich an einen komplett anderen Punkt. Aber es war keine Kollabo-Platte. Ich meine, da sind großartige Leute drauf, aber es ist nicht wie bei 'Threads'", so ordnet die Künstlerin selbst ihr neues Baby ein. "Definitiv ist es eine intime Platte, die ich als Nebenprodukt dessen auffasse, was ich durchlebt habe."
Auch wenn sich wenige Tunes jetzt im Koordinatensystem bewegen, in dem man Sheryl Crow bisher verortet hat ("Do It Again" mit 90er-, "You Can't Change The Weather" mit George Harrison-Feeling), rahmen "Waiting In The Wings" und "Alarm Clock" die Platte mit massiven, harten Sounds ein. So wähnt man sich Slash näher als "All I Wanna Do".
Speziell der düster-bassig unterlegte Titeltrack über K.I. lässt einerseits das Schroffe von Rage Against The Machine seinen Widerhall finden, druckt andererseits die Harmonielehre in pinken Softpop-Farben. Ein so seltsamer wie interessanter Hybrid!
Pointe: Die Künstlerin besprach die Songs alle mit Mike Elizondo, der wiederum für Hits wie "Family Affair" von Mary J. Blige oder "Let Me Blow Ya Mind" von Gwen Stefani und Eve verantwortlich zeichnet, als Autor für 50 Cent einst den Siegeszug des Gangsta-Rap befeuerte. Ihre Ideen mit ihm zu teilen und von ihm zurecht biegen zu lassen, zeigt die Offenheit der Singer/Songwriterin. Dem Experiment gebührt Respekt, selbst wenn einzelne Takte und Töne beim Hören Toleranz abverlangen. Was oberflächlich nach Schwachpunkten ausschaut, ist die Stärke, über Konventionen und den eigenen Schatten zu springen.
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