laut.de-Kritik

Dafür lohnt es sich zu leben.

Review von

Macht es euch bequem. Richtet das Sterbebett. Entblößt das Handgelenk. Jetzt langsam ansetzen. Zu "Den Påtvingade Tvåsamheten" noch einmal die gesamte Tristesse des Lebens vorbeiziehen lassen, die bald ein Ende hat.

"Uargh!" Da lässt man vor Schreck ja die blitzende Rasierklinge fallen, wenn Niklas Kvarforth derart abrupt in "Vilja & Dröm" bricht. Ob das so im Sinne des Erfinders war? Naja, genießt man beim Aufsammeln eben noch ein wenig länger die von Shining heraufbeschworene Schwermut.

"IX - Everyone, Everything, Everywhere, Ends". Für bunte Häschen, die Ringelreihen tanzen, war der schwedische Suizidalfürst noch nie bekannt. Englische Worte in Albumtiteln, die nicht um den heißen Brei herumreden, liegen ihm dafür. Das bewies er 2012 mit "Redefining Darkness". Den damaligen Anspruch einer Neudefinition erfüllte er vielleicht nicht ganz, großartig war das trotzdem allemal.

Das ist es auch diesmal wieder. Die Musik bestätigt, was die Hüllenworte versprechen: keine Hoffnung auf Erlösung. Und ja, auch "IX - Everyone, Everything, Everywhere, Ends" endet. Leider, denn diese 39 Minuten sind vom ersten bis zum letzten Ton phänomenal.

Kvarforth bewegt sich hauptsächlich in Low- bis Midtempo-Regionen. Doublebass-Gewitter gibt es nur vereinzelt zu hören. Auffällig oft schlagen Shining dagegen ruhige Töne an. In "Framtidsutsikter" knarzt Niklas zwischen cleanen Gitarren hindurch, bei "Inga Broar Kvar Att Bränna" windet er sich unter Qualen zu den Klängen einer Akustischen, nachdem zuvor ein Banjo die Melodieführung übernehmen durfte.

Von üblichem Black Metal-Gepolter ist hier absolut keine Spur zu entdecken. Am allerwenigsten in den Gitarrensoli, die quasi per definitionem einen Song im Song nach dem anderen raushauen. Zahlreich sind sie zwar nicht gesät, aber wirklich jedes markiert punktgenau einen Höhepunkt. Selbst ein – vermeintlicher – Quietsch- und Frickelausflug (wie nach gut zwei Minuten in "Besök Från I(ho)nom" zu bestaunen) liegt Welten über dem kompositorischen Niveau der meisten anderen dem Schwarzheimer-Bereich zuzuordnenden Bands.

Das hier spielt bisweilen auf Opeth-Level. "Människotankens Vägglösa Rum" zum Beispiel verfügt über einen Mittelteil, aus dem sich zunächst ganz behutsam eine schwach angezerrte Gitarre (die tatsächlich direkt von Mikael Åkerfeldt stammen könnte) schält. Dann treten Shining die Akustikbremse und entfesseln einen Wah-Wah-Sturm, nach dessen Abebben man am liebsten gleich wieder zurückspulen möchte. Obwohl das anschließend eingesetzte treibende Hauptriff nicht minder grandios erscheint. Dazu stöhnt Kvarforth im Raumklang.

Während "Framtidsutsikter" einen mit "Människotanens Vägglösa Rum" konkurrierenden Sologipfel entfaltet, hinken die solounabhängigen Leads keineswegs hinterher. In punkto Intensität bleiben auch diese dem Kaliber Opeth oder Sólstafir nicht fern. Das nimmt seinen Anfang bereits im vierminütigen Instrumentalopener "Den Påtvingade Tvåsamheten", wo im Dynamikspiel so gut wie nichts die wallende Traurigkeit aufhält, und erreicht seinen Scheitelpunkt im doppelharmonischen "Inga Broar Kvar Att Bränna"-Schlussteil.

Nach einer beeindruckenden, vielschichtigen und doch so kompakten Reise durch sein neuestes Kunstwerk hält Niklas Kvarforth dann in "Besök Från In(ho)nom" begleitet von sanft hallenden Akkorden seine Abschiedsrede. Ein letztes Mal klammert man sich verzweifelt an die langsam schwindende Verzweiflung. Von Selbstmordgedanken dürfte trotz der geballten Depression auf "IX - Everyone, Everything, Everywhere, Ends" kaum mehr etwas übrig sein. Denn um so etwas hören zu können, dafür lohnt es sich zu leben.

Trackliste

  1. 1. Den Påtvingade Tvåsamheten
  2. 2. Vilja & Dröm
  3. 3. Framtidsutsikter
  4. 4. Människotankens Vägglösa Rum
  5. 5. Inga Broar Kvar Att Bränna
  6. 6. Besök Från I(ho)nom

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