laut.de-Kritik

Trotz Label-Neustart bleibt alles beim Alten.

Review von

Ein Aufschrei mitten in der Nacht: Alle Social-Media-Kanäle des 19-jährigen Sierra Kidd sind verschwunden. Kein Facebook, kein Twitter, nichts. Man fragt sich: Hat der Jungspund seine noch frühe Karriere schon wieder beendet? Schluss mit Musik, ab an die Uni? Dann der nächste Aufschrei: Sierra Kidd releast ein nagelneues Album. Einfach so. Das überbietet sogar die Promo-Strategie von Rapper-Kollege Weekend, der zwischen Ankündigung und Veröffentlichung seiner neuen Platte gerade einmal eine Woche verstreichen ließ.

Es sind Sierra Kidds erste eigene Gehversuche im Rapgame, stand er doch bisher unter den Fittichen Raf Camoras und dessen Label Indipendenza. Als Newcomer hätte man es durchaus schlechter treffen können, Camora gilt als ausgewiesener Fachmann. Seit Jahren wird seine Arbeit von den Kritikern geschätzt. Sierra wollte nun aber mit eigener Crew und eigenem Label für den eigenen Werdegang selbst verantwortlich sein. Jetzt releast Manuel Jungclaussen, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, beim TeamFuckSleep und präsentiert mit "FOSD" sein erstes, wirklich eigenes Album.

So richtig scheint sich Kidds Sound aber nicht verändert zu haben: düster, melancholisch, sphärisch. Das lässt zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder hat die ideelle und musikalische Abspaltung von Indipendenza und Camoras Einflüssen doch nicht so gut funktioniert oder er kann einfach nichts anderes. Ich hoffe ersteres, ich befürchte letzteres.

Eigentlich geht die LP gut los, der Opener "FSOD" ist ein passender Einstieg in die 39 Minuten Spielzeit des Albums. Gesang und Rap wechseln sich in einem ausgeglichenen Verhältnis ab, die Message wird klar: "Ich hab kurz das Release geplant, jetzt mach ich dies und das / Top-Ten Rapper fragen wegen Features an / Doch es ist whole Gang oder no Gang, schreib mich nicht an / wenn du was gegen meine Teammates hast."

"Alles" folgt als mutige Kampfansage an die Szene: "Ich seh die Wagen, die sie fahren / Die Lasten, die ich trage, sagen: 'Hol dir was sie haben, und zwar alles!'" "Colt" kommt in von französischem Rap inspiriertem Beatgewand und ballert richtig. Sierra flext zwei Parts mitsamt Hook dermaßen energiegeladen, dass man sich genau in dieser Machart ein komplettes Album wünscht. Auch wenn Sniper anno 2011 auf dem Song "Blood Diamondz" (gemeinsam mit dem Kollektiv Sexion D'Assaut) das klangprägende Sample noch einen Tick besser eingesetzt haben, gibt es an "Colt" fast nichts auszusetzen. Auch "Fan Von Dir" beeindruckt dank einprägsamer Hook und grooviger Bassline.

Nach diesem doch überwiegend positiven Einstieg in die Platte wird aber auch klar: Der Autotune-Effekt begleitet den Hörer über die gesamte Spielzeit. Ob Sierra damit Drake nacheifern möchte oder in seiner jugendlichen Naivität denkt, dass sich jeder Song damit besser anhört, weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass Autotune vorsichtig und an den richtigen Stellen eingesetzt durchaus musikalischen Mehrwert bieten kann. Hier nutzt man ihn leider inflationär. Insbesondere "Ernst" und "Hell" leiden eindeutig unter der zu starken Stimmverzerrung.

Zwar bietet die LP noch den ein oder anderen guten Moment wie beispielsweise Featuregast und Labelkollege Kynda Gray auf "Parka" oder dem Closer "25". Aber eben auch einige Songs wie Kidds Caspersche Popnummer "Dein", die dank Akustik-Gitarre und nervtötender Hook (sage und schreibe 30 Mal hintereinander "Ich bin dein") das Gesamtbild von "FSOD" immer wieder empfindlich stören.

Sierra Kidd produziert auch auf seinem neuen Album düstere und nachdenkliche Musik. Das Wort 'Einheitsbrei' liegt einem auf den Lippen, will dann aber angesichts lichter Momente wie "Colt" oder "Fan Von Dir" doch nicht ausgesprochen werden. Im Sound des jungen Emdeners lassen sich einige gute Ansätze entdecken: Musikalität, Rap-Talent, hochwertige Lyrics. Aber er setzt diese Fähigkeiten nicht konsequent genug in hochwertige Songs um. Klar, der Junge ist erst 19 Jahre alt und hat wahrscheinlich eine lange Karriere vor sich. Aber der Durchbruch gelingt ihm mit "FOSD" (noch) nicht.

Eine gute Nachricht zum Abschluss: Die Social-Media Kanäle sind wieder aufgetaucht. War nur ein Promo-Gag. Sachen gibts!

Trackliste

  1. 1. FSOD
  2. 2. Alles
  3. 3. Rote Bäume
  4. 4. Colt
  5. 5. Fan Von Dir
  6. 6. Ernst
  7. 7. Hell
  8. 8. Nie Vorbei
  9. 9. Dein
  10. 10. Scheinheilig
  11. 11. Parka
  12. 12. 25

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