laut.de-Kritik
Atzige Version eines 'Started From The Bottom'-Storytellers.
Review von Mirco LeierKollege Gölz stellte mit seiner letzten Review die Frage, ob Ski Aggu möglicherweise ein Album-Artist sein könnte. Wie es die Schnelligkeit der Industrie so will, gibt uns bereits sein neues Album "Wilmersdorfs Kind" die Antwort. Denn Ski Aggu manövrierte sich innerhalb des letzten Jahres selbst in eine Position, in der er sich artistischem Wachstum kaum länger verschließen konnte. Die Erfolgsformel des Mannes verlor an Reiz, sein Techno an Bumms, seine Punchlines an Humor. Im Internet machte man sich passend dazu über die Frage lustig, wer zur Hölle diese Musik eigentlich ernsthaft noch hört. Nein, wenn der Berliner mehr sein will als nur eine amüsante Fußnote in der Deutschrap-Historie der neuen 20er, dann muss gefälligst der Beweis her, dass hinter der Skibrille mehr steckt als Pupillen wie Teller, die unentwegt seinem Gegenüber auf die Möpse starren.
Also muss ein Konzept-Album her, oder zumindest so etwas in der Art. Wo Aggus bisherige Tapes eher als Single-Compilation funktionierten, floss in dieses Outing definitiv ein wenig mehr Hirnschmalz, das macht schon das Intro klar. "Wilmersdorfs Kind" öffnet nämlich wie man halt so ein waschechtes Album eröffnet: Mit breitgetretenem Lokalpatriotismus verpackt in die atzige Version eines "Started From The Bottom"-Storytellers. Schon früh zeigt sich, dass wir auf diesem Album nicht nur andere musikalische Seiten des Berliners kennenlernen sollen, sondern eben auch was abseits der Bühne und Raves eigentlich so in seinem Leben abgeht.
Schnell stellt sich jedoch heraus: Gar nicht mal so viel. Ski Aggu bemüht sich wirklich, neue Tasten auf seiner emotionalen Klaviatur zu finden, aber fast jedes Mal, wenn er sie zu spielen beginnt, klingt es nach Royalty Free Fuckboy-Geheule. Im Grund skizziert der Berliner hier über Albumlänge folgenden Kreislauf: Ski Aggu geht feiern, Ski Aggu ist gut drauf. Ski Aggu hat Stress mit seiner Freundin. Ski Aggu ist nicht mehr gut drauf, also geht Ski Aggu feiern.
Es gibt Momente, in denen die Emotionen, die er damit vermitteln will, fast greifbar werden. "Abgelenkt" kondensiert beschriebenen Kreislauf auf knappe drei Minuten macht die Müdigkeit hörbar, die daraus resultiert. Sein monotoner Flow im Kontrast mit dieser unnachgiebig nachtretenden Kickdrum setzt einem Bilder in den Kopf, wie er völlig betäubt mit nach unten gezogenen Mundwinkeln durch den Club stolpert, weil der DJ ja ausgerechnet den Lieblingssong seiner Ex Freundin spielen musste und damit sein High versaut hat. Außerdem findet er hier auch mal ganz nette Bilder dafür: "Sonne geht auf in der Straße, wo die Atzen häng'n / Gesicht verblasst wie der Stempel an mei'm Handgelenk / Bei diesem einen Track passiert es, dass ich an dich denk / Dann kommt mein Kumpel mit nem Sekt und ich bin abgelenkt."
Das Ding ist nun aber, dass Aggu selbst auf einem Song wie diesem einfach nicht aus seiner Haut kann. Dieser Mann liebt Flachwitz-Wie-Vergleiche so sehr, dass selbst Eko Fresh vor Ehrfurcht erstarrt. Und das gepaart mit seinem Hang so zu reden, wie sie beim WDR denken, dass Leute in seinem Alter reden würden, schmälert den Impact, den er selbst mit solchen oberflächigen Themen haben könnte. Ein baar Beispiele: "Wär schon Legende, wenn ich nicht immer noch in dich verliebt wäre" ; "Liefen durch Westberlin mit übertrieben Aura"; "Mach' mich heut dicht auf lock"; "Ich sag' es, ich hab' auf Playboy-Basis / Schon vielen schöne Augen gemacht wie ein Make-up-Artist" ; "Weil der Backstage arsch ist wie ich später bei ihr". Wo hört da eigentlich die eigene Lingo auf und wo fängt das Zielgruppen-Marketing an?
Hinzu kommt, dass Aggu, wenn er denn mal ernster wird, diese Stimmung einfach nicht aufrechterhalten kann, ohne sie kontinuierlich damit zu untermauern, was für ein geiler Macker er eigentlich ist. "Frag' mich, liebe ich dich echt? / Oder lieb' ich nur mich selbst?" fragt er auf "Egoist", und die Art, wie er die sanften Saiten seiner Seele bespannt, legt eine Antwort auf diese Frage ziemlich nahe. Aggu gibt auf dem Album das Bild eines Typen, der sich die Nägel lackiert, um dir zu zeigen wie feministisch er ist, nur um hinterrücks "aus Versehen" mit deiner besten Freundin zu schlafen und dann einen Song darüber zu schreiben, wie schlecht es ihm geht, weil du dich von ihm getrennt hast.
Aber egal, dann hat Aggu eben nichts zu erzählen, ist eben kein Album-Artist. Dafür ballen doch zumindest die Kirmes-Brecher noch, oder? Oder?! Wie man's nimmt. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er hier nur das Erfolgsrezept seiner größten Hits weiterführt, das findet sich eigentlich nur auf "Balla BallaDeutschland". Aber abwechslungsreicher heißt nicht zwangsweise auch interessanter. Mit "Zornig [2024]" und "Auf Ernst" versucht er sich an Rage, "Ganz schön" tauscht die Kickdrum gegen Euro-House, und "Bye x3" und "Immer" kombinieren die elektronischen Elemente mit Slacker-Gitarren und der neudeutschen Indie-Chose zu insgesamt eher durchwachsenen Resultaten.
Nicht weil sich das seitens der Produktion nicht unter einen Hut bringen lässt, die tönt über weite Strecken der LP ziemlich crisp und kreativ. Aber Aggu selbst trägt diese Songs einfach irgendwann nicht mehr. Er setzt wirklich gar nichts daran, sich der Stimmung, die diese neuen Instrumentals mitbringen, anzupassen. Es ist immer der gleiche Flow, immer die gleiche Stimmlage und immer die gleichen Wortspiele, die nicht annähernd gut genug sind, um über den nicht vorhandenen Inhalt hinwegzutrösten. Erst wenn er, wie hier, versucht umzusatteln, wird klar, was für ein One Trick-Pony der Berliner eigentlich ist. Wenn das Klangbild mal eine andere Tönung bekommt, verdankt sich das meistens Gästen wie Makko oder Jeremias.
"Auf Ernst", der das nicht in einem Vakuum entstandene Meme, wer denn mittlerweile überhaupt noch Ski Aggus Musik hört, aufs Korn nimmt, erzeugt noch am ehesten ohne Zuhilfe einen anderen Vibe als völlige Gleichgültigkeit. Den Switch von den verträumten Verses zu den Rage-Synths in der Hook reitet der Berliner einwandfrei, den Sass kauft man ihm ab, ein paar lustige One-Liner sind auch dabei. Damit reißt er keine Bäume aus, aber gemessen am Rest der LP ist das der Status Quo für einen guten Ski Aggu-Banger im Jahr 2024.
Aber dann ist da noch ein Song wie "Deutschland", der sich wohl selbst eingesteht, dass Aggus Rummelbumms-Konzept mittlerweile so abgenutzt scheint, dass man ein wenig künstlich generierte Empörung braucht, um damit noch neugierige Ohrmuscheln zum Hinhören zu bewegen. Wir machen pünktlich zur EM eine Deutschland-Hymne, aber da gehts nicht ums Kicken, sondern ums Peppen und Ficken, das macht man ja hüben wie drüben gern. So einfach kann Ost-West-Dialog gehen, gern geschehen. Was haben wir gelacht. Fick- und Sauf-Musik in allen Ehren, aber dann lasst es doch bitte wenigstens danach klingen, als würde es euch auch wirklich Spaß machen, und nicht, als würdet ihr gerade im K-Hole hängen und darüber lachen, dass jemand das Wort Pimmel gesagt hat.
Nein, so langsam ist wirklich der Punkt erreicht, an dem man Ski Aggus kurzen, aber intensiven Zenit als überschritten ansehen muss. Nach seinen letzten Tapes musste er sich der Frage stellen, ob das denn schon alles gewesen ist, oder ob in ihm doch ein spannender Musiker schlummert. Das Prädikat 'spannend' könnte "Wilmersdorfs Kind" jedoch kaum ferner sein. Das Outro verspricht zwar für das nächste Album erneut eine gewisse Weiterentwicklung im Sound, aber wenn Ski Aggu nicht ganz grundsätzlich etwas in seinem Auftreten hinter dem Mikrofon ändert, stellt sich viel eher die Frage, wie lange er die Welle des Erfolgs noch reiten kann, bevor sie ihn unweigerlich auf der anderen Seite der Irrelevanz wieder ausspuckt.
9 Kommentare mit 2 Antworten
" Die Erfolgsformel des Mannes verlor an Reiz, sein Techno an Bumms, seine Punchlines an Humor."
seine Punchlines hatten Humor?
Der hatte seine 15 Minuten Ruhm, der kann wieder in der Versenkung verschwinden.
Na, den hat 1Live schon als eine Art nächsten Casper/Cro für die Gen Z und Gen Alpha auf dem Schirm, den werden wir wahrscheinlich noch ein paar Jahre ertragen müssen.
Prinz Pi für Gen Z
Dieser Kommentar wurde vor 2 Monaten durch den Autor entfernt.
ich hab mir gerade extra nen account gemacht wege folgendem satz:
"Aggu gibt auf dem Album das Bild eines Typen, der sich die Nägel lackiert, um dir zu zeigen wie feministisch er ist, nur um hinterrücks "aus Versehen" mit deiner besten Freundin zu schlafen und dann einen Song darüber zu schreiben, wie schlecht es ihm geht, weil du dich von ihm getrennt hast."
props an den autor der rezension, ich brech weg.
ungehört 1/5