laut.de-Kritik
Geh mit oder geh zur Seite!
Review von Moritz Fehrle"Words and guitar: I got it! Words and guitar: I want it!" Es ist eine simple Botschaft, die Corin Tucker und Carrie Brownstein in die Welt setzen, und es ist eine, die durchaus als politisches Statement gelesen werden sollte. Was Sleater-Kinney hier in denkbar einfacher Art und Weise propagieren, ist eine musikalische Selbstermächtigung und die Eroberung zweier Sphären, in denen Frauen im öffentlichen Bewusstsein eine reichlich untergeordnete Rolle spielten.
Tatsache ist, dass weibliche Gitarristen und Songwriter in der Rockmusik bis weit in die Neunziger von Teilen des Publikums als etwas Exotisches beäugt wurden. Größeren Erfolg hatte im patriarchalen Musikgeschäft höchstens eine Gruppe Bassistinnen (um Kim Gordon, Kim Deal oder Tina Weymouth) zu verzeichnen. Wie beschämend männlich dominiert dabei auch und gerade Punk und Indie Rock bei aller nach außen gestellter Subversion waren, und wie wenig aufgeschlossen bis ablehnend die Szene Frauen und marginalisierten Gruppen gegenüberstand, hatte die Riot Grrrl-Bewegung einige Jahre zuvor für jede:n sichtbar gemacht.
Zunächst in Fan-Magazinen, wenig später auch musikalisch äußerten Bands wie Bikini Kill oder Bratmobile mit entschiedener Vehemenz ihren Unmut über weit verbreiteten Sexismus und rückständiges Mackertum in der Punkszene und beanspruchten ihren eigenen Platz in dieser. Gekoppelt mit einer scharfen gesellschaftlichen Kritik am Patriarchat und an aufgezwungenen Geschlechterrollen gilt die Bewegung heute gar als Startschuss für die dritte Welle des Feminismus.
Mit Riot Grrrl fanden feministische Ideen derart erfolgreich Einzug in den Mainstream, dass 1997 die Spice Girls den Ausruf nach "Girl Power" übernommen hatten, den ursprünglich Bikini Kill 1991 als Titel eines Fan-Magazins prägten. Sleater-Kinneys Ruf nach "Words And Guitar" kam also zu einer Zeit, als die Bewegung eigentlich schon am Abflauen war und zentrale Slogans bereits von der kapitalistischen Verwertungslogik vereinnahmt wurden. "Dig Me Out" ist dabei sicher nicht das politischste Album der Riot Grrrl-Szene (diese Ehre gebührt vermutlich dem LGBTQQ-Manifest "Personal Best" von Team Dresch), es ist nicht einmal das politischste von Sleater-Kinney selbst. Es markiert allerdings nicht nur den endgültigen Durchbruch für die Band, sondern auch den späten künstlerischen Höhepunkt der gesamten Bewegung.
"Words And Guitar" – we got it. In der Tat, das haben sie. Gerade der fehlende Bass in der Bandkonstellation ist es, der es Produzent John Goodmanson erlaubt, "gigantische Gitarrensounds rauszuholen", die andernfalls nicht möglich gewesen wären. Eng verzahnt im Zusammenspiel und mit großem Ideenreichtum erschaffen Brownstein und Tucker auf ihrem dritten Album endgültig den unverkennbaren Sound der Band. Wegen ihres prägnanten, rifflastigen Stils nahm der feministischer Umtriebe ganz und gar unverdächtige Rolling Stone Carrie Brownstein vor einigen Jahren gar in die Liste der unterbewertetsten Gitarist*Innen auf - selbstverständlich als einzige Frau.
Textlich wie musikalisch tritt das Duo mit dem Selbstbewusstsein zweier Anfang Zwanzigjähriger auf, die fest entschlossen sind, ihren Platz zu verteidigen. "I'm the queen of Rock'n'Roll" hatte Tucker – halbironisch - auf dem vorhergehenden Album "Call the Doctor" verkündet. Und wie geht es auf "Words And Guitar" nun weiter? "I want it all, I want it all, I want it. You can't take this away from me". Geh mit oder geh zur Seite!
Der Song ist neben dem Zusammenspiel von Tucker und Brownstein auch ein gutes Beispiel für die im Vergleich zum Vorgängeralbum noch stärker verschränkten Stimmen der beiden. Während Brownstein ihre Parts oft eher mit einer Art monotonem Sprechgesang angeht, zieht Tucker mit jeder Silbe ins Extrem. Ihre emotionsgeladene, vibrierende Stimme setzt sich denkbar weit ab von den Konventionen des Genres hin zu etwas, das man fast als Soul-Punk bezeichnen könnte.
Wo das Fundament für das starke Zusammenspiel des Duos liegt, darin sind sich beide Musikerinnen einig. Nach drei Drummerinnen in drei Jahren Bandgeschichte sitzt für "Dig Me Out" erstmals Janet Weiss hinter den Trommeln. Sowohl Brownstein als auch Tucker stellen die immens wichtige Rolle heraus, die Weiss für den Sound der Band spielt, und bezeichnen sie als das musikalisch zweifellos begabteste Mitglied der Formation.
Weiss' energetischer, immens solider und gleichsam komplexer Stil ist es, der für alle Alben ab "Dig Me Out" die Grundlage von Sleater-Kinney bildet und auf dem die beiden Gitarristinnen ihr Zusammenspiel entfalten. Im Prinzip könnte man das Album sogar einmal nur nach den Drumparts abhören - langweilig würde einem gewiss nicht werden. Allein was Weiss in den ersten dreißig Sekunden des Titeltracks ausgräbt, ist beachtenswert.
Apropos ausgraben: Der Titel des Albums bezieht sich auch auf die Aufnahmesituation im Winter 96/97. Nach einem Schneesturm mussten sich die Musikerinnen den Weg zu ihrem Studio im Nordwesten der Vereinigten Staaten im wahrsten Sinne des Wortes freibuddeln. Auch sonst klingt die Aufnahmesituation nicht besonders gemütlich. Denn obwohl die Band überall im Studio Raumheizer aufstellt, bleibt die Temperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt. "Wie spielten in Pullovern und Mänteln und legten zwischen den Songs Tanz- und Aerobic-Übungen ein, um warm zu bleiben und die Laune aufrecht zu erhalten", erinnert sich Brownstein in ihrer Autobiographie.
Auf einem weiteren Song findet die widrige Aufnahmesituation sogar direkt Einzug ins Album. Denn während Brownstein und Tucker auf "Heart Factory" die emotionale Kälte vieler Menschen besingen, trommelt Weiss auf einem der zahlreichen Raumheizkörper. Dieses unübliche Perkussionselement verstärkt den leichten New Wave-Einschlag, den "Heart Factory" neben dem Devo-esken "Dance Song 97" als einer von zwei Songs auf dem Album aufweist.
Die weitere Öffnung hin zu eher genrefremden Inspirationen zeigt sich auch auf "Little Babies", der zweiten Single des Albums. Die im Call-and-Response-Stil vorgetragene Kritik an gesellschaftlich aufgezwungenen Mutterrollen orientiert sich wohl am stärksten an klassischen Rock'n'Roll-Konventionen – Stones-Referenz inklusive.
Der Bandklassiker "One More Hour" thematisiert das Ende der kurzen romantischen Beziehung zwischen Brownstein und Tucker. Auf einen noch recht geordneten Beginn folgt im Refrain der Zusammenbruch. Gitarrenparts und Stimmen verschränken und überlagern sich zu einer klaustrophob zusammengezogenen Atmosphäre. Und allein wie Tucker die letzte Silbe in ihrem schmerzerfüllten Ausruf "oh you've got the darkest eyes" schier unerträglich in die Länge zieht - als wolle sie sich nie von diesen Augen losreißen - ist ein einschneidendes emotionales Erlebnis, das die Hörer*Innen noch lange einnimmt.
So fesselnd der bestechende gemeinsame Vortrag der Sängerinnen auch ist, sollte auch hier nicht unerwähnt bleiben, wie stark Janet Weiss den Trennungssong mit ihrem polyrhythmischen, energetischen Spiel komplettiert. "Jenny" hingegen beginnt mit leichten Joy Division-Anklängen, mündet dann in eine krachende Klimax und reißt zum Ende der guten halben Stunde Spielzeit noch einmal alles ab. Kurzum: es ist ein gebührend lautes Ende und ein würdiger Abschluss des vielleicht besten Punk-Albums der letzten dreißig Jahre.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Wo es hier schon erwähnt wird: Team Dresch mit Personal Best wäre mal ein Meilenstein
war mir immer ein bisschen zu stereotyp