laut.de-Kritik

Zwischen Storytelling und Art-Pop.

Review von

"Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu schmieden." Dieser Satz aus John Lennons "Double Fantasy"-Album, den er einst einem Zeitungsartikel entnahm, trifft genau die Themen des fünften Longplayers von Slow Leaves. Der kanadische Songwriter, der unter dem Namen Grant Davidson anfing, entschied sich mit "Shelf Life", für eine Live-in-Session-Platte. Die vier Musiker spielten es ohne zigmalige Takes ein. Diese Arbeitsweise harmoniert vortrefflich mit Slow Leaves' Texten. Denn "Shelf Life" behandelt, gemäß Lennons Zeile, Zufälle und Unvorhersehbares im Leben.

Ein Leben, das wir zu planen glauben - oder optimieren sollten, wie es uns manche Influencer*innen nahelegen. Wenn Slow Leaves seinen Titel "Sentimental Teardrops" mit den Worten "Sometimes I wanna be sad" beginnt, kontrastiert er diese Hypewelt Youtubes. Dann kann man auch ein bisschen nachvollziehen, wieso ihm ein Rückbezug auf Nick Drake nachgesagt wird. Der mit Cello arrangierte Track bleibt aber eine Ausnahme. Sometimes I wanna be happy" singt er dann, und bei weitem überwiegen Elan und subtile Ironie in den stets kompakten Songs.

Melancholie kleidet Grant Davidson nicht immer nur in graue, unauffällige Gewänder, dafür gerne mal in flotte, schnittige, etwa beim rockigsten Lied der Platte, "Miss You", das Davidson überraschend hoch singt: Der sympathisch straighte Gitarren-Twang tut gar nicht so, als müsse man Indie-Pop und Songwriter-Folk neu erfinden. Die Platte erfüllt genau die Erwartungen, die man an ein geschmeidiges, aber auch gehaltvolles Storyteller-Album stellen kann.

Es gibt noch einen weiteren Rock-Tune - "Half Of The Bed" wartet mit Tremolo in den Vocals und trickreichem Bassspiel auf. Die äußerst eingängige Melodie schäumt geradezu vor Optimismus. Dabei trieft die Geschichte vor Bitterkeit: Ein Verlassener versucht sich erfolglos abzulenken, bevor er alleine zu Bett geht. Er bereut die Fehler und Worte, die zur Trennung geführt haben. Immer mehr Details des Zusammenlebens fallen ihm auf, die er vermisst - all dies hämmert in seinem Kopf hämmert, während ihn beschleunigende Gitarren immer tiefer in die Monomanie hineintreiben. Eine intensive Hammond-Orgel errichtet vollends die Wall of Sound - überwältigendes Finale eines locker gestarteten Stücks.

Die zweite Sorte Songs bildet die größere Gruppe mit sechs der zehn Tracks: akustische, zarte Nummern wie "Sink Full Of Dishes" und "Autumn Rain", deren Art an Gordon Lightfoot erinnert. Die Stimmungen und Harmonien dürften auch Musikfreunden zusagen, die den Cat Stevens der frühen 70er cool finden, auch wenn hier weniger Nachdruck drin steckt. Ein bisschen blitzt auch der leichtfüßige Pop von Scritti Politti auf.

Diese Parallelen übertrumpft Slow Leaves jedoch mit seinem höchst reizvollen und einzigartigen Finger-Picking an der akustischen Gitarre. Er kombiniert diese Technik mit einer eigenwillig hüpfenden, aber auch wieder fließenden Rhythmik. Spannend wirkt da besonders die schwungvolle Gitarrennummer "Time Was On Your Side", aber auch der pumpende Klavierpop in "Wishes". Beide Tracks bewegen sich zwischen schroff und zierlich, lebhaft und still.

Zu gleichen Teilen von Storyteller-Traditionen und von der kanadischen Art-Pop-Szene um Slow Leaves' Musikerfreundin Julie Penner/Broken Social Scene geprägt, kam ein sauberes, sehr geradliniges Album heraus. Die Texte sind durch die Bank wirklich gut: Metaphern, Reime, Sinn und Witz - alles dabei. Musikalisch verzichten die virtuosen Musiker auf Profilierungssüchte. Und obwohl Slow Leaves der Gefahr der Überproduktion widersteht, tönt die Platte am Ende richtig satt.

Trackliste

  1. 1. Looking Out My Window
  2. 2. Miss You
  3. 3. Sink Full Of Dishes
  4. 4. Time Was On Your Side
  5. 5. Autumn Rain
  6. 6. Wishes
  7. 7. Half Of The Bed
  8. 8. Try Again In The Morning
  9. 9. Without A Care
  10. 10. Sentimental Teardrops

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LAUT.DE-PORTRÄT Slow Leaves

Grant Davidson ist ein Singer-/Songwriter Reinkultur. Zwischen Folk, Pop und zarten Ansätzen von Rock entwirft der Kanadier seine Melodien. Inhaltlich …

1 Kommentar

  • Vor 3 Jahren

    "Sink full of dishes" und "Sentimental Teardrops" waren die besten Balladen des Jahres 2020. Seine Stimme macht auch die restlichen Lieder besonders, aber die traurigen oder zumindest ruhigeren sind klare Highlights auf diesem sympathischen Album, das ich tatsächlich durch einen Radioeinsatz auf einem Kultursender entdeckt habe.