laut.de-Kritik
Das Opus Magnum des Shoegaze.
Review von Kerstin KratochwillWenn es so etwas wie späte Gerechtigkeit gibt, dann ist "Souvlaki" der britischen Shoegaze-Legende Slowdive der strahlendste Beweis dafür: Als das Album 1993 erschien, erhielt es vernichtende und bösartige Kritiken. Dave Simpson vom "Melody Maker" wollte lieber in einem Bad voller Porridge qualvoll ersticken, als noch einmal den Track "Sing" (mitkomponiert von Brian Eno) oder überhaupt das ganze Album anhören zu müssen, und Richard 'Richey' James Edwards von den Manic Street Preachers verstieg sich gar zu der Aussage: I hate Slowdive more than Hitler". Nun, Edwards ist seit 1995 spurlos verschwunden, aber das ist eine andere Geschichte ... Die Geschichte von "Souvlaki" ist eine viel spannendere, und warum das Album ein Meilenstein ist, erklärt sich erst in der Rückschau.
Das Genre Shoegaze war in Großbritannien Anfang der Neunziger Jahre das neue Ding: Von einem Journalisten mit dem albernen Namen benannt, da die Bands bei ihren Konzerten konzentriert auf ihre zahlreichen Effektgeräte am Boden starrten, wurden die ersten beiden ätherischen und noise-verhangenen Alben von Slowdive – "Blue Day" (genaugenommen eine Compilation der ersten EPs der Band) und "Just For A Day" – in der Presse hochgelobt. Und während sich Slowdive unter Mithilfe von Produzentenlegende Brian Eno im Studio verkroch, in der Meinung ein Meisterwerk geschaffen zu haben, eroberte Britpop das Land im Sturm und die Machismen von Oasis & Co. verjagten die Melancholie des Dreampop & Co. Für die Band war es ein Schock, die zumeist vernichtenden Reviews zu "Souvlaki" lesen zu müssen, und laut Sängerin Rachel Goswell wurde Shoegaze endgültig zum "Genre of Ridicule" geschrieben.
Gegen die direkten Hits des Britpop hatte die Entrücktheit des Shoegaze keine Chance mehr, der zudem als Eskapismus sowie Elitengehabe missverstanden wurde: Wer sich allerdings jemals dem Album "Souvlaki" hingegeben hat, weiß und fühlt, dass so viel Wahrheit und Emotion zwangsläufig zu einer lebenslangen Liebe zu Slowdive führen. Das bewies auch die weltweit euphorisch gefeierte Reunion der Band im Jahr 2014 und vor allem das hochgelobte Comeback-Album aus dem Jahr 2017, das schlicht und ergreifend "Slowdive" benannt wurde – die Band hatte ihre Identität endlich gefunden.
Über 20 Jahre nach der Schmach um "Souvlaki" findet die Band also endlich die Wertschätzung, die ihr gebührt: Das Album gilt wegen seiner Komplexität inzwischen als Opus Magnum des Shoegaze und beinhaltet betörende Klassiker wie das hymnische "Souvlaki Space Station" oder das herzzerreißende "When The Sun Hits". Beides typische Vertreter des Genres mit viel Hall und Reverb, so dass man sich tatsächlich im All schwebend wähnt.
Neben diesen Noisegewittern packen einen zudem die berührenden sowie sparsamer arrangierten Tracks wie "Alison" oder "Dagger", die geradezu schmerzhaft schön sind. In der ersten Version fehlten noch ein paar Zusatztracks, wie zum Beispiel "Country Rain", das bereits auf die "Nachfolgeband" Mojave 3 hinweist, sowie das großartige Cover des Lee Hazlewood- und Nancy Sinatra-Evergreens "Some Velvet Morning". Auch diese Songs sind von einer eindringlichen und gespenstischen Wahrheit, die Zeit und Raum durchdringen.
Will man das Album in der Genre-Historie einordnen, so gehört es wohl zur heiligen Dreifaltigkeit des Shoegaze und schwebt sublim zwischen dem brachialen Noise-Wunderwerk "Loveless" von My Bloody Valentine und dem verträumten Melodie-Meisterstreich "Nowhere" von Ride. "Souvlaki" ist ein vielschichtiges Album, nicht nur musikalisch und wegen den tatsächlich übereinander gelegten Schichten in den Songs, sondern auch wegen des abwechselnden oder harmonisierenden Gesangs von Neil Halstead und Rachel Goswell, deren Beziehung seit Schulzeiten andauerte, auseinander ging und dennoch stets in tiefer Freundschaft bestehen blieb.
Was Worte hier nur mit kitschigen Hilfskonstrukten wie "Magie" oder "Chemie" beschreiben können, gelingt der Musik auf "Souvlaki" eben mühelos. Wer das Album also in seiner Teenagerzeit hören durfte, kann sich glücklich schätzen mit ihm erwachsen geworden zu sein: Allen anderen wird "Souvlaki" eine wahrhaftige Entdeckung sein.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
8 Kommentare mit 2 Antworten
Sehr schöner Meilenstein!
Absoluter Klassiker des Genres. Es gibt kein Opus Magnum im Shoegazing, sondern die heilige Dreifaltigkeit von "Souvlaki", "Loveless" und "Nowhere". Drei Alben, die man kennen muss, wenn man sich für gute alternative 90s Mukke interessiert.
Alleine schon wegen "When The Sun Hits"
Schönes Album, in meiner Wahrnehmung in etwa gleichauf mit dem noch etwas verschwommeneren Vorgänger und dem frickeligeren Nachfolger. Finde alle drei im direkten Vergleich mit den auch hier als Referenz herangezogenen Genresteinen "Nowhere" und "Loveless" allerdings auch ein wenig langweilig. Vielleicht was für die richtige Stimmung, aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass das hier irgendwann nochmal auf heavy rotation läuft.
Sehr verdienter Meilenstein,obwohl ich just for a day auch nen Tick besser fand.Habe sie seinerzeit live gesehen.mann,war ich in Rachel verliebt...
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.