laut.de-Kritik

Gezähmt, aber nicht unsexy. Anmutig, aber nicht angepasst.

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Schöne Aussichten, wenn man die neue CD aus dem Jewelcase herausnimmt. Das Inlay zeigt Sonic Youth in aktueller Besetzung am Hudson River vor einer New Jersey-Skyline jammen. "Die haben auch schon bessere Zeiten gesehen!", meint Kollege Kraus. Der hat gut reden. Klar, auch die berufsjugendlichen Sonic Youth werden älter. Mit gehörigem Erschrecken musste ich diesbezüglich Kim Gordons Kurzauftritt in Gus Van Sants (grässlicher) Cobain-Hommage "Last Days" zur Kenntnis nehmen. OK, Lee Ranaldo ist ja schon seit Jahren grau wie ein Wolf. Aber jetzt ist auch Thurston Moore pausbäckiger und schmerbäuchiger geworden.

Das Bild steht für die wichtigsten Veränderungen in der Band seit dem letzten Album. Man hat das Studio in der legendären Murray Street aufgegeben zugunsten von Hoboken, New Jersey. Jim O'Rourke hat sich unlängst aus dem SY-Lineup verabschiedet, um seine Kenntnisse in japanischer Sprache zu verbessern. Thurston Moore gab dies in einem Interview als Grund dafür an, warum das neue Album nicht mehr so komplex sei. Es fehle einfach an einer weiteren musikalischen Facette. Und: Man sei älter geworden!

Vielleicht hat es auch einfach gut getan, wieder in alter Besetzung zu spielen. Vielleicht hat es geholfen, dass J. Mascis ab und zu ins Studio geschneit kam und womöglich die eine oder andere Idee aus dem Gitarrenköfferchen oder dem zerzausten Haupthaar schüttelte. Vielleicht auch, weil das 1999 gestohlene Equipment Marke Eigenbau teilweise wieder aufgetaucht ist. Fest steht: Dies ist das schönste Album seit "Washing Machine". Und ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Dies ist die poppigste Platte seit "Goo". Entgegen dem ersten optischen Eindruck klingen die New Yorker einfach frischer und aufgeweckter denn je.

Als wären die Muttis der Bandmitglieder für einen Frühjahrsputz im verrauchten Studio vorbeigekommen, hätten alle Türen und Fenster aufgerissen und den abgestandene Mief der letzten zehn Jahre heraus gelassen. Als hätte sich die gesamte Band einer Dialyse unterzogen und quasi den angesammelten Dreck der 90er Jahre entschlackt. Jedenfalls nährt sich "Rather Ripped" von extrem harmonischen Melodiestrukturen, wie man sie in dieser Fülle auf keinem Sonic Youth-Album derart geballt findet. Fast wie eine Zusammenstellung für ein Best-Of-Album.

War's das also jetzt mit dem "Noise"? Bis "Turquoise Boy" ist kein handfestes Freakout auszumachen. Kein Solo ist übertrieben in die Länge gezogen. Bis "Sleepin' Around" hört man nicht mal das minimalste Feedback. Und von da ab nur versprenkelt, wie die dekorative Kirsche auf dem Eisbecher.

"Rather Ripped" wirkt gezähmt, aber nicht unsexy. Anmutig, aber immer nicht angepasst. "Incinerate" z.B. lebt von poppigen Gitarrentunes und ist derart leichtfüßig, dass es einfach davon schweben könnte. Oder das düstere "Pink Steam", das im Verlauf mit Thurstons Gitarre langsam aufklart wie ein Gebirgshimmel nach dem Gewitter.

Moore klingt durchweg, als singe er seiner kleinen Tochter Schlaflieder (vor allem bei "Lights Out"). Griesgram Lee Ranaldo gibt sich mit "Rats" irgendwie selbstverliebt, ist sich aber am ehesten treu geblieben. Selbst Kratzbürste Kim zeigt sich mit "Reena" total "in tune". Der Refrain "You keep me coming home again" entlässt mich in das wohlige Bewusstsein, im Schoße von Sonic Youth immer willkommen zu sein.

Trackliste

  1. 1. Reena
  2. 2. Incinerate
  3. 3. Do You Believe in Rapture?
  4. 4. Sleepin' Around
  5. 5. What A Waste
  6. 6. Jams Run Free
  7. 7. Rats
  8. 8. Turquoise Boy
  9. 9. Lights Out
  10. 10. The Neutral
  11. 11. Pink Steam
  12. 12. Or
  13. 13. Helen Lundeberg

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