laut.de-Kritik

Erfülle das Soll, grins debil im Kapitalismus!

Review von

"Wir werden uns viel verzeihen müssen". Der mittlerweile legendäre Satz vom ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn inmitten der Pandemie klingelt immer noch. In meinem Fall bitte ich um Absolution für die übertrieben positive Besprechung von dem halbgaren Abi-Gag Roy Bianco & Abbrunzati und der etwas grantigen Auseinandersetzung mit Sorry3000. Es war eine dunkle, deprimierende Zeit, und auf netten Indie-Pop verspürte ich an diesem schicksalhaften Tag nicht wirklich Lust. Der Noel Gallagher in mir schrie: "Ach, wenn du nicht die beste Band Deutschlands oder gleich der ganzen Welt werden möchtest, nimm doch einfach kein Mikro in die Hand".

Ausbaden mussten mein Frust über die deutsche Musikszene und ihre trantütige Schluffigkeit ein paar Normalos aus Halle. Die Pandemie ist vorbei, meine miese Laune nicht wirklich, aber ausgerechnet die wirklich netten Sorry3000 bekamen wirklich all meinen Frust ab. Noch schlimmer, die Reaktion blieb sogar zuckersüß und nicht nachtragend. Einfach mal lieb sein und weniger zynisch, das möchte ich nun beim zweiten Versuch.

Es wäre nun an mir, mal fett "Entschuldigung" zu sagen, aber den Part übernehmen Sorry3000 einfach mal selber. Der Einstieg in das "Grüße von der Überholspur" gelingt gut, weil diesmal mit richtig Ärger im Bauch, ohne weitere Ebene. Am Schluss schreit Stefanie Heartmann ihre ganze Genervtheit über ständige Kompromissbereitschaft hinaus. Ja geht doch, lasst es mal raus und versteckt euch nicht hinter der Meta-Ironie, wo es derzeit so viel eindeutig nicht gut läuft.

Auch "Hinterm Kreisel" gefällt mit Lo-Fi-Rock und einer schönen Tristesse-Beschreibung. Lyrics wie "Da drüben war mal Brachland, jetzt erstreckt sich dort die Startbahn / Man kann pauschal in'n Urlaub fahren, um quasi nichts erlebt zu haben." sind auch nicht mehr so weit von den 90er-Tocos entfernt. Überhaupt gehen die besseren Songs diesmal komplett an Sängerin Stefanie, die diesmal die minimalistisch-spröden Indie-Rock-Parts übernimmt. "Sonntagserschöpfung" klingt genauso bitter, wie sich eben der letzte Tag der Woche anfühlt. Genau mit dieser Richtung gewinnt die Band wirklich an Qualität und durchbricht sogar fast die Dilettantismus-Attitüde mit schönen Cure-Harmonien.

Frank Leiden singt seine NDW-Dada-Songs über "Der Zitronenbaum" so bewusst schief ein, dass auch jede*r diese präteniöse Lustlosigkeit versteht. Das finden gerade die Journos mit Achtziger-Sozialisation richtig knorke, wie man an den übereuphorischen Reaktionen sieht. Sorry 3000 erfüllen den Wunsch nach nochmaliger Schnittstelle zwischen Neue Deutsche Welle und Punk. Eine damals erfrischende Abwechslung zu dem ganzen Mackertum und dem Perfektionismus der Wohlstands-Leistungsgesellschaft. Erfülle nicht nur das Soll, sondern grins debil im Kapitalismus. Oder wie Karl Marx bereits sagte: "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt".

So gesehen taugt "Grüße von der Überholspur" tatsächlich als präzise Gesellschaftsbeschreibung. Mehr auf die Spitze getriebene weiße Jammerei, null Bock und privilegierte Diskurs-Ironie findet man wohl auf keinem anderen Alben in diesem Jahr. Diese auch selbst entlarvende Kritik wäre vielleicht noch besser, wenn sie nicht schon hundertmal vorgetragen wurde, zumal Sorry3000 auch absolut nichts Neues dazu einfällt. Leistungsverweigerung, Konsumkritik. Jaja, hatten wir schon alles. Reicht jetzt? Ja schon.

Vielleicht ist es gar nicht so gut, wenn frühes Overhypen eine Karriere zerstört. Sorry3000 fühlen sich im Konzept hörbar schon früh bestätigt und reichen ein kleines Update zu dem sehr ähnlichen Debüt nach. Warum auch was ändern, das die lautstarken Altvorderen des Musikjournalismus, in ihren Bunkern geschützt von weltweiten Veränderungen in der Musik, zur kompletten Ekstase bringt. Vielleicht aber auch mal überlegen, warum deutscher Indie so verstaubt, rückwärtsgewandt und überholt wie auf "Grüße von der Überholspur" klingt. Reicht jetzt? Nee, reicht überhaupt nicht. Entschuldigung, nochmals. Es tut mir so weh, aber ich kann diese "Für Deutschland reicht's"-"-Mentalität - ob jetzt im Mainstream oder Indie-Bereich - nicht mehr. Ob jetzt ironisch, post-ironisch oder Real-Pop: Das muss doch alles spannender, besser als diese angebliche "Band der Stunde" (Andreas Borcholte in seiner Abgehört-Rubrik".

Ich habe aber wohlmöglich auch beim zweiten Mal den grandiosen Witz schon wieder nicht verstanden. Geschenkt, denn trotzdem langweilt mich das Album trotz der positiven Ausreißer doch wieder enorm. Sorry3000 können gerne auch in Zukunft weiter vor den 30 Politik-Studenten*innen spielen und darauf hoffen, dass irgendwelche ehemals wichtigen Musikorgane auch noch Jahre später weiter jubeln. Eure Entscheidung, Sorry3000. Entschuldigung! Der Versuch, mal lieb zu bleiben, scheiterte doch wieder. Vielleicht bin ich im raffinierten Spiel der stehen gebliebene Grummelarsch, und die Band samt Fans lacht tatsächlich von der Überholspur. Auch das gönn ich ihnen. Am Ende also nur Liebe von mir. Ich glaube weiter fest an euch und irgendwann sitzen wir in meinem Garten. Einladung steht! Es herrscht glaube Redebedarf.

Trackliste

  1. 1. Entschuldigung
  2. 2. Der Kleine Zitronenbaum
  3. 3. Ich Will Sparen
  4. 4. Hinterm Kreisel
  5. 5. Ich Muss Mich Noch anstrengen
  6. 6. Küste am Atlantik
  7. 7. Peter Maffay
  8. 8. Nur im Spiel
  9. 9. Sonntagserschöpfung
  10. 10. Nachmacher
  11. 11. Es Ist Alles Nicht So Schlimm

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