laut.de-Kritik

Morbider Southern Soul mit Dave Gahan als Aushilfs-Johnny Cash.

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So richtig wussten die Soulsavers bisher ja nicht, was sie eigentlich wollen. Auf ihren letzten beiden Platten gab es sowohl Elektronik als auch Blues und Folk. Die Songs waren mal aufbrausend und lärmend, mal zerbrechlich und introspektiv. Pausenlos traten Gastsänger in Erscheinung: Mal Mark Lanegan und Mike Patton, mal Red Ghost aka Rosa Agostino, eine völlig unbekannte australische Sängerin.

Alles sah danach aus, als würden die Soulsavers als das ewige Nischenprojekt zweier Typen aus Manchester in die Geschichte eingehen, das von den Bescheidwissern gemocht, von der großen Masse aber ignoriert wird. Und jetzt? Kommt ausgerechnet Depeche Mode-Sänger Dave Gahan daher und führt diese Antizipation ad absurdum.

Sowohl die Soulsavers-Typen als auch Gahan betonen, dass alles gar nicht geplant war. Nach gegenseitiger Sympathiebekundung auf der letzten DM-Tournee, die die Soulsavers begleiteten, vereinbarte man einen lockeren Ideenaustausch. Wäre es nach Rich Machin und Ian Glover gegangen, hätten sie sich wieder über zwei bis drei gemeinsame Resultate gefreut, bevor sie weitere Stars angemailt hätten. Doch dann hörte Gahan gar nicht mehr auf zu schreiben, was im Gegensatz zu seinen Soloalben hier die völlig richtige Entscheidung war.

"The Light The Dead See" ist das erste Soulsavers-Album, das sich mit einem einzigen Sänger zufrieden gibt, und Gahan ist begeistert genug, gemeinsame Promo-Auftritte zu absolvieren, obwohl nicht mal sein Name auf dem Cover steht. Kein Wunder, durfte er doch alle Gesangsmelodien selbst erschaffen, und die fallen nun teilweise klassikerverdächtig aus.

In Santa Barbara, wo Martin Gore derzeit "so eifrig wie schon lange nicht mehr" (Gahan) auf neue DM-Studio-Sessions drängt, scheint diese Leistung nicht unbemerkt geblieben zu sein: Mit den Soulsavers hat der Wahl-New Yorker zwei Partner gefunden, die seinen Bariton aus dem bekannten Analog-Elektro-Spannungsfeld in einen morastigen Südstaatensumpf verpflanzen und ihn so alt erscheinen lassen wie das Cover-Grammophon. Dabei waren sie noch nicht mal volljährig, als "Songs Of Faith And Devotion" erschien.

Die teils ausladenden Arrangements von Daniele Luppi, dessen Faible für Spaghetti Western-Sound schon auf Alben von Danger Mouse und Mike Patton zu Tage trat, prägt gleich die instrumentale Eröffnung "La Ribera". Cineastisch verbinden sich düstere Streicher mit einer Slide-Gitarre, zu der Gahan auf der Mundharmonika das Lied vom Tod imaginiert.

Mit seinem Gesang im folgenden "In The Morning" bricht er die morbide Atmosphäre und beeindruckt sofort mit seiner Präsenz. Wenn nach immer voluminöserer Instrumentierung mitten im Song dann Streicher-Stakkati und Gitarrensoli aufeinander prallen und Gahan "I lost you naaaauuu" brüllt, schnürt es einem die Kehle zu.

Das gemächliche Tempo zieht auch im weiteren Verlauf nicht an, dafür wird es bisweilen äußerst cheesy: Die Single "Longest Day" wartet im Refrain mit weiblichem Backgroundgesang auf, der alte "Condemnation"-Tage wieder aufleben lässt. Im reduzierten "Presence Of God" erschrickt man dagegen beinahe angesichts der emotionalen Kraft von Gahans Vortrag, den man in dieser Form lange nicht gehört hat.

Die ersten Songskizzen erreichten ihn, als er ausgelaugt von der letzten Tournee und seiner Tumor-Erkrankung eigentlich neue Kraft tanken wollte. Stattdessen schrieb er Songs wie "Gone Too Far", in dem er zu zarter Akustikgitarre seinen ganz persönlichen "American Recordings"-Moment erlebt. Nicht nur anhand von Zeilen wie "Yes I've been praying / so what else am I supposed to do?" mutiert der Master of Melancholy unverhofft zum Aushilfs-Johnny Cash.

Seine Gabe für Southern Soul erstrahlt in Songs wie "Take Me Back Home" (mit tollen Mariachi-Bläsern) oder dem vergleichsweise leichten Gospel "Just Try", während an "I Can't Stay" eigentlich nur stört, dass die Anfangsakkorde verdammt nah an Berlins "Take My Breath Away" liegen. Es klingt wie infame Gotteslästerung, aber Gahans emotionale Intonation, sein Stimmumfang und vor allem sein Gefühl für Timing waren nie so ausgeprägt hörbar wie auf "The Light The Dead See".

Ob in der tragischen Schwere von "Bitterman" oder dem tröstenden Hoffnungsanker "Tonight" ("Oh you gotta jump into the water sometimes / No, it's never too late"); stets entdeckt man neue Facetten seines Organs. Mit diesem Album katapultiert sich Dave Gahan endgültig in die Riege der Großen seiner Zunft und zwar so, wie er es sich seit Jahren wünscht, nämlich ganz abseits von Depeche Mode.

Trackliste

  1. 1. La Ribera
  2. 2. In The Morning
  3. 3. Longest Day
  4. 4. Presence Of God
  5. 5. Just Try
  6. 6. Gone Too Far
  7. 7. Point Sur Pt.1
  8. 8. Take Me Back Home
  9. 9. Bitterman
  10. 10. I Can't Stay
  11. 11. Take
  12. 12. Tonight

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2 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Absolut unterbewertetes Meisterwerk, das ich mir erst jetzt gegönnt habe. Es hält dafür hoffentlich bis zum nächsten Depeche Mode-Album, dessen Trauben Martin Gore selbst sehr hoch gehangen hat, wenn es wie laut ihm eine Mischung aus Violator und Songs of faith... sein soll - ich bin gespannt. Bis dahin begleitet mich Gahans gepflegte organische Melancholie!

  • Vor 11 Jahren

    Soulsavers & Dave Gahan, tja wo hab ich doch gleich den Tip her? Aus dem Internet, aus DM-Foren? Mitnichten. In B5 Aktuell auf einer Fahrt nach Hause lief in 2012 die CD-Vorstellung, es wurden 2...3 Titel angespielt und ich war sofort geflasht. Die CD musste ich haben. Es dauerte dann noch mal geschlagene 5...6 Monate und ich habe die CD in UK bestellt. Es kam ein Luftpolsterumschlag und darin befand sich im schwarz/weiß gehaltenen Pappcover der Silberling, der völlig neue Seiten von Dave Gahan zu Ohren kommen ließ. Eine CD, die einfach fesselt, nicht mehr loslässt - ein Meisterwerk. Danke Soulsavers für die Arrangements, danke Dave für die vokale Interpretation, für die Songs.