laut.de-Kritik

Ein würdevoller Abgang.

Review von

Nach 28 Jahren Bandkarriere, sieben Longplayern und Touren um den gesamten Globus hauen Sum 41 in den Sack und lösen sich auf. Bevor der letzte Vorhang fällt, bedenken die quirligen Kanadier ihre Fans noch mit einem letzten Album, das es gleich in mehrerlei Hinsicht in sich hat. "Heaven :x: Hell" erscheint als mehr oder minder klassisches Doppelalbum, das die Band zum einen im Gewand ihrer Pop-Punkigen Anfangstage, zum anderen in der deutlich erwachsenen, Alternative Rock/Metal-Inkarnation der jüngeren Alben zeigt. Ob das gewagte Experiment zweier an sich eigenständiger Alben in einem zu veröffentlichen in diesem Falle aufgeht? Absolut!

"Waiting On A Twist Of Fate" benötigt nur wenige Sekundenbruchteile, um deutlich zu machen wohin die Reise mit der ersten Albumhälfte gehen wird. Alle (!), jawoll alle Trademarks des modernen, poppigen, Skate-, Cali-, Pop-Punk, oder wie auch immer man das Kindlein letztlich nennen mag, werden hier an eben den richtigen Stellen eingebaut. Extrem gefällige Singalong-Melodien, galoppierende, hier wirklich hoch versiert gespielte Drums, doppelstimmige Gesänge, Shouts, ein hymnenhafter Chorus, ein dezenter, ruhiger Teil, natürlich mit Piano und gerade genug Abwechslung in der Struktur, dass es zwei Durchläufe braucht, bis sich alles in die Gehörgänge gepappt hat. Frontturner Deryck Whibley passt seine seit jeher sehr angenehme Stimme allen (Un-)Ebenheiten an, jeder Schlag, jede Note sitzt perfekt.

Sehr klassische Spät-90er-Sonnenschein-Punksongs wie die Singleauskopplung "Landmines" oder das versonnen treibende "Time Won't Wait" wären auf keinem "American Pie"-Soundtrack negativ aufgefallen und bescheren sicherlich den meisten mittelalten Konsument*Innen eine angenehme Erinnerungs-Revue. Es wirkt beinahe surreal, dass es solche Stücke bis ins Hier und Jetzt geschafft haben, ohne dabei in irgendeiner Form albern oder abgetragen zu wirken. Immer kurz bevor es zu harmonisch werden kann, besinnen sich Sum 41 auf ihre frühen Wurzeln und lassen etwas kantigere Puppen tanzen. Während das ruppige "Johnny Libertine" einfach nur unkontrolliert um sich tritt, kommt das eher ernste, leicht an Bad Religion erinnernde "Future Primitive" mit seinem kratzigen Riff zwar kontrolliert, aber nicht weniger aggressiv rüber. Die leicht veränderte Stimmung sorgt trotz klassischem Melodie-für-die-Ewigkeit-Chorus für einen sehr angenehmen Kontrast und erstickt jeden Anflug von Langeweile im Keim.

Neben gut verzeihbar stumpfen Zuckerwürfeln wie "I Can't Wait" oder dem Teenie-Schmachtfetzen "Bad Mistake" sind es vor allem die perfekt durchdachten, ungewöhnlich innovativen Stücke, die "Heaven :x: Hell" so besonders machen. "Dopamine" ist authentischer Herzschmerz, Teenage Angst und längst verflogenes Blink 182 Pathos (im guten Sinne!). Fette Riffs, leicht abwesende Gitarrennoten im Hintergrund und eine geil melancholische Haltung bringen hier jung und alt zusammen.

Die quicklebendige Auf-und-Abhüpfhymne "Not Quite Myself" wäre früher in Dauerschleife in unseren zumeist vollgepappten, rostigen Scherbeln rauf und runter gelaufen und klebt auch jetzt wie drei Tage alter Rockfestival-Staub in den Ohren. Das abschließende "Radio Silence" könnte der ältere Cousin von "Stay Together For The Kids" und "Konstantine" sein. Eine bewusst emotional gestrickte Hymne, ganz knapp vor too much, aber andererseits eine prima Überleitung in den höllischen zweiten Teil des Albums.

Mit dem aufregend anschwellenden Intro "Preparasi A Salire" [sic], das spannenderweise irgendwo zwischen Queen und Kraftwerk zu Hause zu sein scheint, beginnt nun der Ernst des Lebens. Mit einem Schlag scheint alle Leichtigkeit gewichen, alle Albernheiten überwunden und alle unbeschwerten Pool-Partys zu Ende gefeiert zu sein. Wer sich mit den letzten beiden Alben "13 Voices" und "Order In Decline" befasst hat, wird bereits hier eine gewisse Abkehr vom reinen Spaß an der Freude bemerkt haben, die metallischen Anleihen dürfen schon länger als bekannt und etabliert vorausgesetzt werden.

Obwohl die poppigen Anteile weitestgehend gewichen sind, bleibt die fast schon lästige Catchiness auch im zweiten Teil bestehen. Das bewusst überladene "Rise Up" feuert aus allen Rohren und lässt sich am einfachsten im schnellen Alternative Metal einordnen. Tiefe Gitarren, nach wie vor mächtige Drumsounds, dezentere Chöre und geschickt eingesetzte Rhytmuswechsel heben sich hier vom ersten Teil ab. Gleich bleibt der Ohrwurmchorus und lässt auch hier nichts an Qualität vermissen. Songs wie das groovende "I Don't Need Anyone" oder "You Wanted War" erinnern nicht zuletzt wegen Whibleys Stimme nicht nur entfernt an Linkin Park. Allerdings deutlich weniger ausgelutscht und vor allem keineswegs anachronistisch. Trotz der eher finsteren Grundstimmung und den pessimistischen Lyrics, wirken auch diese Stücke überaus frisch und lebendig.

Neben Nu-Metal Annäherungen hält dankenswerterweise auch moderner Hardcore Einzug in Sum 41s finales Werk. Der steht den Herren nämlich zugegeben besonders gut und veredelt unter anderem den Midtempowalzer "Stranger In These Times", das derbe "It's All Me" vor allem aber das fies keifende "Over The Edge". Hier wird geplärrt, bis sich die Ganzkörpergänsehaut nur im heißen Vollbad beseitigen lässt. Düstere Synthesizertöne schaffen eine leicht bedrückte Atmosphäre, energetische Bass- und Drumkapriolen machen jedes Stillsitzen unmöglich, Groove- und Pianoparts sorgen für eine spannende Fahrt. Stilistisch irgendwo zwischen Comeback Kid und AFI, gepaart mit punkiger Attitüde und weitgreifendem Elan, den man sicherlich nicht von einer scheidenden Band erwarteten würde, formt sich hier ein Werk für die Ewigkeit.

Das progressive, ein wenig an Muse-Glanztage erinnernde "House Of Liars" zeigt die Kanadier noch einmal von einer experimentellen Seite, und auch die steht ihnen überraschend gut. Warum zum Teufel man zum gefühlt tausendsten Mal einen bis zur Geschmacklosigkeit ausgezuzelten Stones-Evergreen wie "Paint It Black" ausgraben muss, bleibt völlig unverständlich. Zurück ins Nichts, Wiedergänger! Der Part schließt mit dem wulstigen Finale "How The End Begins", das wieder etwas zu erwachsen gerät, aber auf der anderen Seite die Endgültigkeit des Abschlusses gut unterstreicht.

Alles in allem ein sehr würdiger, aufregender und angemessener Abschied einer einst auch für den Verfasser dieser Zeilen sehr wichtigen Band, die sich nie der Belanglosigkeit preisgegeben hat und sogar noch mit ihrem letzten Zucken mehr Relevanz verkörpert als viele der jüngeren Acts. Chapeau!

Trackliste

  1. 1. Waiting On A Twist Of Fate
  2. 2. Landmines
  3. 3. I Can't Wait
  4. 4. Time Won't Wait
  5. 5. Future Primitive
  6. 6. Dopamine
  7. 7. Not Quite Myself
  8. 8. Bad Mistake
  9. 9. Johnny Libertine
  10. 10. Radio Silence
  11. 11. Preparasi A Salire
  12. 12. Rise Up
  13. 13. Stranger In These Times
  14. 14. I Don't Need Anyone
  15. 15. Over The Edge
  16. 16. House Of Liars
  17. 17. You Wanted War
  18. 18. Paint It Black
  19. 19. It's All Me
  20. 20. How The End Begins

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4 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 7 Monaten

    „(Almost) All Filler…“ und dann 4 Punkte? Verstehe nur ich den Witz nicht?

    • Vor 7 Monaten

      Nö, ist schlichtweg falsch gesetzt. Das eigentliche Referenz-Album heißt ja auch "All Killer, No Filler".

    • Vor 7 Monaten

      Ja, richtig. Ich dachte, dass das Absicht ist. Aber dann passen die vergebenen Punkte halt nicht. Zumal der Verfasser ja scheinbar großer Fan ist/war, sollte er ja wissen, wie das zweite Sum41 Album korrekter Weise heißt.

  • Vor 7 Monaten

    Kann der Rezension nur anschließen, ist ein wirklich würdiger Abgang der Band, die von allen Beteiligten der Poppunk-Welle der frühen 00er-Jahre, sich am besten und interessantesten entwickelt hat.
    Ich hatte ja ein bisschen Angst vor der Heaven Seite, aber die ist super. Unterscheidet sich von vielen aktuellen Poppunk-Sachen vor allem durch die deutlich wuchtigere Produktion und macht richtig Spaß.
    Die Hell Seite war für mich ein Selbstläufer, schließlich waren Chuck, 13 Voices und Order in Decline bisher meine Lieblingsalben der Band und das hier steht dem in nichts nach.
    So kann man echt gut abtreten. Freu mich jetzt noch mehr auf denn (vermutlich) letzten Auftritt in Deutschland auf dem Ruhrpott Rodeo, hoffentlich kommen da auch mehr neuere Sachen als letzen Sommer.

  • Vor 7 Monaten

    Richtig starkes Album, 4/5 mal sowas von verdient.

  • Vor 7 Monaten

    Hätte mir im Heaven:teil eine etwas "rotzigere" Produktion gewünscht, ala "Does This Look Infected?", aber das ist meckern auf hohem Niveau... Großartige Platte! (einzig "Paint It Black" kackt rein).