Porträt

laut.de-Biographie

Suprême NTM

Für mehr als eine Dekade sind Suprême NTM die unmittelbarste Personifikation de Hardcore Rap in Frankreich. Didier Morville (alias Joey Starr) und Bruno Lopes (alias Kool Shen), beide Jahrgang 1968, wachsen im Pariser Vorort von Seine-Saint-Denis auf. Dort gehen sie gemeinsam zur Schule, bis sie sich 1983 nach dem gemeinsamen Besuch einer Breakdance-Show in der Tanzgruppe Actuel Force zusammenschließen.

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Von Beginn an Zöglinge der facettenreichen Hip Hop-Kultur, versuchen sich Morville und Lopes bald außerdem an Graffitis. Im Rahmen der Malaktivitäten rufen sie auch die NTM-Posse ins Leben. Die Writer-Crew wächst über Jahre immer weiter an. Erst die Bekanntschaft mit der Assassin-Posse bringt die beiden schließlich auf die MC-Spur.

Nach ersten gemeinsamen Auftritten und Compilation-Beiträgen unterzeichnen Suprême NTM 1990 beim Sony-Sublabel Epic. Im Rap finden sie ihr neues bevorzugtes Ausdrucksmittel zur Kanalisierung ihrer Unzufriedenheit mit den Verhältnissen im Banlieue. Die erste Maxisingle "Le Monde de Demain" ("Die Welt von Morgen") nimmt die Ausschreitungen und Studentenproteste in den sozial prekären Vierteln vor der Hauptstadt einige Monate später bereits voraus.

Suprême NTM verkaufen damit mehr als 50.000 Exemplare. Bestärkt durch den Erfolg und erste ausverkaufte Tourneen beschließen Joey Starr und Kool Shen, ihre Stimme des Protests auch auf CD festzuhalten - "Authentik" erscheint 1991. "Wir haben von Anfang an allen etwas Angst gemacht. Dann haben uns die Radiostationen boykottiert, schon wegen unseres Namens", blickt das Duo zurück. Das "NTM" im Pseudonym steht nämlich für das wenig liebreizende französische Äquivalent zum englischen "Motherfucker".

"Was wir in erste Linie zum Ausdruck bringen wollen, sind die Probleme in den Vororten. Später wollten wir auch die soziale Schicht beschreiben, aus der wir stammen, die sich zwischen der Mittelschicht und ganz unten befindet. Wir nennen uns 'Hardcore', weil wir sehr realistische Aussagen haben." Insbesondere das zweite Release "1993… J'Appuie Sur La Gâchette" sorgt dementsprechend für medialen und juristischen Wirbel.

In Replik auf den gesellschaftlich verbreiteten Rassismus - eine Studie von 1991 spiegelt die Meinung von 71 Prozent der Bevölkerung, es lebten zu viele Araber in Frankreich - pressen Suprême NTM den Track "Police" auf Vinyl, der Repressionen seitens der Polizei anprangert. Die Exekutive kann zu jener Zeit mit der rebellischen Sprache des Hardcore Rap wenig anfangen. Man zeigt sich entsetzt, ruft nach Zensur und zerrt den Act vor Gericht, wo NTM jedoch einen Sieg der Kunstfreiheit verbuchen können. Nichtsdestotrotz boykottieren zahlreiche Radiosender den Track.

Auch auf späteren Veröffentlichungen beschäftigen sich Suprême NTM vor allem mit sozialer Ungleichheit in der französischen Gesellschaft. Der Rechtsnationalismus des Politikers Jean-Marie Le Pen wird zur naheliegenden Zielscheibe ihrer frustgeschuldeten Lyrics. "Der Unterschied zwischen unseren Texten und denen der Amerikaner ist genau der Unterschied, der in der sozialen Situation zwischen den Amerikanern und uns besteht", umschreiben Starr und Shen. "Dort gibt es die Ghettos und die ganzen Probleme der Schwarzen in den USA. Der Rassismus in Frankreich ist eher sozialer Natur und hat weniger mit der Hautfarbe zu tun."

1996 rufen sie erneut die Behörden auf den Plan, als sie bei einem Konzert in Opposition zu einer Parteifeier der Front National zum gewalttätigen Widerstand gegen die Polizei aufrufen. Diesmal geht man als Verlierer aus der Gerichtsverhandlung hervor - eine saftige Geldstrafe ist das Urteil. In den Medien folgt eine umfangreiche Debatte: Kann eine Band für gewaltbereite Äußerungen verurteilt werden, die von einer großen Mehrheit in den Vororten als wahrheitsgemäß gelesen werden?

Joey Starr gerät auch in den folgenden Jahren abseits der Rapkarriere in Konflikt mit dem Gesetz: Wegen Übergriffen auf eine Flugbegleiterin bzw. seine Freundin landet er wiederholt hinter Gittern. 2009 demoliert er unter mutmaßlichem Drogeneinfluss ein Auto mit einer Axt und bedroht die drei Insassen. Dafür verbringt er weitere sechs Monate im Gefängnis.

Diese Vorfälle sind seinem Image wenig zuträglich. Auch Joey Starrs 2002er Solo-Unterfangen via Single nach der Auflösung der Gruppe 1998 fällt bei den Kritikern als verwässerte, energiearme Version früherer Suprême NTM-Stücke durch. Damit schließt sich die Dekade der Band als Pioniere des Rap francais weitestgehend. Die beiden Köpfe widmen sich eigenen Streetwear-Modelinien sowie gelegentlichen Soloplatten. In den 2000ern erscheinen diverse Best of-Compilations, 2008 folgt ein umgehend ausverkauftes Reunion-Konzert, das ebenfalls im Albumformat eingefangen wird.

Ihr politischer Einfluss bleibt somit ungebrochen. Ein Stück, das sich mit "Worauf warten wir ... um alles in Brand zu setzen" paraphrasieren lässt, wird in den Augen einiger Politiker 2005 gar zu einer der Hymnen der gewalttätigen Unruhen in den Banlieues.

Später positionieren sich Suprême NTM in den Texten allerdings dezidiert gegen Gewalt. Auch musikalisch hinterlassen Morville und Lopes, die auf späteren Alben auch Reggae, Dancehall und Funk inkorporieren, große Fußabdrücke: In ihrer Hochphase kollaborieren sie unter anderem mit Nas.

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