laut.de-Kritik

Crossover zwischen Absturz und Besinnung.

Review von

Der eigentlich im deutschsprachigen Hip Hop beheimatete Hamburger Swiss wendet sich Anfang des vergangenen Jahrzehnts vom reinen Beat- und Sprechgesangbusiness ab und zieht seither mit seiner Begleitband Die Andern und einem eher eigenwilligen Hybriden aus Punk und Rap durch die Lande. Die heitere Mische unter Einsatz von vorwiegend analogen Instrumenten und Beibehaltung seines Gesangsstils stößt allerorts auf offene Ohren und beschert ihm Achtungs- und Charterfolge.

Nach einigen Soundexperimenten und der kurzzeitigen Rückkehr ins Stammgenre legt er mit Die Andern nun Album Nummer sechs vor und setzt seinen Kampf gegen Langeweile und bürgerliche Konventionen fort. Inhaltlich beschränkt man sich weitestgehend auf Party, Abriss, Identifikation mit der Unterschicht und die gelebte Freude daran, anders zu sein.

Der Titeltrack walzt mit fies gegrunzten Shouts und fetten Gitarren los, während Swiss lasziv und provokant vom Leben am unteren Limit kündet. Schleppende Stonerriffs mit geil waberndem Bass, die gleichermaßen cool und bedrohlich nach vorne gehen und ein dezenter aber auf seine Weise hymnischer und mitreißender Chorus - da gerät man schnell in Wallung.

Deutlich besser gelaunt tanzt "So Bereuen" heran und erheitert mit Jackson-Gedächtnis-Hee-Hees, Polizeisirenen und catchy Hooks. Ein gut gelaunter Indierocker für die Kiezdisse, der, obwohl es sich textlich um ein klassisches Sauflied handelt, rhetorisch gar nicht mal schlecht da steht. Spätestens bei den doppelstimmigen Döp-Döp-Gesängen, weiß man eigentlich, woran man bei "Erstmal Zu Penny" ist.

"Ich Hasse Es" ist ein akustischer Mittelfinger in Richtung Spießertum. Leicht grooviger Grungesound, insgesamt recht unaufgeregt, da hätte ein bisschen mehr Schwung gut getan, und ob das Kirk-Hammett-Wah Wah-Solo nötig war? Textliche allerdings geil und für beinahe jeden absolut nachvollziehbar.

Die Berliner Hip Hopper SDP gastieren auf "Rausschmeisser Song", einem selbstironischer Pop-Punker, wie ihn einige der Seitenscheitelträger der früher 00er-Jahre nicht besser hätten machen können. "Das ist der Song, wenn das Licht angeht, wenn der DJ will, dass du nach Hause gehst", ja, schon ein wenig albern, aber ganz ehrlich? Macht Spaß und kommt sympathisch rüber. Handclaps, Ärzte-Zitate, Grooves und eimerweise zuckersüße Melodien, das passt schon alles super zusammen.

"Hier Im Dreck" ist mehr Hip Hop als Punk, was nicht zuletzt am Feature von Rapper Crystal F liegt. Breite Akkorde untermauern das dargestellte Aufbäumen der Unterschicht, ebenso die fast schon hämisch anmutenden, verstohlenen Melodiebögen. Im Hintergrund wüten abwechselnd tiefe Gitarren oder bittersüße Klimpereien. "Hörst du, was ich sage, wenn der Vorhang einmal fällt, trägt der Kopf vom Scharlatan die Krone dieser Welt." Sehr philosophisch, trifft sicherlich die richtigen Stellen. Verdammt bitter wird hier das Leben im Block geschildert, "wo die Wahrheit wie Kokain gestreckt wird, und die Made im Speck lebt". Das ist deep, Diggi.

Je später der Abend, desto schöner die Gäste? Naja, jein. Reimemonster Ferris gibt sich bei "Gekündigt" die Ehre und glänzt dabei in allen Belangen. Ausladende Rockriffs und ein wenig Synthiegeschwurbel im Hintergrund, ein fetter (ok, ok, zugegeben auch super catchy) Lalala-Refrain und die klare, in einschlägigen Kreisen gerne kolportierte Message, dass Arbeit einfach scheiße ist.

Kein Auge bleibt trocken, wenn der Herr Reimann sich als selbsternanntes, schwarzes Schaf in Stimmung knarzt. Großartig! Bevor die negativen Schwingungen überwiegen können, kommt munterer Wind in Form von bewusst kitschigen Reggaetönen mit "Millionär" ums Eck. Träumerisch und unbeschwert erklärt Swiss, dass Geld nicht glücklich macht, und es scheint, als persifliere er musikalisch die hiesige Poplandschaft, verwendet aber dabei durchaus smarte Formulierungen. Der von Orgeln und Gitarrenbrettern etwas überladene Chorus mündet in eine feine, beschwingte Bridge. Nice.

Sammy Amara und seine Broilers bringen mit "Nicht Für Ein Land" fetten, breitbeinigen Punkrock als Gastgeschenk mit, angereichert mit ein wenig 50s-Style-Melodien und Danzig-Gedächtnisgesang kommt da musikalisch Feines zusammen. Druck ist da, der Refrain lädt direkt zum Schunkeln ein, die schlageresken Lyrics stören dabei absolut nicht.

Plärrt da etwa Eric Melvin im Hintergrund? Nach einem ganz witzigen "Skit" überrascht das schwere "Nicht Vonna Partei Jenehmigt" mit Berliner Akzent und erzählt von Stasi-Methoden. Crossover-Groove, scheint ein bisschen aus der Zeit gefallen. Ein paar Metaltakte machen die Stimmung ordentlich finster.

Mit "Yüah" geht dann endlich die Party weiter. Die Corona-Nachlese stellt die steile These auf, dass Punk beinahe ausgestorben wäre, weil man in der Pandemiezeit mitunter dazu gezwungen wurde, sich anzupassen. Schöne Chöre, Punk-Crossover, ein paar wirklich coole und aufrüttelnde Gitarrenparts und ein mitreißender Hauptteil. Das Gefühl der Befreiung wird immer spürbarer.

Als vorletzter Gast erscheint Prinz Sebastian Krumbiegel auf dem Plan, und siehe da: Er kann auch unsauber singen. "Timm Thaler" ist ein neoklassisches Punkstückchen und beschäftigt sich mit Ausverkauf im Popbiz. Neben Krumbiegels glasklarer A cappella-Stimme und vielschichtigen Chören im Hintergrund versucht er sich auch an einer aggressiveren Gangart. Ein klein wenig hölzern wirkt es, aber insgesamt passt die Nummer.

"An Der Kneipe Raus", eine Ode ans Assitum, spielt mit funkigen Discoklängen und geht direkt in Mark und Bein. Ein ironisches AOR-Rocklick, unterlegt mit stampfendem Beat, und alles mündet nach und nach wieder in groovigen Rocksong. An sich nicht neu, aber qualitativ keinen Meter schlechter als die Vorgänger.

Ina Bredehorn alias Deine Cousine verfeinert das quirlige "Dirty Dörte" mit angerauter Stimme und schließt damit die wahrlich illustre Gästeliste. Musikalisch bewegen sich Swiss Und Die Andern wie immer in der Schnittmenge zwischen Rap und Rock, legen hier aber mit 80s-Pop und Stadionrock weitere Einflüsse obendrauf.

Nach der Party kommt der Ernst des Lebens. In der ungewohnt ernsten Realitätsfluchtshymne "Jamaica", in der politische und gesellschaftliche Probleme mit dem Genuss von rauchbaren Rauschmitteln erträglicher gemacht werden, hält man sich weiterhin strikt an den roten Faden des Albums. Der Chorus als letztes Brett des Albums untermalt die bittere Stimmung.

Der aus der Schweiz stammende Hauptprotagonist schließt mit einer sehr persönlichen Indierock-Ballade über seine verstorbene Großmutter und die Liebe zur Heimat. "Urlaub Bei Omi" passt an sich überhaupt nicht ins Bild, gefällt aber trotzdem, und man bleibt sogar leicht gerührt zurück.

"Erstmal zu Penny" ist ein überaus abwechslungsreiches, vorwiegend heiteres Album. Neben der großartigen Produktion stechen aber vor allem die smarten, rhetorisch anspruchsvollen Inhalte heraus, die man bei dem Gros der deutschsprachigen Künstler in letzter Zeit häufiger vermisst. Danke dafür, Swiss.

Trackliste

  1. 1. Erstmal Zu Penny
  2. 2. So Bereuen
  3. 3. Ich Hasse Es
  4. 4. Rausschmeisser Song
  5. 5. Hier Im Dreck
  6. 6. Gekündigt
  7. 7. Millionär
  8. 8. Nicht Für Ein Land
  9. 9. Skit
  10. 10. Nicht Vonna Partei Jenehmigt
  11. 11. Yüah
  12. 12. Timm Thaler
  13. 13. An Der Kneipe Raus
  14. 14. Dirty Dörte
  15. 15. Jamaica
  16. 16. Urlaub Bei Omi

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