laut.de-Kritik

Sich treu zu bleiben, zahlt sich aus (bis zum Erbrechen).

Review von

"Ich bin kein Gangster, kein Ficker, kein Opfer, kein Pimp, kein versauter Typ." Niemals, so betont Taichi, werde er vom eigenen Pfad abweichen, sich verkaufen, verbiegen oder sich, wie viel zu viele andere, ein lächerliches Verbrecher-Image zulegen. Eine weise Entscheidung: Ein Rapper dieses Talents hat derlei Maskeraden ohnehin nicht nötig. Taichi reitet treffsicher ausgewählte Beats, knallt blitzsaubere Doubletimes auf den Tisch, als ob es gar nichts wäre, und flowt alles in allem schlicht wie Sau.

Die großartige Kollabo mit MOK demonstriert: Sich treu zu bleiben, zahlt sich aus. Über einer gar mächtigen Djorkaeff-Produktion stellen die beiden Herren "Zwei Welten", die des Ghetto-Hustlers und des behüteten Sorgenkinds, gleichberechtigt nebeneinander und führen so sämtliche überflüssigen Realness-Debatten superclever ad absurdum.

Im Gegensatz zum Vorgänger-Album trägt "Aussenseiter" seinen Titel mit Recht. Eine Top-Story vermisse ich leider immer noch. Anstatt den Hauch einer Geschichte zu erzählen, beschränkt sich Taichi auf penibelstes Sezieren seiner Situation. Den steinigen Weg des Einzelkämpfers werde ich so oft entlang geführt, dass sich mir die Lage jedes einzelnen Kiesels einprägt. Dieser Weg ist das Ziel, daran lässt gleich das atemberaubend sicher vorgetragene "Intro" zu stimmungsvollem Piano keinerlei Zweifel aufkommen.

Leider ist damit inhaltlich schon fast alles gesagt. Die "Ich gegen den Rest der Welt"-Attitüde, das dauernde Betonen der Andersartig- und Eigenständigkeit, die permanente Selbstreflektion werfen in mir die Frage auf, ob ich vielleicht versehentlich in eine Wiederholungsschleife der Teletubbies geraten bin. Ganz schwer von Begriff bin ich schließlich nicht, und irgendwann sollte es auch der Letzte kapiert haben: "Das hier ist alles meine Geschichte / Das ist mein Leben / Das sind keine Gedichte."

Diese Geschichte des "Aussenseiter"s, der "Anders Als Ihr" ist, seine "Realität", sein "Lebenswerk", all das wird zwar bis zum Erbrechen herunter gebetet. Die Tatsache, dass er weiß, wovon er spricht (über sich, nämlich), verleiht Taichi auf der anderen Seite aber ungeheuere Authentizität. Ohne Frage: In seinen Zeilen liegen echte Frustration, echte Hilflosigkeit, daraus resultierend echter Zorn und echter Trotz.

Oder echter Herzschmerz, echte Enttäuschung und noch mehr Hilflosigkeit, wenn das "Mädchen Nr. 1" ins Spiel kommt. Sieh da: Männer können seine Gefühle doch zeigen. Zu einem kraftvollen Piano, beigesteuert von Arves, veredelt Taichi mit gehetzter, tieftrauriger Verzweiflung einen tausendfach gehörten Plot: Junge trifft Mädchen, und es geht schief. Die Fortsetzung von "Ich Denk An Dich" und ein mit Blut und Tränen geschriebener "Brief", der nie abgeschickt werden soll, legen noch eine Extraportion Ratlosigkeit, Sehnsucht und Reue obenauf: Angesichts dessen darf Curse so langsam anfangen, sich um seinen Ruf als König der Ex-Freundin-Rapper Sorgen zu machen.

An den Reglern verschafft mir besonders Decay mit zwei Beiträgen wahren Hochgenuss: Begeistert mich schon die fette Grundlage der "Realität", setzt die Kombination von Streicher- und Flötentönen und einem satten, warmen Beat in "Gestern Vergessen" dem noch eine Krone auf. Traurig, aber nicht trübsinnig, melancholisch, aber nicht schwermütig: tolle Produktion.

Zur Wahl der Featurepartner kann man ohnehin nur gratulieren. Mit Ausnahme von Vanessa S., deren seelenlose Plastikstimme mir sowohl die Hook aus "Keine Wahl" als auch den Genuss von "Ich Denk An Dich Pt. II" erschwert, machen die Kollegen ihre Sache durchwegs ordentlich. Casper erreicht zwar nicht Taichis Flüssigkeit, sorgt aber mit kaum zu bändigendem Feuer in "Erkenntnis" für ein echtes Wow-Erlebnis. Wieder einmal lässt Bahar einen "Augenblick" erstrahlen, und Yaris verleiht ebenda dem alten Adler von Alan Parsons Project noch einmal Flügel: Großes Sample-Kino, Hut ab!

Sollte demnächst die gute Hip Hop-Fee vorbeikommen und mir drei Wünsche ausgeben: Ich denke, einer davon wäre in eine Portion Storytelling für Taichi überaus lukrativ investiert.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Anders Als Ihr
  3. 3. Keine Wahl
  4. 4. Wein Oder Wasser
  5. 5. Realität
  6. 6. Leben In Der Stadt
  7. 7. Gestern Vergessen
  8. 8. Aussenseiter
  9. 9. Lebenswerk (Remix)
  10. 10. Erkenntnis
  11. 11. Mädchen Nr. 1
  12. 12. Ich Denk An Dich (Part II)
  13. 13. Brief
  14. 14. Augenblick
  15. 15. Kämpferherz
  16. 16. Schliess Die Augen
  17. 17. Meilenstein (Outro)
  18. 18. Zwei Welten
  19. 19. Anders Als Ihr

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10 Kommentare, davon 9 auf Unterseiten

  • Vor 17 Jahren

    Taichi, der von Krasscore Records, oder wurde er da wieder gedroppt, naja zum Ablum gibts nicht viel zu sagen, okay, aber bei weitem nichts besonderes, nichts neues und sein Flow verändert sich auch nicht.