laut.de-Kritik

Höhen und Tiefen, K.I.Z. oder Giesinger.

Review von

[Die vorliegende Rezension wurde von zwei verschiedenen Autoren verfasst: Der eine heißt Kay, ist irgendwas mit -zwanzig Jahre alt und weinte zu Drake, nachdem die Homies ihn für seine Yeezy-Sneaker auslachten. Hat sich dann nach dem Abi nach Berlin abgeseilt und KuWi oder Soziologie studiert. Techno ist für ihn etwas Spirituelles, seine Tattoos sind seine Geschichte. Schaut gerne Filme von Wes Anderson, hört die neueren Alben von Tame Impala lieber als die alten und kann sich Frauen gegenüber seelisch so richtig öffnen, bevorzugt ungefragt nachts um halb drei an der Bar, wenn die eigentlich gerade ein anderes Gespräch führen.

Der andere heißt Kay, ist irgendwas mit -zwanzig Jahre alt und wohnt in einer Bruchbude irgendwo bei Oberhausen. Hat zehn Semester Philosophiestudium damit verbracht, seine Kommilitonen für Vollidioten zu halten. Techno ist für ihn keine Musik. Schreibt seiner Ex einmal im Monat viertausend Zeichen Text auf Whatsapp, die er dann nicht abschickt. Findet Filme irrelevant, hört eigentlich ausschließlich Prezident, an sonnigen Tagen auch mal Retrogott, hat deswegen nicht besonders viele Freunde und im Folgenden zuerst das Wort.]

- Unter den Softboys of Deutschrap ist die große Feinsinnigkeit ausgebrochen. Yassin hat mit Samthandschuhen vorgelegt, Kraftklub-Felix' Kümmernis ihm reichlich Airplay beschert, die Antilopen spielen kein Releasekonzert mehr, sondern halten ein Symposium ab. Die Sneaker scheinen allerorten mächtig zu drücken. Der jüngste Zugang der Kummerkastengang ist Tarek von K.I.Z. und macht jetzt solo was mit Gefühlen und Autotune. Auf der ersten Single "Kaputt Wie Ich" gibt er auf einem Emo-Trapbeat von der Stange den deutschen The Weeknd. Lasst das hier erst einmal sacken:

"Sie wollte eine Familie und ich die Weltherrschaft
Den einsamen Menschen gehört die Nacht
Neben mir: das Mädchen ohne Namen
Ihr Körper von Mercedes, die Seele von Versace
Das Mondlicht fällt auf ihre Narben
Sie will es nicht erzählen, also werd' ich sie nicht fragen
"

Ich meine: Uff. Das Klischeesparschwein hat sich an den Münzen überfressen, die Tarek für diesen Track einzahlen musste, und liegt jetzt komatös in der Ecke. Mondlicht, Narben, Mercedes, Versace, Autotune, selbstmitleidige Gefühligkeit: So geht Berlin im Jahr 2020. Muss mächtig anstrengend sein, das ganze Party machen und mit Frauen, besser gesagt mit Mädchen, Sex haben. Dazu dieser komplett luschige Beat, einmal seichte Gitarre mit austauschbaren Effekten drauf, bitte. Emo-Trap, wie er in den USA vor vier Jahren mal frisch klang. Das ist die Selbstbespiegelung eines Typen, der mit seiner Musik bei den Kritikern und an den Kassen alles abgerissen hat, was es abzureißen gibt, jetzt nichts Interessantes mehr zu erzählen hat und deswegen jammert, jammert, jammert.

Die Midlife Crisis muss bei Tarek voll reinhauen, anders kann ich mir Zeilen wie "durch die Pille mit dem Totenkopf fühlt der One Night Stand sich an wie unsere Hochzeitsnacht" nicht erklären. Wird sich bestimmt nicht schlecht verkaufen. Ein Drake hat auf seinem Selbstmitleid eine Weltkarriere aufgebaut. Aber ehrlich, ich kann diese "Gefühlvoller Banger mit gebrochenem Herzen"-Scheiße einfach nicht mehr hören. "Ticket Hier Raus", im Prinzip der selbe Song, nur ohne Mädchen: Tarek gehts gar nicht mal so gut. Schade eigentlich. "Über uns thront die verwesende Stadt / zerkratzte Fenster zeigen ewige Nacht", und man fragt sich, wann ist die Stimme von Julia Engelmann so tief nach unten gerutscht? "Wir ignorieren die Frau mit ihrem Kinderwagen / sie ist so hässlich niemand hilft ihr ihn zu tragen", plakativer kann man wirklich nicht mit dem Zeigefinger gegen soziale Kälte anwedeln.

- Du sagst es: "Kaputt Wie Ich" ist The Weeknd auf Deutsch. Klar, melodramatisch bis zum Abwinken, aber genau deswegen geil, genau deswegen ist "Golem" ein gutes Album: Es geht in die Vollen. Es ist hat keine Angst davor, sich vielleicht lächerlich zu machen, weil es ehrlich ist, und das hört man. "Kaputt Wie Ich" oder "Weißer Drache" beschreiben einen drogengeschwängerten, depressiven Zeitgeist, weder feiert Tarek ihn blind ab, noch tut er so, als sei er darüber erhaben. Klingt beschissen, wenn man sagt, das klingt erwachsener als früher, aber so klingt das Album eben, trotz Autotune und alledem.

Früher hätte sich Tarek wahrscheinlich schlicht und einfach nicht getraut, einen Track wie "Letzte Chance" zu machen, anders gesagt: Er ist einen weiten Weg gegangen von "Hahnenkampf" und "irgendwann schlag ich das Luder tot / die Nutte hat 'ne Meise" bis zu einem Track, der sich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzt. Das muss man honorieren, darüber hinaus ist der Track einfach verdammt schonungslos, intelligent, intensiv. "Darf man seine eigene Mutter hassen / weil sie zu schwach ist, um ihn zu verlassen", allein das hat mehr Inhalt als die allermeisten ganzen Alben, die in Deutschland so charten. Wenn er im zweiten Part dann in die Ich-Perspektive wechselt und man nicht weiß, ob er die Rolle des Täters aus dem ersten Part einnimmt, oder von sich selbst spricht, schnürt es einem das Herz zu. Das ist groß, das beklemmt und berührt.

Es ist also Unsinn, zu behaupten, dass Tarek nichts Neues zu erzählen hat, zum Einen. Zum Anderen gibt es außerdem die klassischen Representer wie etwa "Wenn Du Stirbst", die mit ihrem modernem Soundbild neuen Reiz gewinnen. "Der Kassierer fragt mich: 'Was planst du, Tarek?' / denn auf dem Warenband liegen Kabelbinder und Plastikplane": Der Kannibale in Zivil ist immer noch der Alte und schwingt das Hackebeil, wenn ihm danach ist. Das puncht immer noch genauso wie anno 2007, auf einem melancholischen Trapbeat, der den Battletext kontrastiert, sogar umso härter. "Bang Bang" fällt in die selbe Kategorie. Wo sich das für dich nach Gejammer anhört und nicht nach einem bestens aufgelegten Tarek im Battlemodus, ist mir schleierhaft.

- Das könnte daran liegen, dass ich bei diesem Afrotrap-Murks immer an einen Haufen Dreizehnjährige denken muss, die im Park um ihre JBL-Box herumhopsen, und dann muss ich eben lachen und kann nicht mehr auf den Text hören.

- Ist ja dein Problem. Und es gibt durchaus Stellen auf "Golem", wo man musikalisch etwas versucht, "Nach Wie Vor der Boss" zum Beispiel …

- … "im Himmel traf ich Gott / sie meinte, dass sie einen Job für mich hat": Verstehst? Feminismus und so. Deswegen heißt es in "Bang Bang" auch "ich f--- deine Großmutter" und nicht grammatikalisch korrekt "ich ficke deine Großmutter". Wen genau Tarek auf diesem Track an einem Apfelbaum erhängt, erfahren wir ebenfalls leider nicht, weil Tarek oder das Label oder Gott den Namen gepiepzensiert hat.

- Das könnte auch eventuell eine Anspielung auf einen alten K.I.Z.-Running Gag sein. Oder Gott hatte spontan Bock drauf. Vielleicht war dieser geniale Gospelchor auf "Nach Wie Vor der Boss" auch eigentlich ihre Idee. Ehrlich, zu diesem Song möchte ich mir dereinst den Sarg zuklopfen lassen. Eine selbstbewusste wie -ironische Kampfansage, mit Chor und Marschtrommel überraschend arrangiert, die mit ihrer Absage an Gangsta-Rap-Materialismen Tareks Bossigkeit umso deutlicher unterstreicht: "Es ist nicht der Wagen, sondern wer ihn fährt."

- Wo du von Überraschungen redest: Ich war ehrlich überrascht, dass es Leute gibt, die im Jahr 2020 einen Song "Liebe" nennen. Da hat er aber echt tief in die thematische Trickkiste gegriffen.

- Ja, und? Das Phänomen ist eben immer noch aktuell, leider, zum Glück.

- "Was du verwechselst mit einem kalten Herz / war meine Angst vorm Abschiedsschmerz." Schmerzen, da sagt er was. Das ist doch nicht mehr normal. Irgendwo in einer achten Klasse schreibt jemand gerade origineller über das Thema.

- Das Thema ist cheesy as fuck, der Song ebenso. Aber es ist auch Tareks eigener Käse. Und vielleicht hat er den Text ja tatsächlich seit der Achten rumliegen und jetzt den Mut, ihn zu bringen. Das ist schön. Außerdem kommt direkt danach doch "K.I.Z. Für Immer", das ist …

- … eine K.I.Z.-B-Seite, und keine von den guten. Hat auf dem Album schon vom Konzept her nichts verloren und auch für sich allein keinen Mehrwert.

- Was ist eine B-Seite? Egal, so einen Song für die Fans, besser gesagt für die Crew, kann er ja wohl machen. Muss man nicht feiern, kann man aber auch nicht haten.

- Weißt du, was man dafür sehr gut haten kann, haten muss? "Freak". Nee, du, da nimmt er uns jetzt aber wirklich auf den Arm. Kid Rock-Akustikgitarre plus Autotune, an dieser Stelle kann ich den Satz auch beenden. Das will niemand hören.

- Ist ja gut. Aber wie schwer fällt denn so ein Ausrutscher ins Gewicht, wenn das Album mit einer Perle wie "Frühlingstag" abschließt? Hier hast du doch deinen Boom-Bap-Beat, du blöder Spießer. Es ist ein Brief an den verstorbenen Vater, "egal was ich schreibe, es genügt mir nicht / jedes Mal wenn ich den Text anfange verschwimmt die Sicht", und er hat ihn doch geschrieben. Hier zeigen sich Stärken und Schwächen von "Golem" noch einmal exemplarisch: Klar drückt das hie und da auf die Tränendrüse, und klar kann man sich dem trotzdem nicht entziehen, weil es alles unmittelbar klingt …

- Falls du verzweifelt nach Synonymen für "ehrlich" suchst, "unmittelbar" ist keins.

-… unmittelbar im Sinne von unverschlüsselt. "Golem" klingt so, als hätte Tarek schlicht keinen Bock darauf gehabt, komplizierte lyrische und musikalische Pirouetten zu drehen, wo es doch um einfache Themen wie Liebe und Tod geht. Die Tracks wirken umso stärker, eben weil sie das Klischee nicht scheuen, auf Anhieb verständlich sind und emotionale Gedankengänge beschreiben, die jeder nachvollziehen kann. Du wirst dich auch schlicht damit abfinden müssen, dass er hier ein Popalbum gemacht hat, das klingt, als habe er nie etwas anderes vorgehabt.

- … "zwischen Ewigkeit und Ewigkeit." Die Grapefruit hat angerufen und möchte Tantiemen. Also, ich bin hier echt raus. "Golem" ist, Hand aufs Herz und ohne Übertreibung jetzt, näher an Max Giesinger als an K.I.Z.

- Der musste jetzt echt nicht sein.

- Könntest mich noch fragen, ob ich das überhaupt besser kann.

- Wieso, ich kenne ja die Antwort.

- Schön.

- Fein.

- Wir haben aber einen Song vergessen: "Nubischer Prinz".

- Das hat seine Mantel-des-Schweigens-mäßigen Gründe.

- Damit kann ich gut leben.

- Peace.

- Mahlzeit.

Trackliste

  1. 1. Ticket Hier Raus
  2. 2. Bang Bang
  3. 3. Nach Wie Vor der Boss
  4. 4. Kaputt Wie Ich
  5. 5. Letzte Chance
  6. 6. Wenn Du Stirbst
  7. 7. Liebe
  8. 8. K.I.Z. Für Immer
  9. 9. Nubischer Prinz
  10. 10. Weißer Drache
  11. 11. Freak
  12. 12. Frühlingstag

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