laut.de-Kritik

Zwischen Tirilieren und Triumphieren.

Review von

Tarja Turunen steigt in den Ring und nimmt den Kampf um den Gürtel des Symphonic Metal-Champions an. Passend dazu trägt die neue Platte den Titel "In The Raw". Die Assoziationen zu Nightwish, Epica und Within Temptation laufen zunächst ins Leere.

Kommt die schmissige Single "Dead Promises" in der digitalen Variante ohne Kollaboration aus, strapaziert auf der Album-Variante Björn "Speed" Strid seine Stimmbänder. Die Hooks seines Seitenprojektes The Night Flight Orchestra mixt er mit den Screams von Soilwork, was im Duett mit Tarjas Sopran eine extravagante Note ergibt. Die Härte des Songs begeistert und weckt auf Albumlänge Begehrlichkeiten.

Wenn Tarja auf "In The Raw" etwas beherzigt, dann das Spiel mit Erwartungen. Schon die drei darauffolgenden Songs passen mit ihren Refrains durchaus in die konventionelle Rock-Playliste. Die Ausrufezeichen setzt die Sängerin hier behutsamer.

In "Goodbey Stranger" umgarnt Christina Scabbia von Lacuna Coil in eng umschlungener Weise Tarjas Organ. "Tears In Rain" kloppt im Mittelteil thrashig auf die Pauke, während "Railroads" mit einem bemerkenswerten Fanvideo aufwartet.

Danach zieht die impressionistische Nacht auf am Firmament. Die Ballade "You And I", das filmmusikalisch-klassizistische The "Golden Chamber" mit finnischen Lyrics sowie das abgründig doomig-grungige "Spirits Of The Sea" zählen nicht zu den leicht verdaulichen Momenten der Historie. Momente zum Luftholen oder zum Skippen, das entscheidet jeder Fan für sich.

Das Highlight hört auf den Namen "Silent Masquerade", das sich textlich mit dem menschlichen Makel zwischen Schein und Sein beschäftigt. Die Zweitstimme übernimmt hier Kamelot- und Ayreon-Sänger Tommy Karevik. Eingerahmt von einem Spoken Word-Intro zieht die 42-jährige Finnen sämtliche Register von hart bis zart und fährt klassische Koloraturen, emphatische Vokalisen und Rock-Pathos auf. Ein Hauch von Avantasia meets Phantom Of The Opera umweht diese Nummer.

Die Textzeile "All that glitters, is not gold" steht hingegen symptomatisch für das Album, das mit dem pompösen "Shadow Play" arg aufgeplustert endet. Selten gelingt die Symbiose aus Klassik und Metal innerhalb eines Titels. Die Songs stehen beziehungslos nebeneinander, allerdings auf qualitativ hohem Niveau.

Im Stile einer femme fatale umgarnt Tarja den Hörer. Bisweilen bekommt dieser den Zucker, den er möchte. Meistens setzt sie ihren Willen durch nach der Devise 'Friss oder stirb'. Ein mutiges Album nach zuletzt schwachen Veröffentlichungen auf dem Tarja beharrlich auf dem schmalen Grat zwischen Tirilieren und Triumphieren wandelt. Musical-Chanteuse oder Opern-Diva? Die Wahrheit liegt wohl dazwischen.

Trackliste

  1. 1. Dead Promises
  2. 2. Goodbye Stranger
  3. 3. Tears In Rain
  4. 4. Railroads
  5. 5. You And I
  6. 6. The Golden Chamber: Awaken / Loputon yö / Alchemy
  7. 7. Spirits Of The Sea
  8. 8. Silent Masquerade
  9. 9. Serene
  10. 10. Shadow Play

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