laut.de-Kritik

Das langweilige Taylor Swift-Album deiner Träume!

Review von

Die Cottagecore-Kur in den "Folklore"-Wäldern hat Taylor Swift nicht nur den Respekt der Indie-Crowd eingebracht, sondern scheint auch ihren Popstar-Komplex gemildert zu haben. Diese Megalomanie, die für Untaten wie "Look What You Made Me Do" oder "Me!" gesorgt hat, als hätte sie ein bisschen zu viel des eigenen Stan-Twitters konsumiert, ist gesundgeschrumpft. Ihr neues Album nimmt nun diese Fäden auf, die sich von "1989" aus in "Reputation" und "Lover" ziehen: "Midnights" ist das Album für die Fans von Songs wie "Dress", "Delicate", "False God" oder "The Archer". Es ist das geschmackvolle, ausgewogene und erwachsene Synthpop-Album, das sich ihre Fans womöglich schon lange gewünscht haben. In all seiner Klasse, Atmosphäre und musikalischen Finesse entsteht jedoch der Eindruck, dass es fast ein bisschen zu geschmackvoll und erwachsen geraten ist.

Dabei gilt es einen Elefanten im Raum zu adressieren: Die Produktion von Jack Antonoff von den Bleachers greift im Pop um sich wie eine Seuche. Mehr noch, als dass sie omnipräsent ist, hat sie ein fundamentales Problem. Sie ist auf eine sehr vorhersehbare Art und Weise sehr gut. Diese Vorhersehbarkeit äußert sich auf "Midnights" darin, dass das Album in seinen Klangfarben, Tempi und der Instrumentation wirklich wahnsinnig an Lordes "Melodrama" erinnert. Im direkten Vergleich fühlt es sich über die ersten Hördurchgänge nicht so an, als würde es an dessen eklektische Höhen heranreichen.

Den Grund dafür erklärt Swift selbst: Sie sieht die dreizehn Songs der Standard-Version als ein Konzeptalbum, das von dreizehn durchwachten Nächten erzählt. So schön Nostalgie in herbstlichen Retro-Synths auch daherkommt, sorgt sie dafür, dass sich beim mehrmaligen Hören eine wahnsinnige Homogenie einstellt. Manchmal wünscht man sich diese auch: der Opener "Lavender Haze", das fokussierte und melancholische "You're On Your Own, Kid" oder "Mastermind", auf dem sie wundervoll zwischen Erzählung und Introspektion gleitet.

Aber so gut die Höhepunkte auch sein mögen, zwischendrin wird es immer wieder ein wenig schleppend. Die anderen Songs fächern das Album nämlich kaum auf, sondern unternehmen nur denselben Anlauf mit etwas weniger beeindruckenden Ergebnissen. Auch Taylors Lyrik wirkt auf dieser Platte überraschend wechselhaft, denn wo fantastische Textstellen wie "I have this thing where I get older, but just never wiser / Midnights become my afternoons / When my depression works the graveyard shift, all of the people / I've ghosted stand there in the room" auf "Anti-Hero" sofort viral gingen, befinden sich auf demselben Song fragwürdige Kopfkratzer wie "Sometimes, I feel like everybody is a sexy baby / And I'm a monster on the hill".

Jeder luzide zurückgeträumten Erinnerung, so etwas wie der zauberhafte Refrain auf "Maroon", stehen wieder etwas klumpfüßigere Anläufe wie "Question...?" entgegen. Da wirkt sie überraschend holprig darin, eine sehr spezifische Szene nachzuzeichnen, und endet ungrazil in einem "... und dann hat jeder geklatscht!"-Moment. Generell ist Taylor als Erzählfigur ja immer eine leuchtende, fast ein wenig aristokratische Erscheinung. Gerade auf "Folklore" hat ihr diese erfahrene, nicht mehr naive Aura gestanden, als wäre sie von einer Jane Austen-Figur selbst zur Schriftstellerin aufgestiegen. Auf "Midnights" hätte zwischen den pulsierenden Elektro-Anflügen ein klein wenig mehr Leichtigkeit, ein klein bisschen mehr Humor trotzdem nicht schlecht getan.

Sie kommen vor, keine Frage, zum Beispiel das stimmlich schön herausgebrachte "It's me, hi, I'm the problem" oder die bitterbösen Kokain-Wortspiele auf dem auch sonst überraschend Billie Eilish-esken "Vigilante Shit", das das ohnehin sehr prominente Gefluche auf dem Album noch einmal zum Höhepunkt bringt. Aber abgesehen davon tut "Midnights" sich irgendwie schwer, auf natürliche Art und Weise Highlights zu setzen. Waren "Lover" oder "Reputation" noch chaotische Berg- und Talfahrten, in denen Genie und Wahnsinn teils sehr nah beieinander lagen, fühlt sich "Midnights" wie eine routinierte und problemlos dreizehnmal wiederholte Fingerübung an.

Vielleicht ist das Segen und Fluch dieses Albums: "Midnights" ist eines der rundesten und kohärentesten Alben, die Taylor Swift bislang gemacht hat, fühlt sich aber weniger wie eine artistische Errungenschaft an. Die Ähnlichkeit zu vorherigen Alben wie "Melodrama", die Ähnlichkeit zu eigenem Material, das Verlassen auf altbewährte Kollaborationspartner: Zum ersten Mal in ihrer Karriere fühlt sich eine neue Taylor-Ära an wie ein Treten auf der Stelle anstatt wie ein verwegener Sprung ins Unbekannte.

Das kratzt nur bedingt an der zweifelsohne vorliegenden Qualität der Platte: Es gibt sehr vieles an diesem Album zu mögen, viele schöne Zeilen, viel geschmackvolle Produktion, kleine musikalische Momente, die es zu entdecken gilt. Gerade jetzt, wo der Herbst bald kälter wird, könnte es ein Album sein, zu dem man leicht eine tiefere Beziehung herstellt. Trotzdem scheint abseits vom kommerziellen Erfolg in Sachen musikalischem Statement bisher überraschend wenig Rückmeldung in die eine oder andere Richtung zu kommen. Ist so viel Konsensfähigkeit nicht auch ein bisschen langweilig?

Trackliste

  1. 1. Lavender Haze
  2. 2. Maroon
  3. 3. Anti-Hero
  4. 4. Snow On The Beach (feat. Lana Del Rey)
  5. 5. You're On Your Own, Kid
  6. 6. Midnight Rain
  7. 7. Question...?
  8. 8. Vigilante Shit
  9. 9. Bejeweled
  10. 10. Labyrinth
  11. 11. Karma
  12. 12. Sweet Nothing
  13. 13. Mastermind

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