laut.de-Kritik

Genre: Personenkult.

Review von

Fangen wir mit einer Frage an, die – ich schwöre! - an einen weniger ausgelutschten Punkt führt, als es klingt: Dieses neue Taylor Swift-Album. Ist das noch Popmusik?

Auf ihren letzten drei Alben hat sie den Wohlgeschmack für sich entdeckt. Ummantelt von salbungsvoll erwachsenen und intimen Indie- und Synthpop-Klängen verzichtete ihre Arbeit auf die schrillen Aspekte und die Tackiness. Das hatte Vorteile (nie wieder "ME!", "..Ready For It?" oder "Shake It Off"), das hatte Nachteile (nie wieder "22", "Blank Space" oder "Shake It Off"). Aber was diese drei Alben stark gemacht hat, war nicht der plötzlich aufgegriffene gute Geschmack, sondern dass Taylor auch im neuen Sound ihre Pop-Sensibilität nie verloren hat. Wenn auch nicht so offensiv, waren selbst in "Folklore" immer noch überlebensgroße Hooks verbaut, wenn auch Tarnfarbe tragend in der ruhigeren Kulisse.

Klanglich ist "The Tortured Poets Department" nun vollkommen im Quasi-Indie angekommen. Zumindest klingt es wie nichts, was jemand in der Pop-Konkurrenz so abliefern würde. Es ist aber einfach durch Geburtsrecht und Taylor Swift-Persona trotzdem auch viel zu groß für Indie. Mein Vorschlag: Das Genre dieses Albums heißt Personenkult. Und das meine ich weder schlecht noch gut. Nur wenige Stunden nach Release fand man auf Twitter A2-Spreadsheets, die die Zusammenhänge erklären, welche Lyric sich auf welchen Exfreund bezieht, welche Stelle welchen anderen Song referenziert und wo sich Taylors Privatleben sonst noch offenbart. Es ist ein Tell-All, ein Draw-My-Life, ein dreistündiges YouTube-Drama-Video im Geiste.

Taylor Swift könnte aber auch kein Nicht-Personenkult-Album mehr aufnehmen. Es grenzt eher an ein Wunder, dass eine Frau, die seit zwei Jahrzehnten quasi panoptisch von Presse und von paramilitärisch strukturierten Stans in jedem Millimeter ihres Lebens überwacht wird, überhaupt noch mit Regelmäßigkeit Lines schreibt, mit denen sich so viele Leute identifizieren können. Man stelle sich vor, wie absurd das wäre, wenn man Songs schreibt und Fans beschweren sich mit aller Selbstverständlichkeit darüber, dass sie menschlich enttäuscht von dir sind, weil du in ihren Augen deine Sadness auf den falschen Exfreund gewichtest. Nein - "The Tortured Poets Department" hat ein anderes Kernproblem: Taylor ist zum ersten Mal der Pop abhanden gekommen. Ihre Musik fühlte sich noch nie so ziellos und mäandernd an. Ein Eindruck, dem die Tatsache nicht hilft, dass ihr noch nie ein Album so ausgeufert ist.

Es hat einen Grund, dass so viele Leute Antonoff-Müdigkeit vermelden. Dieses Album ist ein Leviathan aus langsamen, sich wankend vorwärts bewegenden, trottenden und ächzenden Balladen-Beats, die konstant mit den gleichen ein oder zwei Taschenspielertricks auf die gleiche Atmosphäre zielen.

Technisch gesehen hätten die ersten sechs Songs noch die stärksten Refrains: "So Long London" prägt sich mit einem schönen melodischen Motiv ein, der Titeltrack zeigt den klarsten Humor. Auf dem Intro "Fortnight" kommt Post Malone auf Lana Del Rey-Feature-Modus vorbei. Antonoff, wie untermalen wir diese Songwriting-technisch stärksten Songs hier?

Also: Erst haben wir einen geschmackvoll-atmosphärischen Synth, der ein bisschen leblos neben dem Song herpulsiert. Danach haben wir einen geschmackvoll-atmosphärischen Synth, der ein bisschen leblos neben dem Song herpulsiert. Es folgt ein geschmackvoll-atmosphärischer Synth, der ein bisschen leblos neben dem Song herpulsiert. Daraufhin akzentuiert das Album geschickt mit einem geschmackvoll-atmosphärischen Synth, der ein bisschen leblos neben dem Song herpulsiert. Zählt ihr die Tracks mit? Ein paar wären noch gegangen!

Die Dessner-Tracks mit Gitarre und Piano klingen theoretisch anders, aber dann doch wieder gleich. Rhythmisch tut sich wenig, in Sachen Tempo überhaupt nichts. Die drei Bass-Schläge auf "Florida!!!" wirken nach sieben Tracks Eingelullt-werdens schon wie ein halber Jumpscare. "I Can Do It With A Broken Heart" bringt schließlich die Erlösung in Form eines Dance-Beats. Dass der eine Song mit einem Puls quasi allein durch Kontrast zum Highlight wird, spricht aber nicht gerade für die Lebendigkeit der anderen Tracks. Meine grundlegende Erfahrung mit diesem Album ist: Warum klingt alles so gleich, so langsam und warum ist immer noch so endlos viel davon übrig? Es sind zwei Stunden Musik, bei denen man zwischendurch immer wieder Lust bekommt, Musik zu hören.

Es sind ja nicht nur die Beats – auch die Melodien ächzen vor Erschöpfung. Knarre an die Schläfe, kann mir irgendjemand eine Melodie aus der zweiten Hälfte dieses Albums nachsingen? Oder von irgendwo auf diesem Album außer "Flo-ri-da" und "so-long Lon-don"? Taylor mäandert gleichförmig durch ihre wortreichen Texte, in der Bridge wird vielleicht mal geflucht, dann geht’s für die letzte Hook ins hohe Register. Trotzdem klingen so viele Melodien, als würde sie sich sie ausdenken, während sie vom Textblatt abliest. Auf vollen zwei Stunden kann ich es nicht anders sagen: Dieses Album macht mich rammdösig. Und das ist handwerklich schlicht nicht der Artist, als den ich Taylor kenne.

Nach all dem Gejammer: Aber dafür sind die Texte bestimmt der Oberhammer, oder? Taylors persönlichstes Album. Tortured Poetry, let's go! Und ja, es gibt Highlights: "So Long, London" klingt groß und tragisch, aber erzählt sich in kleinen Splittern von toll eingefangenen Charakter-Beobachtungen: "I stopped trying to make him laugh, das ist ein Taylor-ism, wie man ihn sich wünscht: Simple Prämisse, viel Implikation. "Guilty As Sin?" ist auch super geschrieben, der eine Song, der zum Cover passt: "I keep this longings locked / in lowercase, inside a vault" - geiles Bild, gleichzeitig lustige Referenz auf die eigenen Vault-Tracks.

"The Smallest Man Who Ever Lived", "Clara Bow", "I Look In People's Windows" sind auch textlich stark. Man merkt also schon immer wieder, warum Taylor den Status hat, den sie hat. Und trotzdem war es leider noch nie so einfach, ein Taylor Swift-Album textlich schlecht zu finden. Vielzitiert schon … Stilblüten wie: "You smokеd, then ate seven bars of chocolate / We declared Charlie Puth should be a bigger artist / I scratch your head, you fall asleep / Like a tattooed golden retriever" ("The Tortured Poet's Department"). Hä?

Desweiteren: "Truth, dare, spin bottles / You know how to ball, I know Aristotle" ("So High School"). Ja, der Song ist quasi ein Rückwärts-Blick auf ihre High School, das macht aber auch nicht besser, wie albern und von sich selbst beeindruckt das alles klingt. Oder noch schlimmer: "My friends used to play a game where / We would pick a decade / We wished we could live in instead of this / I'd say the 1830s but without all the racists" ("I Hate It Here"). Muss ich erklären, warum das dämlich ist? Sie versucht, es irgendwie aufzufangen, aber die ganze Prämisse für diesen Part ist ein ziemlicher Rohrkrepierer.

Aber es sind nicht nur vereinzelte Ausrutscher. Taylor ist auf diesem ganzen Album erschreckend oft auf ihrem Anglistik-Erstie-Shit. Zu oft verwechselt sie gutes Texten damit, Wörter durch größere Synonyme auszuwechseln, oft verrennt sie sich in komischen Details, viele Bilder kommen schief und unsouverän. "the smoke cloud billows out his mouth like a freight train through a small town" ist mir besonders im Kopf geblieben, weil dieses Bild so offensichtlich überhaupt nicht funktioniert.

Aber selbst über der Handwerks-Ebene finden sich so viele Tracks, die melodramatisch, catty und schlicht dämlich wirken. "Who's Afraid Of Little Old Me" nutzt fünf Strategien gleichzeitig, um Taylor irgendwie in eine Underdog-Rolle zu pressen. Aber bezüglich "little old me": Drake sagte auf einem Track am selben Tag, als dieses Album rauskam, Taylor Swift sei "the biggest gangster in the music industry". Und er hat recht! Es gibt durchaus Leute, die Angst vor little old Taylor Swift haben, sie ist ja nur ... eine der reichsten und mächtigsten Menschen der Musikgeschichte. Ein besonderes Lowlight bietet der Original-outta-Tumblr-betitelte "ThanK You AIMee" (in loving memory of "sHE beLIvED") - auf dem sie zusammenfantasiert, sich an einem High School-Bully zu rächen, indem sie einen so catchy Song darüber macht, wie scheiße diese Person ist, dass ihre Kinder diesen Song pfeifend nach Hause kommen. Selbst wenn er nicht wirklich lächerlich getextet wäre: Was ist das für eine bittere, alberne Prämisse für einen Song? Nein, die Lyrics sind weder durch die Bank furchtbar noch durch die Bank großartig. Aber in dem einheitlichen Schlock des Albums gehen die Highlights unter und die Aussetzer treiben auf. Man fragt sich, warum hier nicht gekürzt oder kuratiert wurde.

Natürlich werden deswegen am Ende ein paar gute Songs übrigbleiben. Zwei oder drei Highlights in die Playlist packen und im richtigen Moment zu Regenwetter hören - das funktioniert bestimmt. Aber ist das der Anspruch von einem Album-Artist wie Taylor? Ich kann es nicht anders sagen: Ich will diese dreißig Songs nie wieder am Stück hören. Als Gesamtbild kommen sie nicht furchtbar zusammen, aber mindestens genauso schlimm: Sie wirken langweilig. Es ist Taylors persönlichstes Album bisher. Genau das ist die Schwäche. Es ist eine ziellos ausufernde Springflut von einem Projekt, ein beispielloser Akt des Oversharens. Und bisher war der Pop das Gegengewicht, das dieses Oversharing zur Kunst hat werden lassen. "The Tortured Poets Department" und die "Anthology" verlieren über weite Strecken alle Reduktion, alle Verdichtung, alle Präzision. Es ist ohne Grooves, ohne Hooks, ohne Zucker. Aber es ist ein Missverständnis zu denken, dass das die Poesie poetischer machen würde.

Trackliste

  1. 1. Fortnight (feat. Post Malone)
  2. 2. The Tortured Poet's Department
  3. 3. My Boy Only Breaks His Favorite Toys
  4. 4. Down Bad
  5. 5. So Long, London
  6. 6. But Daddy I Love Him
  7. 7. Fresh Out The Slammer
  8. 8. Florida!!! (feat. Florence + The Machine)
  9. 9. Guilty As Sin?
  10. 10. Who's Afraid Of Little Old Me?
  11. 11. I Can Fix Him (No Really I Can)
  12. 12. loml
  13. 13. I Can Do It With A Broken Heart
  14. 14. The Smallest Man Who Ever Lived
  15. 15. The Alchemy
  16. 16. Clara Bow
  17. 17. The Black Dog
  18. 18. Imgonnagetyouback
  19. 19. The Albatross
  20. 20. Chloe Or Sam Or Sophia Or Marcus
  21. 21. How Did It End?
  22. 22. So High School
  23. 23. I Hate It Here
  24. 24. Thank You Aimee
  25. 25. I Look In People's Windows
  26. 26. The Prophecy
  27. 27. Cassandra
  28. 28. Peter
  29. 29. The Bolter
  30. 30. Robin
  31. 31. The Manuscript

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