laut.de-Kritik

Eine andere Form der Wut, ganz ohne Testosteron.

Review von

"Es hat mich lange schon nichts so sehr / Berührt wie diese Team Dresch Platte / Als ich aus dem Laden kam / War ich froh, dass ich sie hatte / Diese Harmonie, diese wunderbaren Lieder / Ich fand mich sofort wieder in diesen Liedern wieder.", sang Dirk von Lowtzow Mitte der Neunziger begeistert über die amerikanische Band um Sängerin Donna Dresch. "Die Sache Mit Der Team Dresch Platte" vom zweiten Tocotronic-Album "Wir Kommen Um Uns Zu Beschweren" sorgte endlich auch in Deutschland für einen größeren Bekanntheitsgrad, der aber natürlich wie auch in Amerika im Untergrund stattfand.

Wo heute queere Themen mittlerweile auch im Mainstream ankommen, stand eine Queerpunk-Band 1997 noch ziemlich allein auf weiter Flur. Noch heute bekommt die Band Rückmeldungen von Fans, denen Alben wie das fulminante Debüt "Personal Best" wieder den Lebensmut zurück gaben. Hier auf den Konzerten von Team Dresch gab es eine Gemeinschaft, auch Schutz vor homophoben Gewalttaten.

"Personal Best" wäre aufgrund seiner Wirkung, die auch massiv Sleater Kinney beeinflusste, die vielleicht naheliegende Wahl. "Diese Harmonien, diese wunderbaren Lieder" wie Tocotronic voller Begeisterung sangen, fand ich persönlich doch eher in "Captain, My Captain" wieder. Der Albumtitel war übrigens in seiner ursprünglichen Intention erst einmal kein Zitat aus dem gleichnamigen Gedicht von Walt Whitman oder aus dem amerikanischen Kinofilm "Club Der Toten Dichter", in dem der Ausspruch auch eine bedeutende Rolle spielt. "Captain" war in erster Linie ein liebevoller Nickname für die Band-Chefin Donna Dresch, doch der Optimismus des ebenfalls queeren Dichters Whitman gab den Ausschlag, das Album "Captain My Captain" zu nennen.

Damals war ich in erster Linie von der Musik begeistert, die Attitüde und die Wichtigkeit begriff ich erst viel später. So war ich als Teenager schon von dem wuchtigen Einstieg "Uncle Phrank" begeistert, den man laut auf dem Discman mitsingen konnte. Keine Ahnung, auf wen oder was sie wütend waren, aber wenn ich durch die Straßen meiner Stadt ging, gab mir der Song genau den Mut, der in erster Linie natürlich gar nicht für mich gedacht war. Und doch vermittelt der Song eine andere Form der Wut, als ich sie damals von den anderen Bands kannte. Hardcore-Punk-Bands wie Suicidal Tendencies steckten ebenfalls voll Wut und Hass, aber mit viel Testo und musikalischer Eintönigkeit dahinter. Team Dresch entwickelten ihren Sound auf dem zweiten Album weiter, ohne dabei ihre Wurzeln als aktivistische Band zu verlassen. Doch Punk war, wie die Band später erzählte, nie wirklich eine Heimat. Genau wie für Tocotronic war es vielleicht die erste Anlaufstelle abseits des Mainstreams, aber auch die Hamburger Band brach schnell mit Dogmen und brachte eine neue Perspektive in ihr Umfeld ein.

"Don't Try Suicide" nahm sich des mehr als ernsten Themas Selbstmord an. Doch wo es auf dem Vorgänger noch viel Hass gab, gelingt das Songwriting hier besser. Es ist auch ein Unterschied zu den männlichen Punkrock-Kollegen, die eben doch ständig kampfbetonte Bro-Hymnen singen. "Don't Try Suicide" ist das wirklich besorgte Verständnis einer Art großen Schwester, die Sorge für ihre teilweise noch jungen Fans trägt. In dieser Art Fast-Ballade sang Donna Dresch, wie ihre Freundin sie beruhigend im Arm hält und ihr Mut zuspricht. "My girlfriend cuddles me / And holds me when I cry / I tell her that I'm scared / She says that I won't die / She tells me I'm okay / I don't believe her, but it makes me feel better anyway."

Auch hier gilt: Es war sicherlich in erster Linie an die queere Community gerichtet, aber jeder Außenseiter versteht dieses ungute Gefühl, dass da draußen eine feindliche, meist intolerante Welt wartet. Und wir reden über die Neunziger Jahre. Die Auswirkungen von Social Media, ein von rechten Hardcore-Christen kultisch verehrter Sexist wie Donald Trump und Hass auf das sogenannte 'Gender-Gaga' waren nicht einmal absehbar. Dieser ekligen Klientel gaben Team Dresch schon auf "Personal Best" mit "Hate The Christian Right" gekonnt einen mit, heute ist der Song nach wie vor aktuell.

"Remember Who You Are", der letzte Song des Albums, zeigt noch einmal, wie sehr die Band auch musikalisch weiter wuchs. Der giftige Gesang von Donna bleibt vielleicht die Wut-Konstante in dem Werk von Team Dresch, doch der filigrane Aufbau und die bedrohlich ruhigen Passagen, kurz vor dem lauten Gitarren-Ausbruch, erinnern nun mehr an Saetia, The Promise Ring oder Drive Like Jehu. Team Dresch arbeiteten daran, nicht nur Punk von innen heraus zu zu verändern, sondern den auch im Emo-Bereich erstaunlich großen Männerüberschuss zu beenden.

Doch Team Dresch waren 'nur' Teil eines größeren Projekts. Alle Bandmitglieder arbeiten bis heute daran, eine vielleicht bessere Zukunft für queere Menschen zu erschaffen. 2022 nahm die Hasskriminalität in Deutschland gegen queere Menschen noch einmal zu, ebenso in den USA, wo die Anzahl an Anti-LGTBQ*-Gesetzen einen neuen Rekordstand erreicht. Noch im November 2022 gab es in Colorado Springs einen Amoklauf in einem Club für queeren Menschen.

Team Dresch gaben damals Sichtbarkeit, auch außerhalb der Community. Ansonsten bleibt es wie Dirk sang: "Und ich weiß sie singen nicht für mich / Und ich weiß doch trotzdem glaube ich / Dass ich sie verstehen kann / Obwohl ich bin ein Mann / Und trotzdem finde ich sie super." "Captain My Captain" bleibt wichtig und ein verdammt gutes Album, das den Hörer egal mit welchem Hintergrund packt und nicht wieder los lässt.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Uncle Phranc
  2. 2. 107
  3. 3. My Dirty Hands are Mined
  4. 4. The Council
  5. 5. Don't Try Suicide
  6. 6. To the Enemies of Political Rock
  7. 7. Take on Me
  8. 8. Yes I Am Too But Who Am I Really?
  9. 9. I'm Illegal
  10. 10. Musical Fanzine
  11. 11. Remember Who You Are

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