laut.de-Kritik

Lucy In The Sky 2020.

Review von

Vier Jahre seit "Wildflower". Keine Pointe. Während Guns N' Roses auf dem besten Weg sind, ihren "Chinese Democracy"-Rekord zu erneuern, verzichten The Avalanches diesmal auf die langjährigen Kreativ-Wirren, die neuen Output zuletzt um 16 Jahre verzögerten. Ein Glück – denn im Weltall ticken die Uhren bekanntlich eh anders.

Und genau dort spielt das Avalanches-Drittwerk "We Will Always Love You". Als Connaisseure stark abgenutzter Vinyl-Schallplatten ziehen die beiden letzten verbliebenen Mitglieder Robbie Chater und Tony Di Blasi hierfür Inspiration aus den sogenannten "Voyager Golden Records" – zwei Daten-Schallplatten, die unseren außerirdischen Freunden vom Wunder der menschlichen Existenz künden sollen. Neben Fotos, Diagrammen und Chuck Berry-Mitschnitten flattert bis heute auch eine Aufzeichnung der Hirnwellen von Teammitglied Ann Druyan durchs All, aufgezeichnet unmittelbar nach einem Heiratsantrag von Projekt-Chef Carl Sagan. Womit wir nicht nur bei der grafisch aufs Frontcover codierten Dame, sondern auch beim Albumtitel wären.

Es sind diese konservierten Momentaufnahmen der universellen Liebe, die The Avalanches schon auf "Wildflower" propagierten. Diese alles umarmende John-und-Yoko-Liebe schießen Chater und Di Blasi nun geradewegs ins All. Lucy In The Sky 2020.

Auch wenn Chater die AKAI-Sampler zugunsten von Pro Tools unlängst auf den Dachboden verbannt hat und zumindest die Kooperation mit Jamie xx schlimmere Zeitgeist-Anbiederungen vermuten ließ: Keine Sorge, The Avalanches sind und bleiben immer noch retro. Vergessene bis nie gehörte Vinyl-Samples bilden nach wie vor die Basis der Tracks, und das erfreulich unprätentiöse Vinyl-Knistern kommt und geht in nicht immer gleichförmigen Wellen.

Bereits der im Februar erschienene Titeltrack bedient sich auf gewohnt nonchalante Weise bei Motown-Alumni Smokey Robinson und dem Folk-Sister-Trio The Roches. Kanntest du nicht? Kennst du jetzt. Denn dafür gibts ja Menschen wie Chater und Di Blasi, die sich stellvertretend für alle Hörerinnen und Hörer durch die Ein-Dollar-Kisten australischer Hinterhof-Plattenläden wühlen. Was das Duo schlussendlich gemeinsam mit Blood Orange daraus zaubern, lässt die Synapsen geradezu übersprudeln: Slowdive, Duran Duran, Portishead, Sixties-Psychedelia. Morgen aber vielleicht auch wieder etwas ganz anderes.

Erhöht hat die Band hingegen abermals ihren Anteil an selbst eingespielten Instrumenten, woran auch Midnight Juggernauts-Musiker Andrew Szekeres eine Mitschuld trägt. Darüber hinaus machen The Avalanches jedoch auch vom Kultstatus Gebrauch und schrauben ihre generelle Feature-Frequenz noch einmal ordentlich nach oben. Ist halt auch einfach geiler, nicht stundenlang ein bestimmtes Sample cutten zu müssen, sondern sich einfach eigene Passagen von samplebaren Musikerinnen und Musikern einspielen zu lassen. Einfach mal zum Hörer greifen und durchklingeln. Bei Johnny Marr. Bei Mick Jones. Bei Perry Farrell. Bei Neneh Cherry. Bei Kurt Vile.

Auf alle der über 20 Gäste einzugehen, würde gewiss den Rahmen sprengen. Hervorheben ist aber die absolute Coolness-Combo aus Denzel Curry, Tricky und Sampa The Great, die mit "Take Care In Your Dreaming" einen der hip-hoplastigsten, aber auch eklektischsten Momente der Platte zusammen zimmern. Gemeinsam mit Weezer-Sänger Rivers Cuomo legen Chater und Di Blasi zudem feinsten Empire Of The Sun-Bubblegum-Pop aufs Parkett, der vernarrte Fans des Avalanches-Debüts "Since I Left You" weinend in die Flucht schlagen dürfte. Herrlich.

Dabei gibts doch auch für die noch reichlich zu entdecken: Immer wieder ploppen diese kurzen Funk- und R'n'B-Samplesequenzen ("Oh The Sunn!") auf und übernehmen das Ruder. "The Divine Chord" und "Solitary Ceremonies" sind gelungen eingebaute 2000er-Reminiszensen, die zeigen, dass das Duo sein Handwerk ebenso wenig verlernt wie ihr Gespür für Obskuritäten verloren hat.

Fans neuzeitlicher DJ Koze-Vibes ("Always Black") finden genauso Zuflucht wie bassinhalierende Erobique-"Urlaub In Italien"-Ultras ("Musik Makes Me High"). Wenig verwunderlich, dass "We Will Always Love You" ursprünglich im Sommer erscheinen sollte: Viele der oben genannten Tracks versprühen zunächst einen für ein Dezember-Release verboten unpassenden Party-Palmen-Charme – ein australischer Sommer zwischen Pandemie und Buschbränden eben.

Doch gleichzeitig umschwirrt "We Will Always Love You" immer wieder dieser teils subtile, teils offen dargelegte Touch Nostalgie, der sich soundmäßig irgendwo in der unbeschwerten Zeit zwischen Schnurlostelefon und erstem Jamba-Sparabo ansiedelt – einer Zeit des Aufbruchs eben. Als hätte jemand die Pet Shop Boys mit Kraftwerks sperrigen "Radio-Aktivität"-Ätherwellen verheiratet.

Den ganz großen Melo-Touch des Debüts spart "We Will Always Love You" vielleicht aus, flacht dafür aber gegen Ende nicht so stark ab wie seinerzeit "Wildflower" – im Gegenteil: Die daftpunkigen Vibes und die fiesesen Phaser-Strings im drittletzten "Born To Lose" schließen den Kreis und unterstreichen einmal mehr, dass The Avalanches sich 2020 ganz genau aussuchen können, was für eine Band sie sein möchten. Nämlich eine, von der die Generation Vaporwave, deren MySpace-worshippenden Remix-Stil The Avalanches erst ermöglich haben, noch einiges in Sachen Liebe zur Musikgeschichte lernen kann.

Vermutlich genauso viel, wie die Aliens aus den Hirnströmen Ann Druyans über die Liebe zu Menschen lernen können. Und sollte es so kommen, dass neben den Voyager-Discs eines Tages ein strahlender, zirkulierender Komet gesichtet wird: Dann wäre das wohl "We Will Always Love You". Eine flammende Liebeserklärung an die Kraft der Musik.

Trackliste

  1. 1. Ghost Story (feat. Orono)
  2. 2. Song For Barbara Payton
  3. 3. We Will Always Love You (feat. Blood Orange)
  4. 4. The Divine Chord (feat. MGMT & Johnny Marr)
  5. 5. Solitary Ceremonies
  6. 6. Interstellar Love (feat. Leon Bridges)
  7. 7. Ghost Story Pt. 2 (feat. Orono & Leon Bridges)
  8. 8. Reflecting Light (feat. Sananda Maitreya & Vashti Bunyan)
  9. 9. Carrier Waves
  10. 10. Oh The Sunn! (feat. Perry Farrell)
  11. 11. We Go On (feat. Cola Boyy & Mick Jones)
  12. 12. Star Song.IMG
  13. 13. Until Daylight Comes (feat. Tricky)
  14. 14. Wherever You Go (feat. Jamie xx, Neneh Cherry & CLYPSO)
  15. 15. Music Makes Me High
  16. 16. Pink Champagne
  17. 17. Take Care In Your Dreaming (feat. Denzel Curry, Tricky & Sampa The Great)
  18. 18. Overcome
  19. 19. Gold Sky (feat. Kurt Vile)
  20. 20. Always Black (feat. Pink Siifu)
  21. 21. Dial D For Devotion (feat. Karen O)
  22. 22. Running Red Lights (feat. Rivers Cuomo & Pink Siifu)
  23. 23. Born To Lose
  24. 24. Music Is The Light (feat. Cornelius & Kelly Moran)
  25. 25. Weightless

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