laut.de-Kritik

"Wollt ihr, dass ich englisch oder spanisch singe?"

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Was passiert, wenn man vier waschechte Streetpunks aus New York in einen Van setzt und sie über die Grenze nach Mexiko schickt? Sie ziehen eine Spur von Begeisterung und Zerstörung hinter sich her. Punk & Disorder halt. Den Selbstversuch haben The Casualties im letzten Jahr gewagt und sich glücklicherweise dabei filmen lassen. Einen Monat später, im Juni 2005, bekamen die Vier mit den lustigen Haaren einen anderen Kulturschock verpasst, als sie für ein paar Tage in Japan unterwegs waren. Welten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.

Vom 28. April bis 15. Mai in Mexiko unterwegs, haben Jorge, Jake, Rick und Meggers so ziemlich alle Locations durchgetingelt, die man sich vorstellen kann. Eine fast leere Halle mit einer sicher drei Meter hohen Bühne, kleine und große Läden, "Backstagebereiche" unter freiem Himmel mit verrosteten Waschbecken und einfachsten Klos. Die jungen Leute, die zu den Konzerten kamen, sahen so aus, wie man sich Punks in Mexiko vorstellt. Abgefuckte Gestalten, die sich ihr Aussehen allerdings nicht teuer erkauft haben, sondern die einfach so aussehen, weil sie nicht mehr haben. The Casualties verstehen sich als Working Class Punks, hier treffen sie auf Working Class Punks. Ich sage nur: Bier aus Plastikbeuteln.

So kommt es in Mexiko-Stadt zu Tumulten, als einige der Fans versuchen, kostenlos das Konzert zu besuchen. Dieser Gig muss abgesagt werden, als die Polizei anrückt. Anderntags der Hammerauftritt vor über 3.000 Menschen, die zwischen zwei Mauern eingepfercht die Casualties open air abfeiern. Unter der bratenden Sonne und auf dem staubigen Boden des Districto Federal müssen die sich dann auch noch on stage Diskussionen über 15 Dollar Eintrittsgeld gefallen und sich als "Capitalistas" bezeichnen lassen.

Jorge kommt in dieser Szene sicher auch zu Gute, dass er als gebürtiger Ecuadorianer natürlich spanisch spricht. Sehr korrekt auch seine Frage vor einem Konzert: "Wollt ihr, dass ich englisch oder spanisch singe?" So sehr die Jungs auch unter der heißen mexikanischen Sonne schwitzen mögen, so sehr sie den Punk-Lifestyle verinnerlicht haben, "Can't Stop Us" zeichnet ein äußerst sympathisches Bild von den Casualties. Wenn sie zum Beispiel in voller Montur die Pyramiden der Azteken besteigen.

In Japan dann ein völlig anderes Bild: keine braun gebrannten Teenie-Punks in Lederjacken und alten Jeans, sondern absolut aufgetakelte Szenepunks, die wie Karikaturen ihrer selbst wirken. Tonnenweise Nieten, schmerzhaft enge Hosen, Iros und die in der traditionellen japanischen Gesellschaft so verpönten Tattoos. Die Punkrocker spielen in kleinen Clubs, unterhalten sich mit den Fans und wehren sich nicht gegen Stage Invasions, offensichtlich ein Volkssport im Land der aufgehenden Sonne. Einmal wird es kurz ernst, als die Vier das Hiroshima Peace Memorial Museum besuchen. So still wie hier sieht man die Band sonst nicht.

Die beiden Tourfilme verbinden auf angenehme Weise Liveperformances mit Landeskunde und Impressionen einheimischer Punk-Szene. Leider ist der Film aus Japan mit einer guten Stunde doppelt so lang wie der aus Mexiko. Der Sound ist nicht wirklich gut, so eben, wie es mit Geräten am Rande der Leistungsfähigkeit auf Casualties-Konzerten eben klingt. Aber so ist halt Punk, alles, nur nicht perfektionistisch. Dennoch sind die Songs zahlreich, der Spaß transportiert sich gut, und dass auch Punks mal die Hosen voll haben, demonstriert "Can't Stop Us" ebenfalls. Ein guter Zeitvertreib bis zum neuen Album im Herbst.

Trackliste

  1. 1. Live in Mexiko
  2. 2. Live in Japan

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LAUT.DE-PORTRÄT The Casualties

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