laut.de-Kritik

Musik für die zerbrechliche und unfertige Teenagerseele.

Review von

"Elvis war nicht immer Elvis! Er wurde nicht als Elvis Presley geboren", erklärte Dolores O'Riordan einst den Titel des Cranberries-Debüts "Everybody Else Is Doing It, So Why Can't We?". "Er war einfach ein Mensch, der irgendwo zur Welt kam, nicht besonders viel hatte und dann erst wurde er zu Elvis. Auch Michael Jackson wurde irgendwo geboren und so weiter. Und ich dachte, wir sind auch einfach nur irgendwo geboren, warum können wir nicht genauso erfolgreich sein? Ich fand durchaus, dass wir das könnten, aber die meisten Leute in unserem Umfeld erklärten uns für verrückt und meinten, dass wir niemals Geld mit unserer Musik verdienen würden und lieber Cover-Versionen spielen sollten."

Tatsächlich erreichte das irische Quartett zwar nie Elvis-Sphären, aber für wenige Jahre, zweieinhalb Alben und dank der Hits "Linger" und "Zombie" kamen sie diesem Ziel erstaunlich nah. Dabei spielte die unverwechselbare, sich ständig überschlagende Stimme der Sängerin eine herausragende Rolle. Eine dieser Stimmen, die eine ganze Generation prägen. Die so oft kopiert werden, dass sie zum Klischee verkommen. So wie Eddie Vedders charismatisches Unterkieferknödeln über viele Umwege letztendlich zum Missverständnis Creed führte. So wie sich nach dem Erscheinen von Thom Yorke eine ganze Generation weißer Männer in weinerlichem Schluchzen verlor. Während die Trittbrettfahrer später einfach weiter ziehen, bleiben die Originale jedoch auf dem angerichteten Schaden sitzen.

"Als sie sang, fragte ich mich, warum sie nicht schon in einer Band war", erinnert sich Gitarrist Noel Hogan im Guardian-Interview an das erste Vorsingen von Dolores bei der Band, die damals noch The Cranberry Saw Us hieß. "Ich wollte es nicht in Frage stellen. Wir hatten das Glück, dass sie sich für unseren Raum entschieden hatte." Gleich aus dem ersten Demo, das sie der schüchternen Sängerin mitgaben, entstand "Linger".

Eben diese Schüchternheit wirkt sich auf den Sound von "Everybody Else Is Doing It, So Why Can't We?", produziert von Stephen Street (The Smiths, Blur) aus. Noch sind die Cranberries nicht die ausdefinierte Band, die sie mit dem Nachfolger "No Need To Argue" wurden. Nicht die überambitionierte und verbittert ernste Band, die sie in das Missverständnis "To The Faithful Departed" stolpern ließ ("To all the kids with heroin eyes / Don't do it, don't do it" - "Salvation"). Manchmal ist es einfach besser, nur über Liebe zu singen.

"Everybody Else Is Doing It, So Why Can't We?" verfügt über eine ganz eigene zerbrechliche und unfertige Teenagerseele. Wo Grunge die Teenage Angst zeitgleich in Lärm verwandelte, zeigten die Cranberries die andere Seite. Verwirrend, unsicher, nicht wissend, wie man in diese neue Welt der zwischenmenschlichen Beziehungen gehört. O'Riordans Gesang bleibt dafür noch zurückhaltend und sanft, die Hogan-Brüder Noel (Gitarre) und Mike (Bass) sowie Fergal Lawler (Schlagzeug) orientieren sich an einer Mixtur aus The Smiths, The Sundays, The Cure, Cocteau Twins und irischer Folklore.

Zaghaft ist auch der Einstieg in "Linger": Ein kleines Gitarrenintro, das nicht so richtig weiß, was es will, dann ein wenig Summen, bevor sich der eigentliche Song einschleicht wie Mami, die leise noch mal im Kinderzimmer nachschaut, ob das Kleine schon schläft. Dolores' filigraner Gesang liefert die Antithese zu ihrem aggressiven, sich überschlagenden Schreien in "Zombie". Elegante Streicher verfeinern das Lied, das mit Dream Pop- und subtilen Shoegaze-Elementen spielt. Ein bittersüßes Stück über das Gefühl, abgelehnt zu werden, und dessen Text die gescheiterte Beziehung zu einem Soldaten verarbeitet.

Der Erfolg der "Linger"-Single, dem einzigen Top-Ten-Hit der Cranberries in Amerika, brachte das bereits erfolglos veröffentlichte "Dreams" noch einmal zurück ins Spiel. Ein hoffnungsvoller Track, "impossible to ignore", der das Gefühl der ersten Liebe einfängt und seinen Titel vollkommen zurecht trägt. Ein Traum von einem Song, bei dem sich Alternative Rock, Dream Pop und keltische Einflüsse vermischen, während sich Dolores' Stimme immer und immer wieder überschlägt. Die Hintergrundvocals stammen von O'Riordans damaligem Freund Mike Mahoney.

1995 erzielte die Chinesin Faye Wong mit der Coverversion "夢中人 (Dreamlover)" in Japan einen großen Hit, was dazu führte, dass die Besucher der folgenden Cranberries-Tour bei "Dreams" komplett hohl drehten und niemand auf der Bühne zuerst so richtig wusste, warum denn überhaupt. Am deutlichsten spiegeln sich die Smiths-Einflüsse auf das Quartett aus Limerick in "Still Can't..." wieder. Während im Hintergrund leise die Sesamstraßen-Orgel quietscht, gibt Noel Hogan den Johnny Marr und Bruder Mike einen seiner typisch simplen, jedoch mitreißenden Bassläufe.

Eine zarte Gesangsmelodie wogt durch die "Not Sorry"-Strophen, bis der Refrain wie ein Sturm die Wellen zunehmend auftürmt und gegen die irische Küste prallen lässt. Mit dem von Lawlers Hi-Hats vorangetriebenen "Wanted" gelingt ein weiterer hinreißender Pop-Song. "Waltzing Back" bietet einen Blick in die Zukunft. Aufbau und Arrangement des sich im Walzertakt wiegenden Liedes wirken wie eine Blaupause für "Zombie".

Der frühe Ruhm mit "Everybody Else Is Doing It, So Why Can't We?" und "No Need To Argue" zollte schnell seine Tribut. Gerade Dolores hatte damit zu kämpfen, litt zunehmend an Depressionen, einer bipolaren Störung, Anorexie und Rückenproblemen. "Sie sagte immer, dass es ihr schwer fiel, Songs zu schreiben, wenn sie glücklich ist", erinnert sich Noel Hogan. Nachdem ihre Großmutter starb, zog sie sich zurück, was zur kurzzeitigen Trennung der Cranberries führte. Das folgende Comeback kam nie so richtig ins Rollen. Das 2012 veröffentlichte "Roses" fiel sowohl künstlerisch als auch kommerziell eher verhalten aus. Zu Lebzeiten der Sängerin erschien 2017 nur noch das Unplugged-Album "Something Else".

Der Tod achtet nicht auf Zyklen. Wir sterben mitten in der Fußballsaison, noch bevor die letzte Folge unserer Lieblingsserie läuft oder während der Vorbereitung auf ein neues Album. Als Dolores O'Riordan am 15. Januar 2018 in einer Hotel-Badewanne in London ertrinkt, arbeitete sie an dem Lonplayer, den die zurückgelassenen Cranberries später unter dem Namen "In The End" vollenden. Ausgerechnet mit einem Album, das zu dem Sound von "Everybody Else Is Doing It, So Why Can't We?" und "No Need To Argue" zurück findet. "Ain't it strange? / When everything you wanted / Was nothing much you wanted / In the end?"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. I Still Do
  2. 2. Dreams
  3. 3. Sunday
  4. 4. Pretty
  5. 5. Waltzing Back
  6. 6. Not Sorry
  7. 7. Linger
  8. 8. Wanted
  9. 9. Still Can't...
  10. 10. I Will Always
  11. 11. How
  12. 12. Put Me Down

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