laut.de-Kritik
Zurück zu den Anfängen ohne Schmerz und Wut.
Review von Giuliano BenassiDass ein glückliches Familienleben negativen Einfluss auf davor ausgeübte Tätigkeiten haben kann, wurde kürzlich von Mika Häkkinen mit seinem Rückzug aus der Formel 1 erneut unter Beweis gestellt. Ein Fall, der sich auch im musikalischen Bereich unschwer finden lässt, man denke nur an John Lennons unsägliches "Double Fantasy."
Oder an die Cranberries, deren Mitglieder sich seit einiger Zeit keine Gelegenheit entgehen lassen um zu bekräftigen, wie glücklich sie doch alle sind. "I guess family and friends are the essential key to happiness," verkündet Markenzeichen Dolores O'Riordan in ihrer "Personal Note" am Ende des Booklets zur neuen Platte "Wake Up And Smell The Coffee".
Dass nach solchen Vorzeichen ein doch recht anständiges Werk zustande gekommen ist zeugt von der Qualität einer Band, die zwar musikalisch nur begrenzte Fähigkeiten besitzt, jedoch seit fast zehn Jahren erfolgreich Produkte mit einem gewissen Anspruch präsentiert.
Die Verpflichtung von Stephen Street hat den Cranberries auf jeden Fall gut getan. Zurück zu den von ihm produzierten Anfängen, weg von den zu sülzig geratenen letzten zwei Alben. Vom Sound her könnte man meinen, wieder im Jahre 1993 zu sein, als die Band mit "Everybody Else Is Doing It, So Why Can't We" bezauberte.
Leider ist es weder Street noch der Band gelungen, die notwendige Prise Originalität mit einzubringen. Der Anfang der Single "Analyse" erinnert zu sehr an "Linger," "This Is The Day" zu sehr an "Zombie." Zwar wechseln sich ruhige Momente mit schnelleren ab und sorgen so für eine gewisse Abwechslung. "Time Is Ticking Out" beginnt eben mit dem Ticken einer Uhr, "The Concept" gar mit einem geloopten Klavier (mit Kratzern versehen, wie sich's gehört), "Never Grow Old" ist eine gelungene Ballade, wahrend "I Really Hope" live sogar zum Pogo inspirieren könnte. Zudem hat O'Riordan ihr Jaulen, das spätestens seit Bell, Book & Candle mächtig auf die Nerven ging, so gut wie abgelegt.
Jedoch fehlt "Wake Up And Smell Coffee" etwas: die Einstellung der Anfangszeiten. Die besungenen Themen haben sich nicht unbedingt verändert, es geht um Liebe, Beziehungen, Ungerechtigkeit, schwierige Lebenssituationen. Die Wut, die Trauer und die Sensualität von einst sind aber Selbstbewusstsein durch Erfolg und familiärem Glück gewichen, was aus der Sicht des Hörers eindeutig einen Verlust darstellt.
Klar, es wäre bescheuert zu verlangen, dass man weit über die Pubertät hinaus Stücke wie "Zombie" oder "Linger" schreibt und inbrünstig vorträgt. Die Zeiten ändern sich für alle. Aber das ist der Unterschied zwischen einer großen und einer guten Band: Die erste entwickelt auch musikalisch neue Fähigkeiten, die zweite wird hauptsächlich wegen ihrer alten Hits gehört und gekauft.
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