laut.de-Kritik
Touched by the religiousness of Rock and Roll!
Review von Dominik KrausAchtung Leute! The Fearless Freaks kommen! Und wie sie kommen. Mächtig verwirrend, sportlich bis zur Selbstaufgabe und bis unter die Haarspitzen voll mit Acid, Kreativität und Respekt vor allem Menschlichem. Vorhang auf für die Flaming Lips.
Ausgangspunkt von "Fearless Freaks" ist die Tatsache, dass irgendwann einmal in den frühen Neunzigern des letzten Jahrhunderts ein Filmemacher namens Beesley bemerkte, dass sein leicht verschrobener Nachbar Wayne das Executive Mastermind einer nicht minder verschrobenen Band ist. Spontan entschloss man sich, gemeinsam das zu tun, was nun getan werden musste: raus mit der Kamera und rein ins FL-Paralleluniversum. Irgendwann machen wir dann mal einen Film draus, gell.
Und tatsächlich, so kam es, dass "Fearless Freaks" anno domine 2005 das Licht der Welt erblickte. Nach mehreren Jahren Kameraarbeit und letztlicher Sichtung von über 400 Stunden Filmmaterial zeigt Regisseur Brad Beesley in seiner liebevoll ausführlichen Dokumentation/Filmskizze die Flaming Lips so, wie sie bislang dem öffentlichen Publikum nicht zugänglich waren.
Höchst Privates, ja geradezu Intimes tritt zutage, während Beesley und FL-Frontmann Wayne Coyne den Werdegang dieser mythenumrankten Band und ihrer vielschichtigen Individuen nachzeichnen. So wird im Verlauf ca. 200 Minuten der beiden CDs (Hauptfilm + Outtakes) auch auf reichlich Super 8- und Fotomaterial aus Familienbesitz zurückgegriffen, was so manche Ungeheuerlichkeit in Stylefragen ans Tageslicht befördert.
Zunächst führt Wayne Coyne, der "Fearless Freaks" gewissermaßen auch als Moderator begleitet, uns durch "sein" Oklahoma City, sucht Plätze seiner Jugend und der Jugend der Flaming Lips auf. Man erfährt Anekdotisches über einen Überfall auf einen Imbiss, in welchem Wayne sich über Jahre hinweg die Brötchen verdiente, die die Bandaktivitäten jahrelang nicht zu backen vermochten, und ähnliches.
Auch im weiteren Fortgang der Freakshow bleibt das Niveau sehr persönlich. Die Entwicklung der Band wird vor allem anhand der persönlichen Entwicklungslinien der Bandmitglieder und ihrer Familien aufgezeigt. So ist auch der Titel der Doku "Fearless Freaks" dem Namen des Hinterhof-Football-Teams, in dem sich damals die Flaming Lips sportlich ertüchtigten, geschuldet. Dass bei einem Club, der sich einen solchen Namen gibt, die Einnahme psychoaktiver Substanzen vor der sportlichen Herausforderung zur Tagesordnung gehört, kann da nicht weiter verwundern: "The Fearless Freaks were a bunch of people who liked mixing sports and drugs".
Natürlich gehts auch um Musik. Wobei diese allerdings für eine Dokumentation über eine Band doch eher im Hintergrund bleibt. Einige frühe Liveshows werden gezeigt, eine Neujahrsshow mit u.a. Jack White ist häufiger gegen die Kommentare Waynes und der übrigen gegengeschnitten, ansonsten gibts viel "Hintergrundmusik", die sich am Zeitstrahl der Dokumentation orientiert. Dazu Einblicke in Filmprojekte, die u.a. in Waynes Garten durchgezogen werden und von Weihnachten auf dem Mars handeln, und deren Kulissen zum Teil aus ausrangierten Benzintanks bestehen.
Erschütternd ist die Passage, die Steves Heroinsucht thematisiert, und in deren Verlauf Steve sich vor laufender Kamera einen Druck setzt, während er detailliert und ohne jedes Selbstmitleid von seiner Drogenkarriere erzählt. Hier geht "Fearless Freaks" im echten Sinne des Wortes unter die Haut. Rührend, wie angeekelt, machtlos und doch voller Liebe und Mitgefühl Wayne seinem Drogenkumpan gegenübersteht. Und wie erleichternd, wenn einige Einstellungen und zwei Jahre später Steve reichlich clean in die Linse spechtet und von seinem neuen Leben erzählt.
Unter dem Strich ist "FF" ein wahrhaft überraschendes, oftmals ulkiges, ebenso oft aber auch erschütterndes Machwerk, das sich von sonstigen Banddokumentationen vor allem durch seine Intimität und Persönlichkeit unterscheidet. Freundschaft und Liebe ist hier das Hauptmotiv, alles weitere folgt. So sind hier auch Familienmitglieder wichtiger als CDs, das Phänomen Flaming Lips wird ganz aus den darin handelnden Personen erklärt, die Musik als natürliche Folge der Geschehnisse nebenbei mitgeführt. Und wer nach Durchsicht der beiden DVDs Wayne Coyne und seine Kumpane nicht ganz tief ins Herz geschlossen hat, der hat einen Stein in der Brust.
Noch keine Kommentare