laut.de-Kritik

Ein Schlag in die Magengrube, unvermittelt und hart.

Review von

Man muss Pete Doherty dankbar sein. Nicht nur für seine mit den Libertines und den Babyshambles errungenen Verdienste um anspruchsvolles Songwriting, sondern auch dafür, seine damalige Ex-Freundin Kate Moss von ihrem kurzzeitigen Seelentrösterfreund Jamie Hince wieder losgeeist zu haben.

Es sind auch so lange drei Jahre geworden bis zum erneuten Lebenszeichen der Kills seit "No Wow", diesem zäh fließenden Sturzbach minimalistischer Dirtbanger. Gitarrist, Drummer und Sänger Jamie Hince und sein um keinen Spreizschritt verlegenes Bühnenluder Alison Mosshart reisten und diskutierten viel, um nicht hinterrücks von der stets lauernden Welle der Stagnation mitgerissen zu werden.

Gefahr erkannt und gebannt: "Midnight Boom" ist ein so nicht erwarteter Schlag in die Magengrube, unvermittelt, lange anhaltend und unter maßgeblicher Beteiligung des Elektro- und Hip Hop-Produzenten Alex Epton. Dessen Combo Spank Rock erarbeitete sich in weniger als zwei Jahren den Ruf, mittels schmutziger Beats und anzüglicher Inhalte die Clubmusik zu reformieren.

Hince roch den Punk-Anstrich in den verwegenen Rhythmus-Patterns des Trios aus Philadelphia und hoffte auf kantige Synergie-Effekte; ein Versprechen, das alleine die Single-Gorillas "U.R.A. Fever" und "Cheap And Cheerful" in furioser Manier einlösen. Es rattern die Vintage-Drumsequencer im Wettstreit mit knarzendem Gitarren-Feedback, bereichert nach altem Rezept von Mossharts mal laszivem, mal feurigem, immer eindringlichem Vortrag. Kills-Platten, man wusste es ja eigentlich, kann man nur laut hören.

"I am a fever / I am a fever / I ain't born typical" - die neue Hymne der Ausgegrenzten featuret eine der Killer-Hooklines des Jahres. Und vielleicht auch eine Verbeugung vor einer ganz ähnlichen Ode an soundtechnische Reduktion: "I got a fever! And the only prescription is more cowbell!" Mit besten Grüßen an Christopher Walken: diese Band besitzt dank ihrem neuen Herzschlag-Verschieber Epton nun endgültig ihr ganz eigenes Metronom.

Der auf einem Gospelrhythmus basierende Opener steigert sich, um Handclaps verstärkt, mit verzerrter Gitarre und wechselseitigem Sprechgesang zu einem dunkel dräuenden Beatgewitter, gleich danach purzeln in "Cheap And Cheerful" hochgetunte beats per minute auf knochentrockende Snares. Die analoge Soundästhetik, man hätte es sich denken können, steht der Band hervorragend.

Von Kinder-Abzählreimen und Wiegenliedern sei man zu Beginn der Aufnahmen fasziniert gewesen, erzählt das Duo in Interviews, was sich neben dem Opener auch in dem sanften "Black Balloon", dem monotonen "Sour Cherry" oder "Alphabet Pony" ablesen lässt, letzteres könnte glatt als Remix eines '78er Cure-Songs durchgehen.

Die Höhepunkte wechseln mit jeder neuen Hörrunde: Eben noch der beißende "Tape Song", der erst im Refrain explodiert, dann das wieder zweistimmig vorgetragene, in Suicide-Manier wabernde "Getting Down" oder das trashig scheppernde, dabei bittersüße "Last Day Of Magic". Einzig das laute "Hook And Line" könnte auch ein Song der Vorgängeralben sein.

Bevor die knapp 35-minütige Vorstellung tatsächlich mit einem leisen Wiegenlied zu Ende geht (höre nur ich da die "Plainsong"-Akkorde oder wirkt das Cure-Konzert von neulich noch nach?), fordern Hince und Mosshart in "What New York Used To Be" die aufregenden, weil kunst- und freakdurchsetzten Zeiten des Big Apple zurück, der aufgrund der zunehmend rigideren Sicherheitsvorschriften der Giulianis und Bloombergs heute eher einem keimfreien Ort ähnelt.

Da haben wir sie wieder, unsere Kunstrevoluzzer, deren romantisierte Vorstellung des Musikers als getriebener, von der Gesellschaft abgekoppelter Außenseiter sich Doherty-gleich schon am Cover-Artwork ablesen lässt: Literatur, Musik, bildende Kunst; braucht man mehr zum leben (außer vielleicht Socken)? So lange "Midnight Boom" dabei ist, fällt die Antwort schwer.

Trackliste

  1. 1. U.R.A. Fever
  2. 2. Cheap And Cheerful
  3. 3. Tape Song
  4. 4. Getting Down
  5. 5. Last Day Of Magic
  6. 6. Hook And Line
  7. 7. Black Ballon
  8. 8. MEXICOCU
  9. 9. Sour Cherry
  10. 10. Alphabet Pony
  11. 11. What New York Used To Be
  12. 12. Goodnight Bad Morning

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