laut.de-Kritik
Das bislang spontanste Album.
Review von Giuliano BenassiDie Karriere der Band aus Denver, Colorado kennt seit 2012 nur eine Weg: steil nach oben. Damals erklärte Sänger und Gitarrist Wesley Schultz noch bescheiden: "Wir haben es erst vor kurzem geschafft, unsere Jobs zu kündigen und Vollzeit Musik zu machen. Wir hatten zuletzt viel Glück und es wäre geldgierig, sich für den Moment noch mehr zu wünschen. Es ist eine sehr flüchtige Industrie und hoffentlich gehen die Dinge so weiter". Das taten sie. Mit ihrem zweiten Album "Cleopatra" erreichten die Lumineers 2016 die Spitze der Charts in den USA und Großbritannien. Mit "III" ließen sie 2019 "die schönste Akustikplatte des Jahres" folgen, so unser Teaser.
Auch live entwickeltet sich die Band zu einem erfolgreichen Act, doch dann kam Corona. Die Tour zu "III" endete abrupt im März 2020, das zweite feste Mitglied Jeremiah Fraites musste den geplanten Umzug zu seiner Frau nach Italien verschieben. Statt Trübsal zu blasen, arbeitete man an Soloprojekten: Fraites veröffentlichte 2021 die Platte "Piano Piano", Schulz 2020 "Vignettes" mit Coverversionen, u.a. von Bruce Springsteen, Tom Waits, Sheryl Crow und Warren Zevon.
Zwischendrin setzten sie sich zusammen, um an gemeinsamem Material zu schreiben. "Bei unseren Demosessions für die vorherigen Alben haben Jer und ich in der Regel zwischen zehn und fünfzig Versionen jedes Songs mit Pro Tools aufgenommen. Wir haben sie unterschiedlich instrumentiert, beschleunigt, verlangsamt oder die Tonart gewechselt, um die beste Version einer Idee zu finden. Aber dieses Mal war es ganz einfach. Wir begannen mit den Demos in Jers Keller und rührten den Computer nicht einmal an - wir benutzten nur mein Handy, um Sprachnotizen aufzunehmen, und das schickten wir dann Simone", erklärt Schultz in der Pressemitteilung.
Mit Simone ist Simone Felice gemeint, der langjährige Produzent. Zu den Aufnahmen in seinem Tonstudio in den New Yorker Catskill Mountains lud er seinen Bruder James ein, mit dabei war auch wie gewohnt David Baron, der neben dem Keyboard die Co-Produktion übernahm. Eine kleine Besetzung, die im Wesentlichen alle Instrumente einspielte und viel spontaner vorging als bei den Alben zuvor.
Der titelgebende Track entstand fast durch Zufall. "Brightside" war kaum mehr als ein Riff, das sich Schultz auf Tour in Australien ausgedacht hatte. Während er es vorspielte, setzte sich Fraites ans Schlagzeug, Schulz schnappte sich eine E-Gitarre, die herumstand, und freute sich über den fetten Neil Young-Sound. "Das war die Aufnahme, die wir schließlich verwendet haben … dieses geniale Ding kam aus dem Nichts. Es hatte etwas damit zu tun, dass ich den Song mit diesem Drumbeat begann, bei dem ich einfach versuchte, frei zu sein. Ich liebe die Vorstellung, dass ich 20 Jahre brauchte, um wieder wie ein Teenager zu spielen. Das zog sich durch den Rest des Albums", so Fraites weiter.
Ein Aspekt, den auch Schultz unterstreicht. "Bei dieser Platte ging es darum, den urteilenden Teil des Gehirns auszuschalten und einfach wie ein Kind zu sein, aber mit den Fähigkeiten von jemandem, der schon seit über 20 Jahren spielt. Es war eine wunderbare Kombination aus Unschuld und einem gewissen Maß an Scharfsinn oder Können - eine Verbindung zu dem unschuldigen Impuls, den wir hatten, als wir uns entschlossen, Musiker zu werden".
Zu 'Scharfsinn oder Können' gehört, dass Schultz und Fraites einen ausgeprägten Sinn für eingängige Melodien besitzen, von der Sorte, die Hallen und Stadien zum Mitsingen bringen. Davon gibt es auch hier zuhauf. Diesmal erzählt Schultz jedoch keine Geschichten ("III" war so etwas wie ein Konzeptalbum, das von der fiktiven Familie Sparks handelte), sondern versucht, mit seiner hohen, leicht angerauten Stimme vor allem Stimmungen zu vermitteln. Das Erstaunliche daran: Trotz Corona und der politischen Lage in den USA klingen die Lieder ausgesprochen optimistisch.
Was nicht mit 'fröhlich' zu verwechseln ist, denn wie gewohnt geht es um die Schattenseiten von Beziehungen und Situationen. Selbst der Lichtblick, wie der Titeltrack übersetzt heißt, endet mit dem Vers "die Bullen kommen näher". Am besten fasst die Stimmung wohl "Where We Are" zusammen: "Ich weiß nicht, wo wir stehen, aber alles wird gut".
Ein Gedanke, den Fraites in seinen Schlussbemerkungen aufnimmt. "Das ist auf keinen Fall eine Covid-Platte. Wenn sie im Januar herauskommt, ist es idealerweise ein neues Jahr, und wir können uns wirklich auf den Weg zu einem helleren, besseren Ort machen. Es fühlt sich also wie gutes Timing an."
Leider nicht ganz, denn die Tourdaten in Deutschland im Februar 2022 wurden kurz nach der Veröffentlichung coronabedingt abgesagt. Immerhin hat es Fraites mittlerweile zu Frau und Kind nach Turin geschafft und ist seit Dezember 2021 italienischer Staatsbürger.
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