laut.de-Kritik
Mit Power-Pop-Experimenten dem Zeitgeist auf der Spur.
Review von Alexander KrollMöchten Sie als Gast fortfahren? Aus der trivialen Online-Shopping-Frage hat Carl Newman, Frontmann der kanadischen Indie-Pop-Veteranen The New Pornographers, eine kleine Zeitgeist-Philosophie gebastelt: "Ich klicke ständig auf diese Frage und denke: Ja, ja, ich mache als Gast weiter", erklärt der Sänger dem New Musical Express, "Die Welt war so ein hässlicher Ort, als das Album entstanden ist. Trump war Präsident, die radikalen Rechten haben an Macht gewonnen. Ich wollte herausfinden, wie ich in der Welt sein konnte, aber nicht von dieser Welt".
Mit der Gastformel des neunten Albums "Continue As A Guest" reaktiviert die Band pünktlich zur Feier des 25jährigen Bestehens ihren künstlerischen Beobachterstatus. "Der Gaststatus führt dich zurück zu dem Grund, weshalb du Künstler oder Musiker geworden bist, als Außenseiter außerhalb des Mainstream", betont Newman.
Entsprechend entwirft der Titeltrack eine ambitionierte, zunächst behäbige, dann aber mitreißende Outsider-Vision aus elektronischen Klangflächen, manövrierendem Saxofon und Pedal-Steel-Gitarre. So verheißungsvoll und gleichzeitig entrückt hat seit Pavement keiner von der Flucht aufs Land gesungen ("I'll find a place out on the range / With some space to fall apart / With a long fade out, with a long fade out").
Eingeschränkt durch die Pandemie erprobte Newman im eigenen Zuhause in Woodstock, New York, neue künstlerische Wege. Plötzlich in einer Produzentenrolle koordinierte der Bandleader die virtuellen Beiträge der Musiker, die mit ihm um die Jahrtausendwende neben anderen Kanada-Kollektiven wie Arcade Fire und Broken Social Scene die Indie-Welt eroberten. Außerdem experimentierte Newman mit der Bearbeitung bereits vorhandener Aufnahmen aus dem Bandarchiv.
Inspiriert von Aloe Blaccs "The Man", das den Refrain von Elton Johns Klassiker "Your Song" einsetzt, mischt "Really Really Light" den von Ex-Mitglied Dan Bejar verfassten Chorus aus den Aufnahmen zum 2014er-Album "Brill Bruisers" mit komplett neu geschriebenen Strophen. Über Synth-Schleifen und den harmonischen Gesang von Carl Newman und Kathryn Calder eröffnet die erste Single schwebend leicht, ja fast schwindelerregend das Album ("My heart just like a feather / Really, really light").
Feines mehrschichtiges Arrangement erzielt auch "Pontius Pilate's Home Movies". So überkandidelt die Prämisse auch sein mag, die Social-Media-Kultur ausgerechnet anhand einer modernen Anekdote über den römischen Statthalter Pontius Pilatus zu kritisieren, entspinnt sich musikalisch ein dynamisches Stück zwischen dichter Rhythmus- und subtiler Akustikgitarre, jazzigen Anleihen und einer euphorischen 60s-Bridge.
Weniger stimmig fügen sich die Klangelemente in "Cat And Mouse With The Light". Während das Lied beständig mit der Liebe hadert ("I can't stand that you love me / Love me, love me"), funkt obendrein viel kleinteiliges Rascheln, Knistern und Grooven dazwischen. Trotz der Nähe zu Belle And Sebastian wäre der Track bei den schottischen Twee-Darlings eher eine B-Seite.
Im sprudelnden Ideenreichtum finden sich produktive und hinderliche Impulse. In bester New-Pornographers-Tradition könnte sich "Last And Beautiful" getrost auf seinen hymnischen Power-Pop-Refrain verlassen ("And I don't wanna go by myself, come with me"), pflastert seinen Weg dorthin jedoch ausgerechnet mit einem Sample, das einen bellenden Hund zu imitieren scheint.
"Bottle Episodes", der vielleicht beste Song des Albums, verzichtet auf Gimmicks. Mit einer melodieverliebten Lässigkeit, die irgendwo zwischen Beach Boys und Wilco pendelt, sinniert Newman über den Alltag während der Pandemie und die Frage, ob man in der Lockdown-Schwebe vielleicht sogar zufrieden sein kann oder eher doch nicht – "Here inside the TV glow / Of these bottle episodes / There should be a word for this, yeah".
In der zweiten Hälfte setzt das Album wieder auf kleine Grenzerweiterungen. Zwischen 80s-Beat und flirrender Flöte testet "Angelcover" ganz bewusst die Hypothese, dass bei Popsongs letztlich nur die Gesangsqualität zählt ("Melody, melody / Ain't got nothing at all on the / Delivery, delivery"). "Firework In The Falling Snow" bietet eine der wenigen Kollaborationen der Band – mit Sadie Dupuis, der Sängerin von Speedy Ortiz gelingt ein charmantes Chanson im Stil der benachbarten Stars.
Nach einer Tour, bei der The New Pornographers das zwanzigste Jubiläum des Debüts "Mass Romantic" und das Fünfzehnte des dritten Albums "Twin Cinema" feierten, liefert "Continue As A Guest" reizvolle neue Akzente, die das Spektrum der Gruppe erweitern, selbst wenn sie selten an das Hit-Level der Anfänge heranreichen.
Wem das nicht genügt: Egal, das kanadische Sextett wird weiter seine Runden drehen. "We don’t give a fuck, wir bleiben", bestätigt Carl Newman dem NME, "Magst du dieses Album nicht, machen wir ein anderes, und wir machen so weiter bis wir sterben. Es ist das was wir tun". The New Pornographers sind vorbildliche Dauergäste.
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