laut.de-Kritik

Gut gelaunte Party-Tracks und vorzügliche Pop-Juwelen.

Review von

Spielsucht, übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum, aus der Kneipe geworfen .... Die Berichte, dass der Vorzeige-Engländer Mike Skinner mal gerne über die Stränge schlägt, kamen nicht gerade überraschend. Nun, man kennt die britischen Medien, und Skinner kennt sie auch. Deshalb hat er sich vorgenommen, auf seinem dritten Album so viel über sich zu offenbaren wie möglich, da die Presse nicht mehr verdreht darstellen könne, was er selbst schon geklärt habe.

Selbst wenn non-native Speaker bei Skinners Schnellsprech- bzw. Slang-Attacken meistens nur die Hälfte verstehen, und man ja gerade bei der letzten Platte des Briten nie so recht wusste, wo genau er den Schnitt zwischen Realität und Geschichtenerzählen macht, glaubt man hier, so nah am wirklichen Mike Skinner zu sein wie selten zuvor. Schon das Cover ist Skinner pur. Im selbstbetitelten Miami Vice-Style steht er mit grauem Sakko vor seinem neuem Rolls-Royce. Yes, yes, oh yah – das ist ein wunderbar ironischer Mittelfinger und ein Bekenntnis zu seinem Prollsein.

Mike Skinner, der liebenswerte englische Prolet. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass man diese Eigenschaft zu schätzen lernt? Er zerdrückt leere Bierdosen wohl mit der Hand und wirft Schnapsgläser hinter sich, sobald er sie ausgetrunken hat. Genau dieses Lebensgefühl zwischen Pub, rotem Backsteinhäusern und Ibiza zelebriert er auf seinem dritten Album so intensiv wie nie zuvor. Das Ausschlachten des Lebens eines verdrogten Mittelschichts-Hip-Hop-Kids, das unverhofft zum reichen Superstar avanciert, erklärt er hier endgültig zum Konzept.

Skinner quasselt sich gewohnt schnell durch zerstörte Hotelzimmer ("Hotel Expressionism"), Abstürze mit weiblichen Superstars ("When You Wasn’t Famous") und öffentliche Wutanfällen auf der Bühne ("Fake Street Hats"). Und so abstrus diese Geschichten auch sein mögen, sie klingen alle überaus nachvollziehbar. Denn wer, wenn nicht Mike Skinner, ist der perfekte Typ, um im Ferrari durch Las Vegas zu fahren und sich dabei schnell von der Devise "Memento Mori" (lateinisch für "Bedenke das du Sterben musst") zu verabschieden, weil es einfach zu "boring" ist? Es war nie eine Frage, dass er nur so tut, als würde er den Frauen zuhören, während er ihnen eigentlich in den Ausschnitt schaut ("War Of The Sexes"). Das Leben, das Mikey hier präsentiert, ist genau so, wie es sich seine Fans vorstellen: Party und Exzesse bis zum Abwinken. Kurz gesagt: Skinner macht auf dieser Platte, was er am besten kann: er spielt sich selbst.

Wenn man sich vornimmt, nichts außer sich selbst zu sein, ist das nicht unbedingt eine Garantie für Innovationen. Der Mann mit den schlechten Zähnen ruht sich etwas auf seinem bisherigen musikalischen Schaffen aus und pusht mit seinem dritten Album die Dinge musikalisch kaum nach vorne. Skinner greift auf Altbewährtes zurück. Er nicht mehr der Rabauke wie auf "Original Pirate Material", und längst nicht mehr der nachdenkliche Geezer wie auf "A Grand Don't Come For Free". Aber Skinner ist natürlich ausgefuchst genug, um zu wissen, wie man die Rosinen aus seinen beiden Persönlichkeiten noch etwas süßer macht.

Die Beats lässt er dabei nur selten hart wabern und poltern (z.B. in "Can't Con An Honest John"), er konzentriert sich lieber auf ein verfeinertes und noch verspielteres Songwriting. Gerne lässt er es klimpern, rattern und tröten, aber niemals verhaspelt er sich in den vielen Spuren. Ganz im Gegenteil. Sein dritter Streich klingt trotz unzähliger Sounds rein und überlegt. Der Mann ist sich seines Genies bewusst und weiß, wie man die Hitausbeute konstant hoch hält. Und selbst nach zwei Klassiker-Platten scheinen ihm immer noch die guten Gedanken einfach so zuzufliegen. Manchmal braucht er nur kurz ein Liedchen zu pfeifen, um mit dem titelgebenden Track "The Hardest Way To Make An Easy Living" einen Knaller aus dem Ärmel zu schütteln, dessen Melodie einen über Tage regelrecht verfolgt.

Skinner wäre nicht Skinner, wenn er neben gut gelaunten Party-Tracks nicht auch noch einen Haufen vorzüglicher Pop-Juwelen auf Lager hätte, die das Weiche aus dem chaotischen Proll heraus kitzeln. Allen voran beweist "Never Went To Church", ein Song über den Tod seines Vaters, der glatt als "Let It Be"-Cover durchgehen kann, welche Qualität Skinners stille und sanfte Seite hat.

Mike scheint mit dieser Platte sich und seinen Stil zwischen den Stühlen Partymachen und Nachdenken vorerst gefunden zu haben. Es geht hier um sein wirkliches Ich und um ein Zusammenfließen seines Könnens. Noch nie war eine Platte so sehr The Streets wie diese. Und selbst wenn Skinner die musikalische Messlatte nicht wirklich höher gelegt hat, dankt man ihm nach 37 äußerst cleveren Minuten für diese Abrechnung mit seinem Superstar-Status. Skinner ist keine 20 und auch kein verzweifelter Jung-Star mehr. Er wirkt gefestigt und weiß, was er will. Dieser Audio-Seelen-Strip ist ein perfektioniertes "Leckt mich am Arsch": Nehmt mein Leben, nehmt meine Infos und macht damit was ihr wollt.

Trackliste

  1. 1. Prangin Out
  2. 2. War Of The Sexes
  3. 3. The Hardest Way To Make An Easy Living
  4. 4. All Goes Out The Window
  5. 5. Memento Mori
  6. 6. Can't Con An Honest John
  7. 7. When You Wasn't Famous [Album Version]
  8. 8. Never Went To Church
  9. 9. Hotel Expressionism
  10. 10. Two Nations
  11. 11. Fake Streets Hats

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