laut.de-Kritik
Weg von Elliott Smith, hin zu Bruce Springsteen.
Review von Simon Langemann"Die Bomben Meiner Stadt" - vor vier Wochen ließ Thees Uhlmann sie platzen. Als erster Vorbote seiner in persönlicher Rekordzeit entstandenen Platte diente, rein musikalisch betrachtet, eine moderne, aber durchaus gelungene Verneigung vor The Clash. Dennoch: Die Gewissheit, dass sich so mancher Fan der Hamburger Indie-Schule damit nie anfreunden wird, schwang vom ersten Keyboard-Offbeat an mit. "Bitte gib uns Tomte zurück", spitzte ein YouTube-User die Enttäuschung einiger Uhlmann-Jünger zu.
Mittlerweile kursiert die dazugehörige Platte in verschiedensten Formaten – und legt die Vermutung nahe, dass die ausdrücklich nicht als erste Single deklarierte Nummer durchaus als Vorbereitung auf das gesamte Kapitel "#2" dienen sollte. Denn manch ein Wunsch, den sich der Enddreißiger auf der Platte erfüllt, dürfte langjährige Grand Hotel van Cleef-Anhänger auf eine harte Probe stellen.
Vor zwei Jahren gestand Thees Uhlmann der taz: "Dieses Tomte-Ding war von einer Angst getrieben, dass der Rock'n'Roll-Traum aufhören könnte." Ein Zustand, zu dem er mit seinem Soloprojekt einen gemütlichen Sicherheitsabstand aufgebaut hat - und der äußert sich eben auch in seinem Schaffen. Der Opener "Zugvögel" bewegt sich stilistisch noch am nächsten an seiner Haupt- bzw. Ex-Band. Ansonsten drängt sich immer häufiger der viel zitierte Springsteen-Vergleich auf, mit dem sich Thees bekanntermaßen angefreundet hat und den er auch gerne selbst ins Gespräch bringt.
"Ich will verhindern, dass meine Kunst so codiert wird, dass Leute denken, das könnte ihnen zu hoch sein", formulierte er seine Mission im taz-Interview. Mit dem Hintergedanken, dass Tomte jahrelang ebendieser Ruf anhaftete, klingt das fast nach Vergangenheitsbewältigung. Und auch in der Single-Auskoppelung "Am 7. März" äußert sich Uhlmanns Suche nach einfachen Strickmustern wieder überdeutlich. Die Lyrics lesen sich wie eine Zusammenfassung des Wikipedia-Artikels zu besungenem Datum, doch der Niedersachse trägt diese mit so viel Inbrunst vor, dass es die reinste Freude ist.
"Die Bomben Meiner Stadt" stellt laut dem Wahlberliner übrigens eine Art Antithese zum allseits verbreiteten Lovesong-Fieber dar - da tritt Jesus schon mal als schnorrender Parkbank-Straßenmusiker auf. Generell distanziert sich Uhlmann merklich von der einstigen Lieblingsaufgabe, große Gefühle in Worte zu fassen. Das etwas zu cheesy geratene "Weiße Knöchel" widmet sich dem harschen SPD-Wahlkampf eines Ruhrpott-Proletariers, die Power-Ballade "Der Fluss Und Das Meer" handelt von der Schönheit der rauen Nordsee.
"Ich Gebe Auf Mein Licht" markiert tatsächlich das einzige astreine Liebeslied – und was für eins. Das großartige Finale erinnert rhythmisch stark an "& Jay-Z Singt Uns Ein Lied" und verarbeitet eine gescheiterte Beziehung ganz ohne Herzschmerz. "Wir war'n wie Brooklyn und Manhattan / doch diese Brücke bricht." Derart hochtrabende Sprachbilder verzeiht man auch nur Uhlmann, dem aber dafür mit Handkuss. Warum auch immer.
Nur einmal treibt er es dann doch zu weit: "Zerschmettert In Stücke (Im Frieden Der Nacht)". So schön die Idee einer Wien-Hommage, so überzuckert die Umsetzung: "Ich sage leise zu dir / in meinem zerrissenen Hemd / das ist eine gute Stadt / die ihre Läden Stiefelkönig nennt", singt Thees in der zweiten Strophe. Um im Refrain noch einen drauf zu setzen: "Ich wär' so gern ein Schaf / ein Schaf in deiner Herde / doch es gibt keinen Schäfer / der über uns wacht." Drumherum: Ein Falco-Zitat, Metaphern en masse, "Streets Of Philadelphia"-Gedächtnis-Synthies, Pferdegeklapper.
Genre-Neuland betritt Thees Uhlmann hier aber ohne Zweifel – es scheint, als habe der Erfolg des Solodebüts ihn beflügelt und ihm Mut gemacht, den 2011 eingeschlagenen Kurswechsel endgültig abzuschließen. Denn das wiederum mit Gitarrist Tobias Kuhn produzierte "#2" manifestiert noch deutlicher als der Erstling, in welche Richtung sich der Enddreißiger bewegt hat, der noch nie ein Geheimnis aus seinen Idolen machte: Weg von Elliott Smith, hin zu Bruce Springsteen.
Eigentlich eine natürliche Folge, dass seine Schwerpunkte heutzutage wo ganz anders liegen als zu Tomte-Zeiten. Ebenso natürlich wie das Bedauern einiger Fans. Zweifelsohne die bessere Lösung: einfach akzeptieren, dass man sich Indie-Hymnen und "Man fühlt sich, als habe man die Liebe erfunden"-Lyrics vorerst von anderen Künstlern erhoffen sollte. Wem das gelingt, der wird auch Thees Uhlmanns zweiten Solostreich als große, erbauende Rock-Platte ins Herz schließen.
11 Kommentare mit 10 Antworten
Sehr gute Rezession!!
Was ist an einer Rezession gut?
Abschwungphasen sind notwendige Etappen des Wirtschaftskreislaufs. Ohne gäbe es danach keinen Aufschwung!
und man stelle sich vor es gäbe keinen auffschwung!
Depression wäre die Folge.
Ich glaub das ist mir zu hoch.
Da das Debut ein Meisterwerk war, und Paris im Herbst zu meinen 10 Lieblingssongs gehoert, will ich Nummer 2 gar nicht mit dem Erstling vergleichen. Es ist mal wieder ein wunderschoenen Werk Uhlmanns, das aber leider auch vom Fluch des zweiten Albums heimsucht wurde . Das Bewegende, Nachdenkliche und Traeumerische wurde auf dem Ersten schon gesagt (wie bei vielen Zweitlingen). 1,2,3... Nummern merkt man einfach an dass sie Thees nicht ein Leben lang im Kopf schwirrten, sondern einfach im Studio "vor sich hingeschrieben wurden". Die Songs die fuer mich herausstachen waren 4,5,8(Refrain)9 und 10.
Nichtsdestotrotz ist Nummer II auf jeden Fall ein Highlight,dass man sich auf jeden fall mal anhoeren muss.
4/5 (bitte wertet das debut auf 5 hoch)
ps:Zerschmettert In Stuecke Im Frieden Der Nacht ist ja mal Total Streets Of Philadelphia von Springsteen.
Daß man bei deutscher Musik in erster Linie die Texte feiert, ist doch absolut traurig. Das wirkt, als würde man eine Analyse eines Gemäldes schreiben und die Hälfte des Textes für die Beschreibung des Rahmens veranschlagen.
joah, wenn du meinst..
Fuer mich wuerde das erste Album auch schoen ohne Texte funktionieren.
Sehr gelungene Scheibe!
genial ..genialer ..Thees Uhlmann
auch (und vor allem) live ein Genuß